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Taiwans Demokratisierung

14. Dezember 2009

Vor 30 Jahren versuchte Taiwans Regierung, die demokratische Opposition zu zerschlagen. Doch der “Zwischenfall von Kaohsiung” wurde zum entscheidenden Wendepunkt und Anfang vom Ende der Diktatur.

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Plakat für eine Ausstellung zur Demokratiebewegung in Kaohsiung (Foto:DW/Klaus Bardenhagen)
Plakat für eine Ausstellung zur Demokratiebewegung in KaohsiungBild: Klaus Bardenhagen

Es ist ein warmer Abend in Kaohsiung, Taiwans zweitgrößter Stadt. Mitten in der Stadt ist eine Bühne aufgebaut. Liedermacher treten auf, gut 10.000 Menschen sitzen im Publikum. Doch nicht wegen der Musik sind sie auf diesen großen Platz gekommen. Sondern um daran zu erinnern, was genau hier vor 30 Jahren geschah. Damals war Taiwan eine Diktatur. Nur wenige wagten es, aufzubegehren. Darunter die älteren Damen und Herren, die nun auf der Bühne bejubelt werden. Denn ihr Triumph war nur unter großen Opfern möglich. Zwölf Jahre lang saß etwa Lin Shu-zhi als politischer Gefangener im Gefängnis. Er erinnert sich an den Überwachungsstaat: “Wenn man in einem Brief Themen wie Taiwans Zukunft oder Unabhängigkeit auch nur ansprach, und der Brief wurde kontrolliert, dann hat die Geheimpolizei einen verhaftet und eingesperrt.”

Alleinherrschaft per Kriegsrecht

Die Oppositionszeitschrift 'Formosa' (Foto:DW/Klaus Bardenhagen)
Die Zeitschrift der Opposition 'Formosa' brachte es 1979 auf vier AusgabenBild: Klaus Bardenhagen

Taiwan, oder die Republik China, wie der Staat offiziell heißt, hatte 1979 zwar eine halbwegs demokratische Verfassung. Aber die war außer Kraft gesetzt. Seit über 30 Jahren herrschte die Kuomintang-Partei per Kriegsrecht. Nun aber wurden nach und nach kritische Stimmen laut. Eine Gruppe von Dissidenten stellte die Allmacht der Kuomintang in Frage und forderte die Aufhebung des Kriegsrechts – ständig in Gefahr, verhaftet zu werden. Weil Oppositionsparteien verboten waren, organisierte der Widerstand sich in Form einer Zeitschrift. Das Magazin “Formosa” hatte bald Redaktionsbüros im ganzen Land und eine Auflage von über 100.000 Exemplaren.

Showdown in Kaohsiung

Eine Provokation, die das Regime sich nicht lange gefallen ließ. Zum Showdown kam es im Dezember 1979 am Internationalen Tag der Menschenrechte. Formosa hatte zu einer Großkundgebung aufgerufen. Nach Kaohsiung, weit weg von der Hauptstadt Taipeh. Zum engsten Kreis der Organisatoren gehörte die amerikanische Menschenrechtlerin Linda Arrigo. “Alles lief auf diesen Abend hinaus”, erinnert sie sich. “Wir waren so entschlossen, mir unseren großen Bannern für Menschenrechte. Wir wussten zwar, dass die Regierung vorhatte, die Bewegung zu zerschlagen. Aber wir hatten so viel Zulauf, dass wir dachten, vielleicht wagen sie es ja doch nicht.”

Polizei provoziert Ausschreitungen

Chen Chu, die Bürgermeisterin von Kaohsiung (Foto:DW/Klaus Bardenhagen)
Kaohsiungs Bürgermeisterin Chen Chu wurde 1979 zu sechs Jahren Haft verurteiltBild: Klaus Bardenhagen

Wo 30 Jahre später die Gedenkfeier stattfindet, versammelten sich damals rund 30.000 Demonstranten. Die Kundgebung endete, als Militärpolizisten die Menschen auseinandertrieben. Zuvor hatten sie Tränengas in die Menge gefeuert und so Ausschreitungen provoziert. Das Chaos war für die Regierung der Vorwand, um zuzuschlagen. Weil sie angeblich zum Umsturz aufgerufen und Polizisten attackiert hatten, wurden dutzende Oppositionsführer verhaftet. “Die Beamten dachten, es würde so laufen wie immer”, sagt Linda Arrigo. “Das Verhör, eine an den Haaren herbeigezogene Anklage, zack zum Gericht und dann das Urteil.”

Prozess wird zum Debakel für das Regime

China-Taiwan-Gesprächen Vertragsunterzeichnung
Heute haben sich Taiwan und China einander angenähert...Bild: AP

Aber die Rechnung ging nicht auf. Die internationale Presse bekam Wind von den Menschenrechtsverletzungen in Taiwan. Das als Schauprozess geplante Verfahren gegen acht Oppositionsführer geriet zum Debakel für das Regime. Die Angeklagten nutzten den Gerichtssaal als Forum. Zwar wurden noch einmal langjährige Haftstrafen verhängt. Yang Qing-chu, der die Demonstration von Kaohsiung organisiert hatte, wurde erst vier Jahre später freigelassen. Seine Entscheidungen bereut er nicht: “Für die Demokratie musste es Opfer geben. Ohne diese Opfer wäre die Entwicklung nicht vorangegangen. Also bereue ich es nicht, dass ich dafür im Gefängnis saß.”

Das Erbe von Kaohsiung

Demonstrationen gegen Taiwans Chinapolitik (Foto:ap)
...was jedoch nicht allen Taiwanesen gefällt.Bild: AP

Der “Zwischenfall von Kaohsiung” gilt heute als Anfang vom Ende der Diktatur. 1986 waren fast alle Häftlinge wieder frei und gründeten eine Oppositionspartei. Im Jahr darauf hob die Regierung das Kriegsrecht auf. Und 1996 konnten die Taiwaner erstmals ihren Präsidenten frei wählen. Die Angeklagten von damals und ihre Anwälte wurden später Premierminister, Vizepräsidentin und sogar Präsident. Oder Bürgermeisterin von Kaohsiung, wie Chen Chu. Auch sie war vor 30 Jahren unter den Wortführern und saß sechs Jahre im Gefängnis. Heute macht sie sich Sorgen über Taiwans rasche Annäherung an China. Denn viele junge Leute hätten vergessen, dass Demokratie und Menschenrechte nicht selbstverständlich sind. “Ich hoffe, dass Taiwans neue Generation versteht, warum der Zwischenfall von Kaohsiung gerade damals passiert ist”, sagte sie Reportern am Rande der Gedenkveranstaltung in Kaohsiung. “Nur wer aus der Geschichte lernt, kann verhindern, dass so eine Tragödie sich wiederholt.”

Autor: Klaus Bardenhagen
Redaktion: Thomas Latschan