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Welthandel und Klimawandel

14. Dezember 2009

Der Welthandel kann als Instrument gegen den Klimawandel eingesetzt werden. Es wäre dringend notwendig, nach dem Klimagipfel die Doha-Runde rasch zu Ende zu bringen, meint <I>Jürgen Wiemann</i> in unserer Gastkolumne.

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Alle Welt blickt in diesen Tagen nach Kopenhagen, während vor zwei Wochen kaum etwas aus Genf zu hören war, wo immerhin die 7. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) stattfand. Wird also die Handelspolitik von der Klimapolitik überholt, vielleicht sogar ganz abgelöst, wie sich manche Umweltaktivisten schon „klammheimlich“ freuen? Gemessen an der Aufmerksamkeit der Medien ist dies offenbar der Fall, und die Finanz- und Weltwirtschaftskrise lässt die Segel der notorischen Globalisierungskritiker kräftig blähen. Wenn schon Regierungschefs und Zentralbanker an der Gründungsidee von ATTAC, einer (Tobin-)Steuer auf internationale Finanztransaktionen, Gefallen finden, was spricht dann noch gegen grünen Protektionismus zum Schutz des Weltklimas? Oder muss gar der Kapitalismus insgesamt dran glauben, der uns mit seinem Wachstumszwang die Misere überhaupt eingebrockt hat?

Dr. Jürgen Wiemann, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und ehem. Stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) (Foto: DIE)
Dr. Jürgen Wiemann, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und ehem. Stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE)Bild: DIE

Nach der Finanzkrise von 2008 zeichnet sich ein weltweiter Konsens ab, dass der Finanzsektor effektiver reguliert, wenn nicht gar zurückgestutzt gehört, damit es nicht zu neuen Finanzkrisen mit womöglich noch dramatischeren Folgen für die Realwirtschaft und die Arbeitsplätze kommt. Da die Finanzwirtschaft die Chancen der Globalisierung nicht nur für gesellschaftlich nützliche Finanztransfers nutzt, sondern auch für Steuerflucht und Geldwäsche, sollten vor allem auch internationale Transaktionen effektiver kontrolliert und sogar besteuert werden. Doch während die Finanzkrise eine Einschränkung der internationalen Bewegungsfreiheit der Finanzwirtschaft verlangt, wäre zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise genau umgekehrt eine Befreiung der Realwirtschaft aus der Kreditklemme und bei ihren internationalen Geschäften vonnöten.

Protektionismus - falsches Mittel zur Krisenbekämpfung

Die Erfahrungen der 1930er Jahre zeigen bekanntlich, dass die damalige Finanzkrise durch den Versuch aller Länder, die Krisenfolgen durch immer höhere Zölle und Währungsabwertungen von sich auf andere abzuwälzen, schließlich im völligen Zusammenbruch des Welthandels und einer anhaltenden Depression endete. Sie wurde erst durch den wie ein international abgestimmtes Konjunkturprogramm wirkenden Rüstungswettlauf in Vorbereitung und während des Zweiten Weltkriegs endgültig überwunden. Nach dem Krieg sollte ein Rückfall in Handels- und Währungskriege, die über die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und die Machtergreifung der Nationalsozialisten letzten Endes zum Zweiten Weltkrieg geführt hatten, vermieden werden. Zu diesem Zweck wurden 1944 in Bretton Woods ein Internationaler Währungsfonds (IWF) sowie eine Weltbank gegründet und die ersten Schritte zu einem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) getan.

Bei aller Kritik an den vielen Unzulänglichkeiten der Nachkriegsweltwirtschaftsordnung, hat sie sich doch in allen bisherigen Krisen bewährt und eine erneute Depression verhindert. Allerdings lassen sich in den heutigen Krisenabwehrmaßnahmen vieler Regierungen mehr oder weniger versteckte protektionistische Tendenzen erkennen. Daher sollten die Regierungen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) endlich ihre wiederholten Ankündigungen wahr machen und die Doha-Entwicklungsrunde rasch zum Abschluss bringen. Damit würde die WTO als Bollwerk gegen Protektionismus und nationalistische Wirtschaftspolitik gestärkt. Danach könnten endlich aktuelle Themen wie "Handel und Klimawandel" im Rahmen der WTO bearbeitet werden.

Der Welthandel als Instrument gegen den Klimawandel

Der Zusammenhang von Welthandel und Klimawandel lässt sich unter den beiden - Klimapolitikern wohl vertrauten - Gesichtspunkten Adaptation und Mitigation aufschlüsseln. Es geht um die Doppelfrage, welche Rolle der Welthandel bei der Anpassung (Adaptation) an die Folgen eines nicht mehr aufzuhaltenden Klimawandels spielen kann und inwieweit die Handelspolitik als Instrument zur Vorbeugung bzw. Abwehr des Klimawandels (Mitigation) eingesetzt werden kann.

Hier sei zum Thema Adaptation nur angedeutet, dass der Klimawandel aller Voraussicht nach die Landwirtschaft der ärmeren Entwicklungsländer in den tropischen Regionen am stärksten beeinträchtigen wird. Damit werden ausgerechnet diejenigen Länder am meisten unter dem Klimawandel zu leiden haben, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Gleichzeitig werden sich die Bedingungen für die Landwirtschaft in anderen Weltregionen, vor allem in den nördlichen Breiten, durch die Erderwärmung erst einmal verbessern. Zwischen den Überschussländern und den Hungerländern wird ein Ausgleich durch internationalen Handel hergestellt werden müssen. Außerdem wird den betroffenen Entwicklungsländern mehr technische und finanzielle Unterstützung gewährt werden müssen, damit sie die Folgen des Klimawandels bewältigen und so weit wie möglich die Ernährung ihrer Bevölkerungen aus eigener Kraft sichern können. Der Handelspolitik im Rahmen der WTO kommt dabei insofern eine flankierende Rolle zu, als der lange überfällige Abbau der Agrarsubventionen in den OECD-Ländern, vor allem auch der Exportsubventionen, allererst die Voraussetzungen schaffen wird, dass sich die Landwirtschaft in den ärmeren Entwicklungsländern gegen die Wettbewerbsverzerrungen auf den Weltmärkten behaupten kann.

Ergebnisse in Kopenhagen als Ansporn für die Doha-Runde

Handelspolitik als Instrument der Klimapolitik (Mitigation) dürfte ein Thema für das nächste Klimarahmenabkommen werden und wird auch in der WTO weiter ausbuchstabiert werden müssen. Hier sei nur angedeutet, dass Art. XX, GATT, eine Tür dafür öffnet, Handelsmaßnahmen für den Klimaschutz einzusetzen. So werden bereits Grenzausgleichsmaßnahmen gefordert, um den Wettbewerbsnachteil von Industrien im eigenen Land auszugleichen, die mit höheren Investitionen und laufenden Kosten für gesetzlich vorgeschriebene Klimaschutzmaßnahmen belastet werden, während ihre Konkurrenten in anderen Ländern ohne vergleichbare Belastungen produzieren können, weil ihre Regierungen aus welchen Gründen auch immer, in der Klimapolitik nicht mitziehen. Dieses Instrument sollte aber nur als letzte Waffe ergriffen werden, wenn wirklich alle internationalen Vereinbarungen und sogar finanzielle und technische Hilfsangebote zur Modernisierung von Industrien und Haushalten eines klimapolitisch rückständigen Landes keinen Erfolg gezeitigt haben. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass das in Kopenhagen spürbare Klima internationaler Kooperationsbereitschaft zu einem klimapolitisch wirksamen Ergebnis führt und zugleich auf die steckengebliebenen WTO-Verhandlungen zurückstrahlt, so dass es bald zu einem erfolgreichen Abschluss der Runde kommt und anschließend die drängenden Probleme an der Schnittstelle von Welthandel und Klimawandel ebenfalls kooperativ angegangen werden können.

Dr. Jürgen Wiemann, Bereich Wirtschaft und Beschäftigung - Welthandelsordnung und Entwicklungszusammenarbeit, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH und ehem. stellv. Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE)

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.