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Kölner Straßenkötersoul

23. November 2009

Das Kölner Duo Fleur Earth macht Soulmusik mit amerikanischen Vorbildern und verleiht seinen deutschen Texten mit Anklängen an die lyrische Tradition neue Tiefe.

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Fleur Earth & Twit One (Quelle: Robert Winter)
Neo Soul aus Köln vom Duo Fleur EarthBild: Robert Winter

Die meisten Straßenzüge in Köln sind grau. Der selbsternannte Straßenkötersoul des Duos Fleur Earth hingegen wärmt diese triste Heimat. Kölner Neo-Soul steckt hinter diesem Namen und was wie ein Experiment begann, hat das Genre renoviert. Die Sängerin, Fleur Mouanga mit bürgerlichem Namen, trägt einen wirren Afro und schreibt Texte, deren wundersam verschlungene Assoziationsketten sich bei mehrfachem Hören ins Gedächtnis graben. Mit ihrem musikalischen Partner Twit One stellt sie nun ihr drittes Album vor "Es entstehen Wesen".

Unpolierte Skizzen

Fleur Earth (Quelle: Robert Winter)
Fleur Earth früher mit Band heute im Duo unterwegsBild: Robert Winter

Wie die Skizzen eines Malers sind die Songs des Duos: impulsiv, ungeschliffen und mit vielen offenen Enden. Fast steht man mit im Studio während Fleur zum Beispiel den Song "Warf’s Tuch" in der Gesangskabine zu improvisieren scheint. Die Musik blendet weg und man hört noch den Ruf der Begeisterung des Beatproduzenten. Wirklich improvisiert hat sie den Text nicht, aber die erste Aufnahme hat es tatsächlich auf das Album geschafft – eine eher ungewöhnliche Herangehensweise an Musik. Vor allem, wenn man bedenkt, dass heutzutage die technischen Möglichkeiten Low-Budget-Projekte aufzumotzen, enorm sind. "Wir haben versucht, so wenig wie möglich glatt zu polieren, weil wir nicht so Menschen sind. Wir sind auch nicht poliert", ist die Erklärung von Beatproduzent Tim Purnell alias Twit One für die raue Oberfläche ihrer Songs. Zwischen die Skizzen und Songs schieben sich Beatbrücken mit vielen Samples aus der Musikgeschichte – ein reiches Repertoire wird angedeutet.

Neo-Soul mit Schiller und Goethe

Fleur Earth & Twit One (Quelle: Robert Winter)
Fleur Mouanga & Tim Purnell alias Fleur EarthBild: Robert Winter

Der Sound von Fleur Earth erinnert an amerikanische Vorbilder wie Erykah Badu, The Roots oder J Dilla. Doch die Texte von Fleur sind immer einzigartig. Ihre dichten Wortgebilde strecken sich über Syntax und Grammatik hinweg. Die oft als hart missverstandene deutsche Sprache gewinnt bei Fleur ihre Geschmeidigkeit und Emotionalität zurück. Inspiriert wurde die Deutschkongolesin von großen Sprachkünstlern wie Schiller und Goethe. Deren Gedichte lernt sie in der Schule und beginnt ihren eigenen Gefühlen in Form von Tagebucheinträgen Gestalt zu geben. Die Reimform kommt später dazu und hat sich als Ausdrucksmittel in den Texten durchgesetzt. Verschlüsselt über die Dichtung verleiht sie persönlichen Erlebnissen Allgemeingültigkeit und lässt ihnen dadurch Spielraum für ein Eigenleben im Kopf des Hörers. Passend dazu lautet der Titel des neuen Albums "Es entstehen Wesen".

Verschlungene Wege: DDR, Kongo, Köln

In der DDR geboren hat Fleur Mouanga ihre Kindheit im Kongo verbracht. Die Zeit dort hat sie stark geprägt, erzählt sie, und ihr geholfen zu wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Zurück in Deutschland wird Köln ihre kreative Heimat. Sie macht eine Ausbildung zur Elektrikerin und werkelt zuerst ungehört an ihren Texten. Der Startschuss kommt im Herbst 2008 als "Skurreal", die erste Platte der 30jährigen, erscheint. Anfang 2009 verschafft sich Fleur dann mit kompletter Band im Rücken als Fleur Earth Experiment über die Stadtgrenzen hinaus Gehör. Ihr Straßenkötersoul setzt neue Maßstäbe für den Neo-Soul in Deutschland. Umso mutiger im Duo das Tempo wieder zu drosseln. Ging Fleur Earth Experiment druckvoll nach vorne, zelebriert Fleur Earth die Entschleunigung – zumindest in der Musik. Denn "Es entstehen Wesen" ist bereits das dritte Album seit Herbst 2008. Fleur Mouanga und Tim Purnell hetzen nicht nach Ruhm, sind auf dem Boden geblieben und bringen, hoffentlich auch weiterhin, frischen Wind in die deutschsprachige Musiklandschaft.

Autorin: Emily Thomey

Redaktion: Matthias Klaus