1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"This is love"

22. November 2009

Der Filmemacher Matthias Glasner zeigt in seinem neuen Film die dunklen Seiten der Liebe. Glasner rührt an Erzähltabus. Damit eckt er an. Ein Gespräch mit dem Regisseur.

https://p.dw.com/p/Kaym
Ein junger Mann und ein Mädchen sitzen hinter einer Glasscheibe und schauen geradeaus (Kinowelt)
Schwierige LiebeBild: Filmfestival San Sebastian

Seit ihr Mann vor sechzehn Jahren spurlos verschwunden ist, hat die Kommissarin Maggie (Corinna Harfouch) den Glauben an die Liebe verloren. Als sie eines Tages den verschlossenen Chris (Jens Albinus) verhört, verändert sich ihr Leben. Chris erzählt ihr, wie er die 9-jährige Jenjira (Lisa Nguyen) aus einem Bordell in Saigon befreit und nach Deutschland gebracht hat. Jetzt ist Jenjira verschwunden. Chris weiß aber mehr darüber, als er verrät.

Der 44jährige Matthias Glasner gilt hierzulande als klassischer Autorenfilmer. Als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent ist er regelmäßig tätig, dazu gelegentlich als Kameramann, Cutter und Musiker. Seinen Durchbruch erlebte er vor drei Jahren, als er mit dem Drama "Der freie Wille" im Wettbewerb der Berlinale stand - ein radikaler Film, der von dem Versuch eines Vergewaltigers erzählt, ein normales Leben zu führen. Damals gewann Glasner den "Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater". Und sein Partner und Hauptdarsteller Jürgen Vogel wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Ein Mann steht im Regen, Szene aus "This Is Love"
Im Unwetter der Gefühle: Chris (Jens Albinus) in "This is love"Bild: Kinowelt

"Wir sind nicht für die Liebe gemacht"

Inzwischen hat er mit Jürgen Vogel und Lars Kraume die Produktionsfirma "Badlands" gegründet. Der erste Film, den diese neue Firma produziert hat, kommt jetzt in die Kinos: "This is love", alles andere als eine konventionelle Liebesgeschichte. Ein Gespräch mit Matthias Glasner:

DW-World: Im Presseheft bezeichnen Sie den Wunsch nach der ewigen Liebe als einen Fluch. Ein Märchen, das uns seit dem 19. Jahrhundert in Kunst und Literatur vorgegaukelt wird. War das für sie der Ausgangspunkt für den neuen Film?

Matthias Glasner: Ja, genau! Wir neigen ja sehr dazu zu glauben, dass wir das Recht haben, glücklich zu werden durch die Liebe. Als ich bei der Recherche für den Film in Asien war, habe ich gesehen, wie die unglaublichsten kitschigen Soap-Operas im Fernsehen und im Kino laufen. Aber niemand dort würde auf die Idee kommen, dass das etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte. Meist kommen die Leute aus ökonomischen Gründen zusammen, weil die Familie das so will, oder weil es halt passt und ganz ok ist. Aber im Kino gucken sie die unglaublichsten Liebesromanzen.

Mann und Frau sitzen auf gefliestem Boden
Reden über die GefühleBild: Kinowelt

Bei uns ist das anders. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass wir uns den Luxus erlauben können oder glauben erlauben zu können, dass wir nicht nach ökonomischen Gesichtspunkten unsere Liebesverhältnisse aussuchen, sondern nach rein romantischen. Aber dafür sind wir nicht gemacht. Das halten wir gar nicht aus. Das zerstört uns oft. Liebeskummer oder der Schmerz unerfüllter Liebe, betrogen zu werden oder niemals lieben zu können, das sind Dinge, die unsere Psyche nicht verträgt. Offensichtlich sind wir nicht dafür gemacht. Die Natur hat es nicht vorgesehen, dass wir diese romantischen Liebesverhältnisse leben und aushalten.

Schwieriges Thema Pädophilie

Chris kämpft gegen seine eigenen Gefühle für Jenjira an. Dennoch habe ich ihn nicht in erster Linie als Pädophilen erlebt, sondern das eher als eine Art ernsthafte Vater-Tochter-Liebe gesehen.

Das ist schon gewollt, dass das nicht von Anfang an auf einem Tablett serviert wird. Aber Stück für Stück erkennt man, dass das, was wir nicht wissen, auch etwas ist, was er nicht weiß. Weil er es nämlich verdrängt. Aber allmählich wird klar, dass er auf Kinder steht. Es gibt ja eine Szene im Wohnzimmer mit seiner Mutter, wo sie ihn daran erinnert, dass er als Jugendlicher schon mal so eine Geschichte hatte mit einem kleinen Mädchen.

Mann und Frau im Gespräch auf Sofa
Die Kommissarin im Zwiegespräch: Corinna Harfouch und Devid StriesowBild: Kinowelt

Und da sagt er, er könne sich nicht dran erinnern. Also, er will es nicht wahr haben. Aber auch der Vater deutet es an: "Aus manchen Sachen sollte man sich heraushalten. Gerade du solltest dich von solchen Sachen wie den Kindern fernhalten!" Also in seinem Umfeld gibt es das Bewusstsein. Nur er hat es komplett verdrängt.

Interesse am Gefühlsleben der Protagonisten

Warum führen Sie ihre Protagonisten nicht direkt in den Kern der Geschichte, sondern in Kreisen langsam dem Ziel entgegen. Wollen Sie so Assoziationsräume für den Zuschauer schaffen?

Ich befinde mich immer in diesem Zwiespalt, dass ich auf der einen Seite eine Geschichte erzählen will, auch muss. Im Kino erzählt man Geschichten. Andererseits interessiert mich die Geschichte gar nicht so sehr. Mich interessiert in diesem Fall das Thema: Wie Menschen an der Liebe zerbrechen, was das für Gefühle auslöst, und wie es sie verformt und Dinge aus ihnen herausholt, die sie gar nicht sehen wollen.

Zum Beispiel Chris: Nachdem es zwischen ihm und dem Mädchen zu einem sexuellen Akt kommt, lässt er sie zurück. Obwohl er das Mädchen liebt, will er, dass sie stirbt, weil er es einfach nicht aushält, dass es diese Grenzüberschreitung gegeben hat. Diese Dinge berühren mich, die will ich eigentlich erzählen. Oder die Geschichte mit der Nebenfigur, die Devid Striesow spielt. Wo man denkt, was macht den Devid Striesow eigentlich in dem Film? Und dann hat er plötzlich diese Riesenszene im Auto. Und man merkt, dass er auch eine große Tragik mit sich rumschleppt.

Zwei Männer stehen sich im nächtlichen Saigon gegenüber (Kinowelt)
Nachts in SaigonBild: Kinowelt Filmverleih

Das sind die Dinge, die will ich eigentlich erzählen, die muss ich irgendwie in den Film einbauen. Damit gehe ich fast absichtlich etwas schlampig um. Damit sich diese Geschichten nicht so in den Vordergrund drängen. Hitchcock würde sagen: "Das sind lauter kleine MacGuffins": Kinderprostitution, Adoption, eine Kommissarin, ein Fall der zu lösen ist. Das sind nur Dinge, um die Leute bei der Stange zu halten. Aber ich will sie woanders hinführen, an andere Orte in ihrem Bewusstsein, in ihrem Gefühlsleben. Dort, wo sich der Plot auflöst und wo es um ganz andere Fragen geht.

Weg von der Fernsehdramaturgie

Wo sehen Sie "This is love" in Ihrem Gesamtwerk? Welchen Stellenwert hat er für Sie?

Der Film war sehr wichtig für mich. Ich wollte weg von diesem Handkamera-Dokumentar-Stil und von diesem so genannten Naturalismus, an den ich sowieso nicht glaube im Kino. Denn im Kino ist alles Erfindung. Und ich dachte, dass ich mich mit "This is love" mal wieder öffnen möchte. Ich möchte mit allen Mitteln des Verführungskinos arbeiten. Auch eine Geschichte verdichten mit Geistern, die durch Verhörräume laufen, mit großen Stürmen, die apokalyptisch über die Stadt kommen.

Ein Paar auf einer Bank, junger Mann und junge Frau (Kinowelt Filmverleih)
"Der freie Wille"Bild: Berlinale

Ich hatte Lust, all das, was ich auch handwerklich gelernt habe in den letzten 15 Jahren, auch mal in die Wagschale zu schmeißen. Ich hatte Lust großes, wenn auch komplexes Erzählkino zu machen, über ein Thema, das man normalerweise eher im schwierigen Arthausbereich ansiedeln würde. Jürgen Vogel hat gesagt: "Matthias, du kannst kein Unterhaltungsfilm über Pädophilie machen. Das wird nicht funktionieren!" Ich habe es trotzdem versucht.

Mit Jürgen Vogel und Lars Kraume haben Sie Ihre eigene Produktionsfirma "Badlands" gegründet. Dabei verfolgen Sie den Anspruch, eine andere Poesie zu kreieren. Was meinen Sie damit?

Diesen braven, gradlinigen Psychorealismus, der sehr vom Fernsehen geprägt ist, den finde ich im Kino nicht spannend. Den finde ich auch im Fernsehen nicht so spannend. Es war doch immer toll im Kino, dass man die Welt mit anderen Augen sehen konnte. Auch mit anderen Farben, also Farben im vielschichtigen Sinne, auch Farben des menschlichen Daseins. Ich wäre eigentlich gerne noch weiter gegangen, und werde das auch in Zukunft noch weiter machen. Denn mein nächster Film ist ein Science-Fiction-Film, wo es um Risse in Paralleluniversen geht. Ich habe einfach Lust, mehr mit den fantastischen Möglichkeiten des Kinos zu spielen und trotzdem meine Geschichten zu erzählen.

Das Gespräch führte Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten