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Illegale Rettung

19. November 2009

Zweieinhalb Jahre Haft - so lautet das Urteil gegen zwei tunesische Fischer-Kapitäne. Gemeinsam mit ihren Besatzungen retteten die beiden Seeleute vor mehr als zwei Jahren 44 Migranten vor dem Ertrinken.

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Bootsflüchtlinge aus Afrika (Foto: picture-alliance/dpa)
Afrikanische Bootsflüchtlinge in überladenem BootBild: picture-alliance/ dpa

­­­­­­­­­­­­­­Seit über zwei Jahren saßen im sizilianischen Agrigent sieben tunesische Fischer auf der Anklagebank. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einreise und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Im August 2007 waren sie im Mittelmeer auf ein Schlauchboot mit 44 afrikanischen Flüchtlingen gestoßen und hatten die Ertrinkenden an Bord geholt. Und weil die Mittelmeerinsel Lampedusa in dem Fall näher war als der tunesische Heimathafen, steuerten sie die italienische Küste an, auch wegen des schlechten Wetters. Dafür sollen die beiden Kapitäne jetzt in Haft gehen. Die Besatzungsmitglieder wurden von der Anklage freigesprochen.

Vorbildlich gehandelt

Kapitän Stefan Schmidt und Elias Bierdel (Foto: AP)
Kapitän Stefan Schmidt und Elias Bierdel retteten mit der Cap Anamur FlüchtlingeBild: AP

Ein Urteil, das auf viel Unverständnis stößt: "Sie haben das einzig Mögliche getan", sagt Elias Bierdel von der Mitbegründer der Organisation "borderline europe", die versucht, die zahlreichen Todesfälle an den EU-Außengrenzen zu dokumentieren. "Sie haben die Behörden informiert, die Küstenwache auf Lampedusa. Dort wollte man sich kümmern. Aber dann kam keiner." Trotzdem hätten die Fischer es geschafft, bei Windstärke fünf 44 Menschenleben zu retten. Elias Bierdel spricht aus Erfahrung. Gerade erst hat er selbst einen fünfjährigen Prozess hinter sich, in dem italienische Behörden ihm und dem Kapitän Stefan Schmidt Schlepperei vorgeworfen hatten. Sie waren für die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur unterwegs gewesen und hatten 2004 ebenfalls in Seenot geratene afrikanische Flüchtlinge gerettet. Der Freispruch kam erst im Oktober 2009 – und sicher war das keinesfalls. Nach dem ersten Plädoyer sei er zum Staatsanwalt gegangen, erinnert sich Elias Bierdel. Er habe ihn gefragt: "Halten Sie uns wirklich für Kriminelle?" Und da habe er ohne zu Zögern gesagt: "Unsinn!" Und als er dann fragte: "Und was soll das Ganze?" habe der Staatsanwalt gesagt: "Ich mache nur meinen Job!".

Ein Exempel statuieren

Rettungsaktion von Cap Anamur
Cap Anamur nimmt gekenterte Flüchtlinge aufBild: picture-alliance/ dpa

Bierdel ist sich sicher: Mit dem Prozess gegen ihn und Kapitän Schmidt sollte ein Exempel statuiert werden, ebenso wie in dem aktuellen Fall der sieben tunesischen Fischer. Die Staatsanwaltschaft forderte drei Jahre Haft und 440.000 Euro Geldstrafe, das soll Nachahmern eine Mahnung sein, glaubt Bierdel: "Es sagt ja niemand offen, dass Hilfe verboten und unterlassene Hilfe gerne gesehen wird. Stattdessen sucht man eine Ausflucht, irgendetwas, das man vorwerfen kann. Und in diesem Fällen ist das eben die Schlepperei."

Wenig Öffentlichkeit

Mit den beiden Kapitänen in Agrigent sind jetzt zum ersten Mal Retter für ihr Handeln bestraft worden. Aber auch die freigesprochenen Tunesier sind genug gestraft: Ihrem Beruf konnten die Angeklagten in ihrer Heimat nicht mehr nachgehen, weil sie keine Lizenz für die Hochseefischerei mehr bekommen. Und die konfiszierten Boote liegen immer noch in Lampedusa. "Es trifft hier brave Menschen, die da draußen auf dem Meer unterwegs sind. Sie haben meinen höchsten Respekt. Sie sind nun vernichtet, ihre Familien sind vernichtet, weil die Boote beschlagnahmt sind. Die Männer sind ohne Arbeit und ich frage mich: In wessen Namen geschieht das?", sagt Bierdel.

Allein im Jahr 2008 sind nach Angaben der UN 36.000 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer nach Europa zu überqueren ertrunken. So mancher Fischer oder Kapitän wird es sich künftig dreimal überlegen, ob er, wenn er im Mittelmeer auf schiffbrüchige Flüchtlinge trifft, das hohe persönliche Risiko auf sich nimmt und sie rettet.

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Katrin Ogunsade