1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wachstumsmotor Agro-Industrie

16. November 2009

Der "Welttag der Industrialisierung Afrikas", zu dem die UN den 20. November 1989 erklärten, ist leider kein herausragender Gedenktag der Weltgemeinschaft, bedauern Dr. Michael Brüntrup und Christian von Drachenfels.

https://p.dw.com/p/KY34
Gastkolumne vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Grafik: DW)
Bild: DW

Die gleichzeitig erklärte "Zweite Dekade für die industrielle Entwicklung Afrikas 1991-2000" ist ebenfalls fast vergessen, denn die letzten Dekaden waren in Afrika eher von De-Industrialisierung gekennzeichnet: Der Anteil der verarbeitenden Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Subsahara-Afrika schrumpfte zwischen 1970 und 2006 von 11 auf 7,5 Prozent.

Nur durch die Rohstoffextraktion konnte der Anteil des Industriesektors am BIP über diesen Zeitraum bei etwa 30 Prozent gehalten werden. Afrikanische Ökonomien sind in den letzten Jahren primär aufgrund von steigenden Preisen und nicht aufgrund von Produktivitätssteigerungen gewachsen. Ohne Südafrika, das etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung Subsahara-Afrikas erbringt, wären die Daten noch wesentlich schlechter.

Industrialisierung mehr oder weniger gescheitert

Dr. Michael Brüntrup (Foto: DIE)
Dr. Michael BrüntrupBild: DIE

Dass sich Subsahara-Afrika industrialisieren sollte, wird selten bezweifelt - kaum ein Land der Welt hat ohne diesen Prozess ein akzeptables Niveau an Lebensqualität gewonnen. Allerdings gilt die bisherige Industrialisierungspolitik in Subsahara-Afrika mit wenigen Ausnahmen als gescheitert. Nach staatsgelenkter Importsubstitution und ungesteuerter Liberalisierung ist man nun auf der Suche nach einer neuen Balance zwischen Liberalisierung, Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und aktiver Industriepolitik.

A priori hat Industrialisierung in Subsahara-Afrika zurzeit kaum eine Chance. Seit 50 Jahren können Länder mit billiger Arbeitskraft billige Massenwaren für den Export produzieren, und vor allem die Asiaten waren damit höchst erfolgreich. Diese Strategie nachzuahmen ist heute angesichts des verschärften globalen Wettbewerbs kaum noch möglich. Die Lohnkosten sind in vielen asiatischen Ländern niedriger als in Subsahara-Afrika, wo zudem die Arbeitsproduktivität und die Kapitalverfügbarkeit geringer sind. Die afrikanische Infrastruktur ist schlecht, die Transportkosten sind hoch und die Energieversorgung ist teuer und unzuverlässig. Kurzum: die industrielle Produktion in Afrika ist international nicht wettbewerbsfähig.

Chance Agro-Industrie

Christian von Drachenfels (Foto: DIE)
Christian von DrachenfelsBild: DIE

Warum sollte also gerade die Agro-Industrie eine Option für die Entwicklung Afrikas sein? Erstens wird sich Subsahara-Afrika nur erfolgreich entwickeln, wenn es seine wenigen Stärken ausnutzt. Dazu gehört zunächst die optimale Nutzung der bestehenden komparativen Vorteile, die sich vor allem in der Rohstoffnutzung und in der Landwirtschaft finden.

Zweitens kann es mit reinen Effizienzsteigerungen innerhalb der bestehenden Strukturen nicht getan sein. Für langfristiges Wachstum sowie einen höheren Lebensstandard sind eine breit aufgestellte Industrialisierung und die Entwicklung von modernen Dienstleistungen Voraussetzung. Dafür bietet sich der agro-industrielle Sektor aufgrund folgender Überlegungen an: Afrika ist neben Südamerika der Kontinent mit den größten Flächenreserven. Alleine in den Savannenregionen Afrikas sind von 600 Millionen Hektar (doppelt so viel wie die weltweite Weizenanbaufläche) gerade einmal 10 Prozent bewirtschaftet. Diese Reserven sind mitnichten immer schützenswerter Wald, sondern oft durch extensive Viehhaltung, Wanderfeldbau und mangelnde mineralische Düngung stark degradierte Flächen.

Bei der Produktion stark mechanisierbarer Produkte wie Weizen oder Soja haben afrikanische Produzenten zwar einen Wettbewerbsnachteil, aber bei vielen landwirtschaftlichen Produktionsprozessen spielt die Handarbeit immer noch eine große Rolle, und hier können afrikanische Landwirte international mithalten. So sind westafrikanische Baumwoll-Kleinbauern durchaus in der Lage, mit US-amerikanischen Agrargroßbetrieben zu konkurrieren, wenn ihnen faire Wettbewerbsbedingungen gewährt werden.

Lokale Produkte beliebter als ausländische Importe

Höhere und stabilere Einkommen urbaner Haushalte sowie zunehmende Rücküberweisungen von Migranten führen in Subsahara-Afrika zu einem Anstieg der kaufkräftigen Nachfrage nach mehr und höherwertigen Nahrungsmitteln. Auf dem lokalen Markt haben einheimische Produzenten tendenziell einen Vorteil gegenüber ausländischen Importen, denn sie stellen Produkte her, die den Konsumenten vertraut sind. Viele afrikanische Grundnahrungsmittel wie Knollenfrüchte, Hirse, Kochbananen, viele Gemüse etc. werden international nicht gehandelt. Da sich Nahrungsgewohnheiten nur langsam ändern, liegt hier eine Chance afrikanischer Bauern gegenüber internationalen Wettbewerbern - sofern es gelingt, durch bessere und neuartige Verarbeitung, Verpackung und Distribution mit den sich ändernden Bedürfnissen Schritt zu halten. Der Nahrungsmittelmarkt ist riesig - selbst in Ländern mit mittlerem Einkommen liegt der Ausgabenanteil für Nahrung bei über 40 Prozent - und arbeitsintensiv, so dass er sich hervorragend für die Förderung breitenwirksamen Wachstums eignet.

Viele landwirtschaftliche Produkte erfahren schon heute eine zumindest einfache Verarbeitung. Hier bestehen oft agro-industrielle Wachstumskerne, an die angeknüpft werden kann. Um dieses Potential zu realisieren, sind sowohl gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen, gute Regierungsführung als auch selektive Unterstützung von Branchen nötig. Die typischen Kleinbauern, mittelständischen Lebensmittelverarbeiter und informellen Händlernetzwerke sind zu den erforderlichen Innovationen alleine nicht im Stande. Auch die Vermarktung bedarf der Unterstützung, denn für große Nahrungsmittelvertreiber ist es bisher einfacher, sich auf dem Weltmarkt zu bedienen als die Produktion und Verarbeitung im afrikanischen Hinterland zu organisieren, selbst wenn dort komparative Vorteile in der Produktion vorhanden sind. Der Zugang zu Kapital, die Nachhaltigkeit der Produktion, die Unterstützung für Innovationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sowie die Verbesserung von Vermarktung, Qualität und Qualitätskontrolle müssen Elemente einer koordinierten Agrar- und Industriepolitik sein, damit eine privatwirtschaftlich organisierte Agro-Industrie zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas werden kann.

Dr. Michael Brüntrup, Agrarökonom, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Wettbewerbsfähigkeit und soziale Entwicklung", Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Christian von Drachenfels, Politikwissenschaftler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung", Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.