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Presseschau: Merkel vor dem US-Kongress

4. November 2009

Die Rede der Bundeskanzlerin Merkel vor dem US-amerikanischen Kongress wird in der deutschen Presse vielfach gelobt. Der freundliche Grundton ihrer Rede wird jedoch nicht immer positiv bewertet.

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Themenbild Presseschau (Foto: DW)
Bild: DW

Die "taz" aus Berlin:

"Es gibt Jubiläen, die fallen so günstig, dass man sie erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Einen besseren Termin für den 20. Jahrestag des Mauerfalls hätte die Kanzlerin sich nicht wünschen können. Und selbst dem US-Präsidenten - dem ein gutes deutsch-amerikanisches Verhältnis nicht ganz so wichtig ist wie dem Gast aus Berlin - dürfte es gelegen kommen, dass die deutsche Regierungschefin ausgerechnet jetzt mit der Einladung zu einer Rede vor beiden Häusern des Kongresses geehrt wurde. Denn der Auftritt von Angela Merkel ist nicht der vorläufige Höhepunkt einer innigen transatlantischen Beziehung, sondern die Chance, eine schwierige Situation zu entkrampfen. Also die Gelegenheit zu einem Neuanfang. (...) Im Weißen Haus haben Barack Obama und Angela Merkel unter anderem über Klimaschutz, über den Krieg in Afghanistan und über die Weltwirtschaft gesprochen - samt und sonders Themen, bei denen es nicht um trauliche Reminiszenzen, sondern um handfeste Interessengegensätze geht. Hinzu kommt, dass die Chemie zwischen Kanzlerin und US-Präsident bisher nicht besonders gut war. Ob man sich mag, spielt aber auch in der Politik eine Rolle. In den nächsten Jahren müssen die beiden miteinander auskommen, ob sie wollen oder nicht. Da trifft es sich gut, dass es nun eine so gute Gelegenheit gab, einfach nett zueinander zu sein."

Die "Kölnische Rundschau":

"Nimmt man die gegenseitigen Liebesbezeugungen als Maßstab, die gestern den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington prägten, so könnte man zu dem Schluss gelangen: Selten war es um das transatlantische Klima besser bestellt. Mit ihrer ganz auf die Emotionen der Gastgeber abzielenden Ansprache sparte die Bundeskanzlerin geschickt alle Möglichkeiten für größere Irritationen aus, fand aber dennoch beim wichtigen Klima-Thema -vor allem mit Blick auf die UN-Konferenz von Kopenhagen - die richtigen Worte."

Die "Frankfurter Rundschau":

"Es spricht für Merkel, dass sie nach der gefühligen Geste das amerikanische Volk in einer brillanten Rede deutlich an seine Pflicht in Sachen Klimaschutz erinnert hat. Ob dieser Appell das ergriffene Publikum allerdings erreicht, sei dahingestellt. Die Kanzlerin jedenfalls hat das Wesen der transatlantischen Beziehung auf den Punkt gebracht: Lob und Dank für den großen Verbündeten, aber auch Forderung und Verpflichtung."

"Badische Neueste Nachrichten" aus Karlsruhe:

"Einen breiteren roten Teppich gibt es nicht in Washington, höhere Ehren hat Amerika nicht zu vergeben. Wenn ausländische Politiker zu beiden Häusern des Kongresses sprechen, dann geht es nicht so sehr darum, was für eine Rede sie halten. Es geht darum, dass sie dort reden, beklatscht, bejubelt, mit stehenden Ovationen bedacht. Es ist der Ritterschlag der amerikanischen Demokratie. (...) Bleibt 'Angie', die Verlässliche, Berechenbare. Die Frau, die geschickt Kompromisse einzufädeln versteht. Außerdem ist sie die Pastorentochter, die in der DDR aufwuchs und sich erst im vereinten Deutschland entfalten konnte. Eine graue Maus im Sozialismus, in der westlichen Demokratie an der Spitze. Amerika liebt solche Geschichten. (...) Eines darf man allerdings nicht vergessen: Es ist ein Blick zurück. Der Fall der Mauer steht eben auch für eine Zeit, in der es für die Vereinigten Staaten keine wichtigere Weltgegend gab als Europa. Heute verschieben sich die Gewichte. Kein US-Präsident hat Asien so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie Obama, der sich wiederum nur den Realitäten anpasst. Irgendwann dürfte der Präsident Chinas hinterm Rednerpult im Kapitol stehen."

Die "WAZ" aus Essen:

"So tritt ein Gast auf: höflich und rücksichtsvoll, einschmeichelnd und ermutigend, nicht fordernd, belehrend oder undankbar. Es war eine einmalige Geste, dass der US-Kongress die deutsche Bundeskanzlerin einlud. Angela Merkel antwortete darauf mit einer wohltemperierten Rede: Mehr Rückblick als Ausblick. Wer was anderes erwartet hatte, Wegweisendes von der Frau im Ruf einer Klimakanzlerin, der hat zumindest den Kalender aus den Augen verloren. So nah am 9. November, am 20. Jahrestag des Mauerfalls, drängte sich eine andere Grundmelodie auf. Und weil der US-Senat immer noch keine Festlegung für den Weltklimagipfel getroffen hat, wären detaillierte Ratschläge über CO-Minimierungsziele sogar kontraproduktiv gewesen."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Mit der Danksagung für den Beistand Amerikas von der Luftbrücke bis zur Wiedervereinigung traf sie den richtigen Ton. Solche Reden beseitigen nicht die Interessengegensätze (...). Doch hilft gerade im Streit die Erkenntnis weiter, dass die Übereinstimmung im Grundsätzlichen die Differenzen im Detail weit überwiegt."

Zusammengestellt von Patrizia Pullano.

Redaktion: Dirk Eckert