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Subkultur auf 40 Quadratmetern

6. November 2009

Verrissen, verboten, verstummt? DW-Autorin Nadine Wójcik porträtiert fünf Künstler, die den Kampf mit der DDR-Zensur aufgenommen - und auf ihre persönliche Art gewonnen haben. Folge 5: Der Galerist Jürgen Schweinebraden.

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Jürgen Schweinebraden in der Ausstellung 'Sein und Wesen - Der unbekannte A.R. Penck' (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Sie lieben die schrägen Töne und die endlosen Improvisationen. Die Jungs - neben Jürgen Schweinebraden sind unter anderem auch Peter Graf und Ralf Winkler dabei - sind Anfang 20 und treffen sich regelmäßig in der Arbeitsgemeinschaft Jazz im sogenannten "Pionierpalast" in Dresden. "Wir haben viel und leidenschaftlich diskutiert", sagt Schweinebraden heute. "Vor allem über Jazz, aber auch über Kunst."

Jazz als ein Touch oppositioneller Haltung, die es ermöglicht, eine eigene Identität in einem starren Staatssystem zu finden. Und Kunst als Versuch, diese Identität über Malerei auszudrücken. Schon einige Jahre später werden einige von ihnen bedeutende Maler der DDR-Subkultur sein, vor allem Ralf Winkler, der später unter dem Pseudonym A.R. Penck international bekannt wird. Helfen wird ihnen dabei auch Schweinebraden. Als erster unabhängiger Galerist in der DDR wird er ihre Bilder ausstellen.

A.R. Penck: Skizzen (Foto: Archiv Jürgen Schweinebraden)
A.R. Penck: Skizzen, EP-Galerie

Aus einer besetzten Wohnung wird eine Galerie

Zunächst einmal studiert Jürgen Schweinebraden aber Psychologie und Industriesoziologie. Er bekommt eine Arbeitsstelle als Leiter einer Ehe-, Familien- und Beratungsstelle in Ost-Berlin. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin wird ihm eine Wohnung im Prenzlauer Berg zugewiesen, ein Stadtteil mit vielen, jedoch unsanierten Altbauten: Ofenheizung, undichte Fenster, Außenklo. Hier wohnen viele Rentner, aber auch Studenten, ehemalige Sträflinge und Künstler – keine besonders linientreue Bevölkerung.

Als in ihrem Wohnhaus eine weitere Wohnung frei wird, besetzen Schweinebraden und seine Freundin sie einfach kurzerhand. 1973 stirbt Picasso, und Schweinebraden hat den spontanen Einfall, eine Ausstellung zu organisieren – als Hommage an den weltweit bekannten Maler. In der knapp 40 Quadratmeter großen Wohnung hängt er ein Jahr später Bilder von rund 30 Künstlern auf. Die Ausstellung wird ein Erfolg. Die Anzahl der Besucher sprengt gänzlich die Räumlichkeiten der Wohnung.

Es ist die Geburtsstunde der EP-Galerie, der "Einzig-Privat-Galerie". Keine kommerzielle Galerie, sondern - wie Schweinebraden sie heute nennt - eine Informationsgalerie. Er will über Kunst informieren, zeigen, was aufgrund der kulturellen Staatsideologie verborgen ist. Damit gibt er auch kritischen Malern und Künstlern ein Forum.

Jürgen Schweinebraden und seine Freunde beim Musizieren (Foto: Archiv Jürgen Schweinebraden)
Leidenschaftlich schräg: "Die Jungs" in der EP-Galerie

"Ich hatte einfach keine Angst"

Von nun an organisiert Schweinebraden jeden Monat eine neue Ausstellung, parallel zu seiner Arbeit als Psychologe. Erst nur mit Künstlern aus der DDR, später aus dem ganzen Ostblock und sogar aus dem Westen. Er zeigt erstmals in der DDR vollkommen unbekannte Kunstformen wie MailArt, Performances oder Fluxus. Die EP-Galerie wird zur bekanntesten Galerie für zeitgenössische Kunst in der DDR - häufig kommen auch Besucher aus Westdeutschland zu den Eröffnungen. "Meine Frau hatte viel Angst. Vor fast jeder Ausstellungseröffnung ist sie einfach gegangen, weil sie immer dachte, jetzt passiert irgendetwas. Ich hatte diese Angst nie. Natürlich war ich auch blauäugig. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, mit welchen Methoden, außer die Szene zu beobachten und zu kontrollieren, die Jungs zugange sind."

Die Jungs - damit meint Schweinebraden die Mitarbeiter der Staatssicherheit, verdeckte, ständige Besucher der Galerie. Und ständige Begleiter Jürgen Schweinebradens, der als Staatsfeind eingestuft und gegen den der OV, der "Operative Vorgang", ARKADE läuft. In seiner Stasi-Akte liest er Jahre später: "Schweinebraden unterhält in der Dunkerstraße 17 in Berlin-Prenzlauer Berg ein illegales Atelier. Dort treffen sich in unregelmäßigen Abständen Personenkreise, die der Kulturpolitik von Partei- und Regierung der DDR ablehnend bis feindlich gegenüber stehen."

Schweinebraden soll "zersetzt" werden

Es wird erst eine, dann weitere Zersetzungsmaßnahmen eingeleitet. Die "feindlich-negative Person" Schweinebraden soll mit verdeckten Methoden zerstört werden, das heißt in den Wahnsinn oder gar in den Suizid getrieben oder zur Flucht aus der DDR gezwungen werden.

A.R. Penck (Foto: Archiv Jürgen Schweinebraden)

Systematisch versucht die Stasi, den Galeristen in seiner Umgebung bloß zu stellen. Verdeckte Mitarbeiter beschmieren beispielsweise die Wände seines Wohnhauses mit Fäkalien, damit sich die Nachbarn vor ihm ekeln. Sie versuchen, einen Keil zwischen ihn und seine Lebensgefährtin zu treiben, indem sie ihr Pornozeitschriften aus Westberlin schicken, damit er glaubt, sie habe eine Affäre.

Schweinebraden und seine Lebensgefährtin ahnen nichts. "In unserem Freundeskreis gab es den ein oder anderen Verrückten, dem wir diese Spielchen zugeschrieben haben." Ihnen ist aber bewusst, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit bespitzelt werden und eventuell auch ihr Telefon abgehört wird.

Insgesamt acht Maßnahmepläne mit zahlreichen derartigen Schikanen laufen gegen den Galeristen. So wird auch überlegt, wie der Galeriebetrieb gestört werden könnte. Die Stasi erwägt zum Beispiel, eine Horde von verkleideten Punks auf eine Veranstaltung zu schicken, um daraufhin mit der Volkspolizei eingreifen zu können. Doch diese Einzelmaßnahme wird nicht eingeleitet. Ein Vermerk in der Stasi-Akte konstatiert: "Beobachtungsobjekt ist zu intelligent, um dies nicht als Maßnahme unsererseits zu erkennen."

Was Schweinebraden nicht ahnt: Die ganze Wohnung ist verwanzt, und die Akte des OV ARKADE umfasst am Ende 17 Ordner mit 8000 Seiten .

Stasi zersetzt sich selbst

Von all diesen Maßnahmen erfährt Schweinebraden erst nach der Wende, als er seine Akte einsieht. Eine heitere Lektüre: "Ich musste immer wieder lachen. Das war natürlich ziemlich unangebracht, weil andere Leute um mich herum beim Lesen ihrer Akten heulten. Aber ich konnte nicht anders. Was diese Idioten alles versucht haben, um mir zu schaden…"

Und lachen musste er vor allem auch deshalb, weil derart viele Abteilungen mit ihm und seiner Galerie befasst waren, dass sich die Staatssicherheit gegenseitig auf die Füße trat. So verschickte beispielsweise die eine Abteilung in seinem Namen Einladungskarten für eine Ausstellungseröffnung, die es gar nicht gab. "Sie wollten damit wohl erreichen, dass vor meiner Tür lauter Leute stehen, ein dummes Gesicht machen und ich damit als unzuverlässig gelte."

Das Absurde daran war aber, dass eine andere Abteilung der Stasi eben jene Einladungskarten abfing – in dem Glauben, Schweinebraden habe die Einladungen tatsächlich verschickt. So hebelten sich die Abteilungen bei ihren "Maßnahmeplänen" manchmal gegenseitig aus.

Jürgen Schweinebraden und seine Freunde (Foto: Archiv Jürgen Schweinebraden)
"Feindlich-negative Person": Jürgen Schweinebraden mit seinen Künstlerfreunden in Ost-BerlinBild: Archiv Jürgen Schweinebraden

Liebe zur Kunst – kein Motiv für die Stasi

Aber Schweinebraden liest auch Verletzendes in seiner Akte. Beispielsweise über einen befreundeten Künstler, der als IM - als Inoffizieller Mitarbeiter - für die Stasi arbeitete. Doch ist der Galerist glimpflich davon gekommen. Auf eine Art scheint er unter dem "Schutz" der Stasi gearbeitet zu haben, da sie offensichtlich jahrelang nach Hintermännern suchte, die es nie gab: "Sie konnten sich wohl einfach nicht vorstellen, dass ich nur aus Begeisterung und Liebe zur Kunst Ausstellungen organisierte."

1978 werden mehrere Ordnungsstrafen gegen ihn verhängt, unter anderem wegen "Erstellung illegaler Druckerzeugnisse". Schweinebraden wird aus heiterem Himmel die Arbeitsstelle gekündigt. Zum ersten Mal spürt er, welche Macht die Staatssicherheit über sein Leben hat.

Das Ende des OV ARKADE

Jürgen Schweinebraden stellt einen Ausreiseantrag, der 1980 bewilligt wird. Für die Stasi sind die Zersetzungsmaßnahmen damit erfolgreich beendet. Gemeinsam mit seiner Frau reist der Galerist nach Niedenstein in die Nähe von Kassel aus, wo ein Teil seiner Familie lebt. Der Einstieg in die Arbeitswelt im Westen ist schwerer als erwartet. Ein Jahr lang ist Schweinebraden arbeitslos.

Doch sein Ruf als erster unabhängiger Galerist der DDR ist auch im Westen bekannt. So wird er Anfang der 80er-Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Neuen Nationalgalerie in West-Berlin. Später folgen weitere beruflich spannende Herausforderungen, beispielsweise als stellvertretender Leiter der documenta 8, der weltweit wichtigsten Kunstausstellung, oder als Direktor des Kunstvereins in Hamburg.

A.R. Penck: Übermalungen (Foto: Archiv Jürgen Schweinebraden)
A.R. Penck: Übermalungen, EP-Galerie

Doch auch im Westen ist Jürgen Schweinebraden vor der Staatssicherheit nicht sicher. Um seiner Karriere zu schädigen, streut sie immer wieder mit anonymen Briefen und Anrufen ironischer Weise das Gerücht, dass er Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi sei.

Haben all diese jahrelangen Beschattungen und Schikanen der Staatssicherheit tatsächlich keine Spuren hinterlassen? "Ich fand das alles gar nicht so unlustig", sagt Schweinebraden. Über so manche Pleiten und Pannen, die der Stasi bei seiner Beschattung immer wieder passierten, muss er bis heute lachen. "Aber ich muss auch zugeben: Ich hab keine Ahnung, wie lange ich das noch ausgehalten hätte, wenn ich nicht in den Westen hätte ausreisen können."

Literatur-Empfehlung:

Jürgen Schweinebraden Frhr. V. Wichmann-Eichhorn (Hrsg.),

-Blick zurück - im Zorn? Die Gegenwart der Vergangenheit, Band 1, EP Edition und Verlag, Niedenstein 1998.

-Nebel am Horizont, Die Gegenwart der Vergangenheit, Band 2, EP Edition und Verlag, Niedenstein 1998.

Autorin: Nadine Wójcik
Redaktion: Ramón Garcia-Ziemsen