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"Es geht um die Schaffung neuen Lebens!"

30. Oktober 2009

110 Teams aus aller Welt wetteifern bei einem großen Wissenschaftsfest an der Elite-Universität M.I.T. in Boston um den Titel des besten Bio-Konstukteurs. Auch deutsche Teams sind mit dabei. Zum Beispiel aus Freiburg.

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16 Studis, zwei Berater: Das bioware Team der Universität Freiburg beim Foto-Shooting (Foto: Kristian Müller)
16 Studis, zwei Berater: Das bioware Team der Universität Freiburg beim Foto-ShootingBild: Kristian Müller

Im Labor des Instituts für Biologie III der Universität Freiburg ist es mit der schöpferischen Ruhe vorbei, wenn die Studenten einfallen. 14 Studenten haben sich in diesem Jahr zusammen getan, um am diesjährigen iGEM-Wettbewerb teilzunehmen. Schon im Sommersemester haben sie begonnen, mit speziellen Bauteilen, die sie tiefgefroren aus den USA erhalten haben, Bakterien gezielt zu verändern. "Das ist etwas anderes als die üblichen Großpraktika", erklärt Gerrit Gresch, während er vorsichtig mit einer Pipette einen Flüssigkeitstropfen aus einem kleinen Plastikgefäß saugt. "Es geht um ein eigenes Projekt, das wir Studenten selbstständig durchführen."

Die Gen-Fragmente werden unter UV-Licht angeschaut (Foto: Kristian Müller)
Die Gen-Fragmente werden unter UV-Licht angeschautBild: Kristian Müller

Wettbewerb der Biobastler

Der Wettbewerb iGEM begann 2003 mit einer Studentengruppe am M.I.T., dem Massachusetts Institute of Technology. 2004 waren es schon fünf Teams, und in diesem Jahr sind mehr als 110 Mannschaften am Start. Die meisten kommen aus den USA und Europa, aber auch Japan, Indien, China, Südkorea, Brasilien und Mexiko sind vertreten. Überall auf der Welt arbeiten die Studenten mit den gleichen standardisierten biologischen Bauelementen: den so genannten Biobricks.

Im Prinzip lassen sich die Biobauteile wie Legosteine immer wieder neu kombinieren, so dass Moleküle oder Lebewesen entstehen, die es vorher nicht gab. Zum Beispiel Bakterien, die blinken wie ein Weihnachtsbaum, oder sich zusammen schalten und im Polka-Rhythmus Lichtsignale aussenden. Aber auch viele nützliche Bauteile wurden bereits hergestellt.

Laborspionage: Reporter Michael Lange schaut den Studenten in die Pipetten (Foto: Kristian Müller)
Laborspionage: Reporter Michael Lange schaut den Studenten in die PipettenBild: Kristian Müller

Restriktions-Endo ... was ...? Eine genetische Schere!

Die 14 Freiburger Studenten haben sich eine besonders schwere Aufgabe gestellt. Sie konstruieren eine neue genetische Schere: eine sogenannte Restriktions-Endonuklease. Dieses Enzym soll das Erbmolekül DNA zerschneiden, und zwar gezielter als vergleichbare Enzyme, die in der Natur vorkommen und von Gentechnikern bereits seit den 70er Jahren verwendet werden. Dazu haben die Studenten verschiedene biologische Enzymteile kombiniert und ein Adapter für die Erkennung bestimmter DNA-Codes konstruiert. So soll eine programmierbare genetische Schere entstehen.

Wenn die Schere funktioniert, wäre das eine Bereicherung für den Werkzeugkasten jedes Biobastlers. "Das Ziel ist sehr hoch gesteckt, und einige Wissenschaftler haben es früher vergeblich versucht", so Molekularbiologe Kristian Müller: "Aber seitdem wurden neue Methoden entwickelt, und deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, dieses Experiment zu machen." Der gestandene Wissenschaftler kennt den iGEM-Wettbewerb seit Jahren und steht dem Studententeam als Berater zur Seite. 2008 belegte das von ihm betreute Team der Universität Freiburg beim Finale am M.I.T. den zweiten Platz von 84 Mannschaften. Besser waren nur die Slowenen.

Es geht um die Schaffung neuer Lebewesen

Der Wettbewerb ist Teil einer wissenschaftlichen Bewegung für synthetische Biologie. "Das ist mehr als nur Gentechnik", erklärt iGEM Mitbegründer Drew Endy immer wieder. Seiner Definition nach ist Gentechnik lediglich die Veränderung existierender Lebewesen, indem man artfremde Gene in natürliche Organismen einbringt. Synthetische Biologie hingegen bedeutet Konstruktion neuer Biomoleküle, die Verwendung standardisierter Biobauteile und irgendwann die Schaffung neuer Lebewesen, wie sie in der Natur nicht vorkommen. Die Synthetische Biologie sieht sich nicht als Manipulation existierenden Lebens, sondern als Ingenieurs-Wissenschaft für das Leben.

Bakterien unter dem Rasterelektronenmikroskop(Foto: dpa)
Es gibt auch Kritik an der Bio-Bastelei: Je einfacher neue 'Lebewesen' wie Bakterien oder Viren erschaffen werden könnten, desto wahrscheinlicher sei gefährlicher MissbrauchBild: dpa/PA

Gefährliche Viren durch Bio-Hacker?

So wie in den siebziger und achtziger Jahren die Computer die Forschungsinstitute, Rechenzentren und Großkonzerne verlassen haben, und jeder selbst drauflos programmieren konnte, so soll auch das Programmieren von Biomolekülen und Zellen öffentlich werden. "Wie es eine Computer-Hacker-Szene gibt, wird dann auch eine Bio-Hacker-Szene entstehen, mit all den Vorteilen, aber auch den Risiken, die damit verbunden sind", befürchtet Markus Schmidt vom Institut für Dialog- und Konfliktforschung in Wien. "Schon heute ist es für jemanden mit schlechten Absichten möglich, ein neues Grippevirus zu synthetisieren,“ warnt er und weist darauf hin, dass eine freie Bio-Hacker-Szene sich kaum durch staatliche Organisationen kontrollieren lässt.

"Wir wollen nicht Gott spielen!"

Für die Studenten spielen diese Diskussionen keine Rolle. Für sie ist die synthetische Biologie ein spannendes Wissensfeld, dass sie sich erschließen können; und zwar nicht durch stures Pauken oder Nachkochen von Experimenten, die schon Generationen von Studenten zuvor durchgeführt haben. Stattdessen sind Kreativität, Ausdauer und Teamgeist gefragt bei der synthetischen Biologie. "Das hat nichts mit Gott spielen zu tun", erklärt Carolin Nieder. "Wir schaffen doch kein Leben. Wir arbeiten mit Bakterien und konstruieren neue Moleküle. Das ist alles.

Autor: Michael Lange

Redaktion: Judith Hartl