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Presseschau: Eine Niederlage für den Bundesbank-Chef

14. Oktober 2009

Die Sanktionen der Bundesbank gegen Thilo Sarrazin sind Stoff in den Kommentar-Spalten deutscher Zeitungen vom 14.10.2009. Die Meinungen zu dem Thema gehen weit auseinander.

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Themenbild Presseschau (Foto: DW)
Bild: DW

HANDELSBLATT (Düsseldorf): Bundesbankchef Weber hätte Sarrazins Entlassung beantragen müssen

"Der Burgfrieden, den Bundesbank-Chef Axel Weber gestern mit seinem Vorstandskollegen Thilo Sarrazin geschlossen hat, ist eine Niederlage für Weber. Nachdem Sarrazin in einem Zeitschrifteninterview in die allerunterste Schublade gegriffen hatte, um Türken, Araber und sozial Schwache herabzuwürdigen, hatte Weber zunächst auf Konfrontation geschaltet. Er hatte seinen Vorstandskollegen öffentlich für diskriminierende Äußerungen gerügt und ihm zwischen den Zeilen auch noch den Rücktritt nahegelegt. Aber an dem sturmerprobten ehemaligen Berliner Finanzsenator, der schon des Öfteren durch beleidigende Äußerungen polarisiert hat, ist Webers Angriff abgeprallt. Einen Vorstandsbeschluss herbeizuführen, um beim Bundespräsidenten Sarrazins Entlassung zu beantragen, wäre folgerichtig gewesen. So weit ging aber Webers Mut oder sein Rückhalt im Bundesbank-Vorstand nicht."

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: Streit ist gut, aber nur wenn er konstruktiv ist

"Es wird nicht mehr verdrängt, verkleistert und schöngeredet, sondern munter gestritten­ und alle mischen mit. Kritik an der Entwicklung von Parallelgesellschaften in unseren Großstädten kann nicht mehr pauschal als 'ausländerfeindlich' mundtot gemacht werden. Andererseits haben auch die Einwanderer gelernt, sich organisiert Gehör zu verschaffen, wo über sie, statt mit ihnen gesprochen wird. Das alles sind Erfolge der großen Koalition und insbesondere Schäubles... Die eigentliche Integrationspolitik aber, die vor allem Bildungspolitik ist, wird in den Ländern gemacht. Dort sollte zum Beispiel auch die Anregung Kolats aufgegriffen werden, mehr Lehrer aus Einwandererfamilien auszubilden. Und überhaupt wäre es zu begrüßen, wenn beim Mitmischen weniger über kontroverse als über konstruktive Ideen gestritten würde."

MÜNCHNER MERKUR: Verlierer ist die Meinungsfreiheit

"Die deutsche Empörungsgesellschaft forderte ein Sühneopfer, und sie hat es bekommen: Thilo Sarrazin, der Provokateur im Vorstand der Bundesbank, ist kaltgestellt. An Siegern besteht kein Mangel: Wer sich im Besitz der einzig rechtschaffenen Gesinnung wähnt, darf sich zufrieden zurücklehnen. In der Ausländerpolitik dürfen sich die Verantwortlichen weiter in die Tasche lügen. Und der ehrgeizige Bundesbank-Chef Axel Weber darf weiter davon träumen, eines nicht zu fernen Tages die Nachfolge von Jean Claude Trichet anzutreten, dem Chef der Europäischen Zentralbank. Verlierer sind die Meinungsfreiheit. Und die Bundesbank, von der es früher immer hieß, sie sei das einzige, woran die Deutschen außer an den lieben Gott glaubten. Sie stürzt in eine Vertrauenskrise. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung hat zu erkennen gegeben, dass sie Sarrazins Sorgen teilt."

BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN: Die Empörung der SPD ist heuchlerisch

"Wer einen ehemals profilierten und immer wieder auch polemischen Politiker in den Vorstand der Bundesbank schickt, der kann nicht erwarten, dass dieser plötzlich zum politischen Eunuchen wird. Deshalb ist die Empörung beispielsweise aus den Reihen der SPD über die Äußerungen ihres einstigen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin durchaus heuchlerisch zu nennen. Jeder hat gewusst, wo Sarrazin steht und wie sehr ihn die Lust an der Provokation lockt - auch im vornehmen Vorstandsclub der Bundesbanker."

TAGESZEITUNG (Berlin): Bundesbank hat Verantwortungsgefühl und Anstand bewiesen

"Natürlich birgt die Entscheidung der Bundesbank die Gefahr, aus einer notorischen Krawallschachtel einen 'Märtyrer der Meinungsfreiheit' zu machen. Dass Sarrazin überhaupt dazu stilisiert wird, ist das Verdienst jener Medien, die seine Tiraden zu einer Art höheren Weisheit verklärt haben. Kaum ein Politiker, nicht einmal aus der Union oder der FDP, mochte sich diesem Urteil bislang anschließen, und auch Sarrazins Bundesbankkollegen sehen die Dinge zum Glück etwas anders. Zum Rücktritt bewegen konnten sie Sarrazin leider nicht, ihn wieder loszuwerden ist nicht ganz so einfach. Am Ende haben sie sich für einen Kompromiss entschieden, der einer faktischen Entmachtung gleichkommt. Damit haben sie mehr politische Vernunft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß und Anstand bewiesen, als in so manchen Redaktionsfluren dieser Republik zu Hause ist."

KIELER NACHRICHTEN: Sarrazin sollte den Hut nehmen

"Die Politik hat den Notenbanken mit der Geldpolitik einen bedeutenden Teil der Wirtschaftspolitik übertragen. Die Unabhängigkeit der Notenbanken funktioniert aber nur, wenn diese sich im Gegenzug aus den übrigen Feldern der Politik heraushalten. Diese eherne Regel, an die sich die Bundesbank stets peinlich genau hielt und die ihr Ansehen begründete, hat Sarrazin verletzt. Er hätte deshalb als Bundesbankvorstand abgelöst werden müssen. Dass ihm nun lediglich eines von drei Aufgabenfeldern genommen wird, ist unbefriedigend. Sarrazin würde seinem Arbeitgeber einen großen Dienst erweisen, wenn er nun von sich aus den Hut nähme."

Autorin: Sarah Judith Hofmann (mit dpa)

Redakteur: Martin Schrader