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Ein Glück - für die Literatur

8. Oktober 2009

Die Entscheidung für Herta Müller ist eine Überraschung. Mit ihrem Werk tritt die 56-jährige Rumänien-Deutsche für Demokratie und Gerechtigkeit ein. Eine gute Wahl, meint Ramón Garcia-Ziemsen.

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Herta Müller (Foto: dpa)
Eine Autorin von Bedeutung hat diesmal den Preis bekommen - endlich!Bild: picture-alliance/dpa

Alle Jahre wieder Anfang Oktober stellt sich die immergleiche Frage: Was denkt sich die Schwedische Akademie diesmal aus? Schafft es vielleicht auch einmal ein Autor von Bedeutung, den Nobelpreis für Literaturpreis zu erhalten? Eine wirkliche Logik, Kriterien, die der Entscheidung zu Grunde liegen, scheint es nicht wirklich zu geben. Legendär war das Jahr 1997 als der italienische Spaßmacher Dario Fo 1997 für sein "volkstümlich-politisches Agitationstheater" prämiert wurde. Selbst für Franzosen überraschend auch der Nobelpreisträger des vergangen Jahres – ihr Landsmann Jean Marie Gustave Le Clézio. In Erinnerung ist auch noch das Jahr 2000. Da erhielt ein gewisser Gao Xingjian aus China den Preis. Das bemerkenswerteste daran: Der Lyriker war sowohl in China als auch in Paris, wo er lebte, einigermaßen unbekannt. Halten wir fest: Den Nobelpreis für Literatur kriegen viele, oft leider nur nicht die, die ihn verdient haben.

In diesem Jahr ist das anders. So überraschend die Entscheidung für Herta Müller auch ist – sie ist gut. Denn: Herta Müller ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen unserer Zeit. Eine Autorin, die Geschichten erzählt, die auch eine politische Relevanz haben, ja, die Haltung zeigen. Erinnert sei deshalb auch noch einmal an das Ziel des Stifters und Namensgebers Alfred Nobel. Der hatte verfügt, dass der Autor den Preis erhalten soll, der das Beste "in idealistischer Richtung" geschaffen hat.

Gefährlicher Einsatz für die Menschenrechte

"Das Beste in idealistischer Richtung" – anders als viele in der Gegenwartsliteratur, gibt es bei Herta Müller etwas, das man als "literarische Empörung" beschreiben könnte. Für ihren Einsatz für Menschenrechte wurde sie in Rumänien drangsaliert und setzte sich nicht nur auf dem Papier für Veränderung ein. Bei Herta Müller sind literarisches Tun und persönliches Erleben eng verknüpft.

Herta Müller traut sich, ganz ohne Zynismus und Relativierung, über Menschenwürde und Freiheit zu reden, über Gerechtigkeit, die es immer wieder einzufordern gilt – auch, wenn die Ereignisse mitunter weit zurückliegen. Natürlich muss die Ehrung auch als Würdigung des Falles des Kommunismus und der Regime im Osten Europas vor 20 Jahren gewertet werden. Aber nicht nur das: Herta Müller ist Rumänien-Deutsche, gehört damit einer Gruppe an, die in Deutschland oft nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie verdient hätte.

In der Blüte ihrer Schaffenskraft

In ihrem aktuellen Buch "Atemschaukel" beschreibt sie in schmerzhafter Genauigkeit das Schicksal von Deutschen, die aus ihrer Heimat Siebenbürgen während der Stalin-Zeit nach Russland deportiert worden sind. Ein Buch, das eine große Anklage gegen die Unmenschlichkeit in totalitären Gesellschaften ist. Und auch deshalb ist die Stockholmer Entscheidung gut, weil eine schreibende, in der Blüte ihrer Schaffenskraft stehende Autorin gewonnen hat. Das war oft genug anders: Da bekamen Autoren den Preis, die früher einmal Einfluss hatten, die dann aber irgendwie vergessen wurden. Dass die Freude in Deutschland - und auch in Rumänien - riesig ist, ist klar. Zehn Jahre nach Günter Grass, geht der Nobelpreis zum 10. mal ins Land der Dichter und der Denker. Gewonnen hat aber nicht nur eine deutsche Autorin. Gewonnen hat die Literatur.

Autor: Ramón Garcia-Ziemsen

Redaktion: Manfred Götzke