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Philosophie für Jedermann

28. September 2009

Das Leipziger Centraltheater lockt vielversprechend: Haben Sie Klärungsbedarf, metaphysische Sorgen oder ein unformuliertes Gefühl? Dann kommen Sie in die "Philosophische Praxis" von Guillaume Paoli.

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Blauer Himmel mit Wölkchen / Hausfassade mit Schriftzug 'Centraltheater' © Rolf Anold/Centraltheater
Gedanken schweifen lassen... Die Philosophische Praxis am Leipziger CentraltheaterBild: Rolf Arnold/Centraltheater

Der Weg zur Erkenntnis scheint beschwerlich, denkt man, während die unzähligen Treppen hinauf zur Praxis des Guillaume Paoli einfach nicht enden wollen. Sein Büro befindet sich in einem Nebengebäude des Leipziger Centraltheaters, endlich angekommen im 3. Stock empfängt ein bestens gelaunter Hausphilosoph. Paoli sitzt entspannt auf seinem Praxissofa und wartet auf Kundschaft. Zimmer Nr. 5, der Gesprächsraum, ist spartanisch eingerichtet; ein Schreibpult, drei Stühle, ein Tisch und das Sofa, natürlich klassisch, in rot. Gleich wird der erste Klient kommen, so hofft Paoli. Kurz telefoniert haben sie, einen Termin vereinbart, worüber er reden will – er weiß es nicht. Und wenn er es wüsste, er würde sowieso nichts verraten. "Obwohl ich kein Arzt bin, habe ich da Schweigepflicht. Ich betrachte die Gespräche als vertraulich." Während er in sich hinein schmunzelt, klopft es an der Tür.

Das Schild der Philosophischen Praxis des Guillaume Paolin(© Rolf Arnold / Centraltheater)
Bild: Rolf Arnold/Centraltheater.

Der Sinn des Lebens

Es ist 15 Uhr, der erste Klient betritt den Raum, pünktlich auf die Minute. Er ist Ende 40, vielleicht Anfang 50. Nennen wir ihn Herr Müller, denn seinen Namen mag er nicht verraten. Herr Müller hat aus der Zeitung von dieser Praxis erfahren. Warum er hier ist? Nun ja, er befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung und da stößt er an Grenzen. „Die Therapeutin muss passen, wenn ich sie nach dem Sinn des Lebens frage". Sie fühlt sich nicht zuständig. Guillaume Paoli schon. Er ist zuständig, freiwillig und kostenlos, für alle Sorgen, Fragen, Ängste, Probleme – und vielleicht sogar ein wenig für den Sinn des Lebens. Jeden Montag, immer zwischen 15 und 18.30 Uhr, ist er da, will Antworten geben, wenn nötig, aber nichts Vorgefertigtes liefern. Er will zuhören und eher subtil helfen, mit den Möglichkeiten der Philosophie. „Es gibt keine philosophischen Themen, es gibt nur eine philosophische Art, sich mit Themen zu beschäftigen. Man kann über Katzen reden, über Kochkunst oder das Wetter. Es kommt darauf an, wie man das tut!"

Guillaume Paoli sitzt entspannt in einem hellen, lichtdurchfluteten Raum auf einem roten Sofa (© Rolf Arnold / Centraltheater)
Guillaume Paoli auf dem Sofa in seiner PraxisBild: Rolf Arnold/Centraltheater

Praktische Lebenshilfe

Herr Müller möchte weder über Katzen noch über das Wetter reden. Ihn interessieren auch weniger die komplexen Ideen des Hausphilosophen. Herr Müller braucht praktische Lebenshilfe, und zwar unter vier Augen. Das intime Gespräch der Beiden verbleibt hinter verschlossener Tür. Nach gut einer Stunde öffnet sich die Praxistür wieder, Herr Müller wirkt gelöst, dem Sinn des Lebens womöglich ein kleines Stück näher? Sein spontanes Gefühl, es hat sich gelohnt, er war nicht umsonst da. „Man darf ja keine Wunderdinge erwarten, einfach einen Denkanstoß, mal eine andere Sicht. Und wir haben da wirklich was gefunden, ich habe mir da gleich was aufgeschrieben." Was will man mehr. Der Klient ist glücklich für den Moment, da lächelt auch der Hausphilosoph. Angst, dass seine Gesprächsgäste am Ende nur kommen, weil er ihnen kostenlos zuhört, hat er nicht. Ob sich in ein paar Wochen noch jemand für sein Experiment interessiert, Guillaume Paoli weiß es nicht. Im Moment jedenfalls ist das Interesse beachtlich. Der nächste Klient steht bereits vor der Tür, es ist ein Herr im grauen Anzug, vielleicht Mitte 60, strenger Blick, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Seine erste Erkenntnis: Die Sitzung hätte bereits vor 15 Minuten beginnen sollen. Da verschwindet sogar das Lächeln aus dem Gesicht des Hausphilosophen, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Autor: Ronny Arnold
Redaktion: Gudrun Stegen