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Anfang vom Ende

27. September 2009

Angela Merkel hat ihr Ziel erreicht. Das liegt nicht unbedingt am eigenen Erfolg, sondern am katastrophalen Abschneiden der SPD. Deshalb wird sie nur eine Regierungschefin auf Zeit sein, meint DW-Chefredakteur Marc Koch.

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Chefredakteur Marc Koch (Foto: DW)
Chefredakteur Marc KochBild: DW/M. Müller

Der Sieg kann nicht darüber hinwegtäuschen: Das ist der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel. Ihre Partei, die CDU, wird ihr eines der schlechtesten Ergebnisse seit Gründung der Republik nicht lange verzeihen. Zwei, vielleicht drei Jahre, wird die Kanzlerin noch weiterregieren können - dann wird sie Platz machen müssen.

Nicht nur, weil jetzt der Wirtschaftsflügel und die Wertkonservativen in der Union Morgenluft wittern, nachdem Merkels internes Machtsystem sie lange kaltgestellt hatte: Ihre kommenden Komplikationen hat Frau Merkel aber auch selber heraufbeschworen: Sie, eine der sozialdemokratischsten Politikerinnen der Union, hatte sich vor der Wahl auf eine Koalition mit der FDP festgelegt. Jetzt wird sie die Geister, die sie gerufen hat, nicht mehr loswerden: Die Liberalen erreichen ein sensationelles Ergebnis - das beste in der Geschichte der Bundestagswahlen.

FDP nicht mehr nur Mehrheitsbeschaffer

Und dieses Ergebnis wird sich die FDP bezahlen lassen - vom einfachen Mehrheitenbeschaffer kann nicht die Rede sein. Stattdessen wird sie versuchen, ihr diffuses Mantra von Steuersenkungen in reale Politik umzusetzen. Wie sie das erreichen will, konnte sie den Wählern schon vor der Abstimmung nicht erklären - und es besteht wenig Hoffnung, dass sie es danach können wird.

Und dennoch kommt der Erfolg der FDP nicht überraschend: Mit ihrem simplen Krisenrezept "Steuern runter" hat sie im Gegensatz zu CDU und SPD immerhin ansatzweise eines der Themen aufgegriffen, die die Menschen umtreiben, und eine Lösung angeboten, die man akzeptieren kann - oder auch nicht.

Wahlkampf war weit weg vom Volk

Die Volksparteien dagegen haben einen Wahlkampf gemacht, der so weit entfernt vom Volk war wie noch nie in der Geschichte der Republik: Leere Slogans und lauwarme Ansagen prägten die Auftritte von Merkel und Steinmeier - das war selbst den sicherheits- und stabilitätssüchtigen Deutschen zu wenig. Streit mögen sie nicht - schon gar nicht in der Politik. Aber ein bisschen Perspektive, ein bisschen Richtung und Realitätsnähe verlangen sie schon. Das hat das großkoalitionäre Krisenmanagement der letzten vier Jahre nicht im Ansatz geleistet.

Stattdessen gab es Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner - bei so viel Durchschnitt ist für große Entwürfe kein Platz. Und in der Lücke, die die großen Volksparteien gerissen haben, machen sich zusehends die so genannten Kleinen breit: Die Republik ist im 5-Parteien-System angekommen - und vielleicht liegt darin ihre Chance zu entscheidender Veränderung.

SPD muss neu nachdenken

Dazu kann vor allem der beispiellose Niedergang der Sozialdemokratie beitragen: Die Basis der SPD erodiert, die Sozialdemokratie in ihrer heutigen Form muss sich fragen, ob ihre Zeit vorbei ist. Wenn die SPD wiederauferstehen will, muss sie ihr Verhältnis zur Linken von Lafontaine neu überdenken. Die pure Abgrenzung gegenüber der krakeelenden Krawallpolitik der Linkspartei jedenfalls hat der SPD mehr geschadet als genutzt. Die kommenden Jahre sind für den Kandidaten Steinmeier und die SPD auch eine Gelegenheit, über neue Gesellschaftsentwürfe nachzudenken.

So gesehen, können die Sozialdemokraten nach dieser katastrophalen Niederlage fast ein bisschen aufatmen: Sie sind raus aus der Verantwortung, sie können sich in Ruhe neu sortieren - und sie müssen sich nicht den Problemen stellen, die jetzt auf dieses Land zukommen.

Genau das werden Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition jetzt tun müssen. Dass sie ein wirklich überzeugendes Konzept dafür haben, haben sie zumindest im Wahlkampf nicht zeigen können. Und auf die Kuscheligkeit einer Großen Koalition können sie nicht mehr bauen. Nicht nur für Angela Merkel könnte diese Wahl der Anfang vom Ende sein.

Autor: Marc Koch

Redaktion: Kay-Alexander Scholz