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Wiedersehen in Nordkorea

26. Oktober 2009

In den 1960er Jahren holte Nordkorea alle seine Facharbeiter aus der DDR zurück, zum Wiederaufbau nach dem Krieg. Viele deutsch-koreanische Familien wurden damals auseinander gerissen. Nicht immer gab es ein Wiedersehen.

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Ok Guen und Renate Hong: Wiedersehen nach 46 Jahren Trennung, Foto: Renate Hong
Ok Guen und Renate Hong: Eine koreanisch-deutsche LiebesgeschichteBild: Renate Hong

Renate Hong gerät noch immer ins Schwärmen, wenn sie ihre Fotos aus Nordkorea zeigt. Ein Jahr ist die Reise her, für die sie 46 Jahre lang gekämpft hatte. In Nordkorea durfte sie Hong Ok Guen wieder sehen, den Vater ihrer beiden Söhne. Sie hatte ihn Ende der 1950er Jahre beim Studium in Jena kennengelernt. Er studierte wie sie Chemie, ging gerne tanzen, war lebenslustig und sprach sehr gut Deutsch. Dass er Koreaner war, fand sie besonders attraktiv.

Ok-Guen Hong und seine nordkoreanischen Komilitonen in der DDR, Foto: Renate Hong
Koreaner in der DDR - für die junge Studentin Renate exotischBild: Renate Hong

Mit einem ausländischen Studenten zusammen zu sein, noch dazu aus einem so fernen Land, hatte für etwas Exotisches. Und noch etwas war für sie reizvoll: "Die DDR hatte ja kaum Verbindung zum Ausland. Und wie viele andere, die ausländischen Studenten liiert waren, haben wir damals gedacht: Da kommen wir mal raus!“

Das deutsch-koreanische Paar heiratete im Februar 1960. Ehen zwischen Bürgern sozialistischer Bruderländer waren in der DDR offiziell erlaubt. Doch ein richtiges Zusammenleben gab es für die beiden selbst nach der Geburt ihres ersten Kindes nicht: Renate Hong bekam eine Wohnung für sich und das Kind. Ok Guen Hong aber durfte nicht mit einziehen. Er musste im Ausländerwohnheim bleiben. "Natürlich war jemand da, der aufgepasst hat, dass auch in diesem Wohnheim blieb", erinnert Renate Hong.

Sozialistische Aufbauhilfe nach dem Koreakrieg

Ok Guen Hong war schließlich zum Studieren in der DDR, weil Nordkorea dringend Fachleute brauchte. Nach dem Koreakrieg lag das Land am Boden. Neben der Ausbildung von Fachkräften in Deutschland schickte die DDR mehr als 450 Handwerker, Architekten, Städteplaner und Ingenieure nach Nordkorea. Zu ihnen gehörte auch der damals 26-jährige Wilfried Lübke. Auf zahlreichen Fotografien hat er damals das Ausmaß der Zerstörung festgehalten: "Wir haben praktisch bei Null angefangen", erinnert er sich. Der Diplom-Ingenieur war für die Trinkwasserversorgung der zerstörten Stadt Hamhung, der zweitgrößten Stadt Nordkoreas, verantwortlich. In den zwei Jahren Aufbauarbeit in Hamhung schlossen er und seine Frau Helga enge Freundschaften mit seinen koreanischen Kollegen. Nach ihrer Rückkehr in die DDR erhielten Wilfried Lübke und seine Frau viele Postkarten und Briefe aus Nordkorea. Solange, bis die beiden 1961, kurz vor dem Bau der Mauer, in den Westen flohen.

Helga und Wilfried Lübke mit einer Korea-Karte, Foto: W. & H. Lübke
Auf langen Motorrradfahrten konnten Helga und Wilfried Lübke damals Nordkorea erkunden.Bild: W. & H. Lübke

Auf Wiedersehen, Nordkorea

Erst 2002 reist Wilfried Lübke noch einmal nach Nordkorea. Seine Tochter, eine Fernsehjournalistin, begleitete ihn auf seiner Spurensuche mit der Kamera. In Hamhung erleben sie fast so etwas wie einen Staatsempfang: Ein Kinderchor singt zu Ehren des "ehrwürdigen Herrn" und bedankt sich für seine Hilfe. Doch sein größter Wunsch, seine Freunde und engsten Mitarbeiter von früher wieder zu sehen, geht nicht in Erfüllung. Auf seine Fragen nach ihnen bekommt er ausweichende Antworten: "Es gibt sie nicht mehr oder sie sind nicht mehr da oder nicht vorhanden", habe man ihm erzählt. Auch einen Hinweis auf die Aufbauarbeit der Deutschen findet Wilfried Lübke in Hamhung nicht. Vielleicht, weil Hilfe von außen in Nordkorea schon seit Anfang der 1960er Jahre offiziell nicht mehr gefragt ist.

Wilfried Lübke und seine Kollegen in Nordkorea, Foto: W. & H. Lübke
Seine damaligen Freunde und Kollegen fand Lübke nicht wiederBild: W. & H. Lübke

Unter dem Slogan "Aus eigener Kraft" wollte es das kommunistische Land selbst schaffen. Von der Sowjetunion hatte sich Nordkorea nach dem Tod Stalins abgekehrt. Nordkorea wollte den Führerkult fortsetzen und propagierte "Juche" – zu deutsch: Autarkie. 1961 wurden alle nordkoreanischen Bürger aus der DDR zurückbeordert.

Auseinandergerissene Familien

350 Studenten und Absolventen mussten über Nacht abreisen. Auch Renate Hongs Ehemann. Seine im 5. Monat schwangere Frau und seinen kleinen Sohn musste er zurücklassen. Renate Hong und eine andere betroffene Freundin bitten das Auswärtige Amt um Hilfe - ohne Erfolg, die Antwort: "Wir können nichts machen, es gibt diplomatische Verwicklungen." Renate Hong findet schließlich heraus, dass Ihr Mann in den Chemiefabriken von Hamhung eingesetzt wird. Drei Jahre lang schreibt Hong Ok Guen ihr noch Briefe und versucht, zu ihr und den Kindern zurückzukehren. Dann herrscht Funkstille.

Renate und Ok Guen Hong mit ihrem Sohn Peter, Foto: Renate Hong
Happy End nach 46 Jahren Trennung: Renate und Ok Guen HongBild: Renate Hong

Jahre später machen südkoreanische Medien ihre Geschichte publik. 2008 schließlich gewährt das nordkoreanische Regime Renate Hong und ihren Söhnen 46 Jahre nach der Trennung ein Wiedersehen: Ihre Söhne hatten die Gelegenheit, ihren Vater und sogar ihre Halbschwester kennenzulernen - für Renate Hong die Erfüllung eines Traums. Nun hofft sie, dass der der Kontakt nicht wieder abreißt und dass ihre Söhne, auch wenn der Vater irgendwann nicht mehr leben sollte, weiterhin Verbindung zu ihren Halbgeschwistern haben können – "unabhängig von anderen Ansichten und Systemen", wie sie sagt. Und, fügt sie hinzu, "dass die Beziehungen überhaupt ganz normal werden, wie man das in Europa kennt oder in anderen demokratischen Ländern." Ob sie das noch erleben wird, weiß die 72-Jährige zwar nicht, aber sie wünscht es sich, für ihre Söhne.

Autorin: Rebecca Roth

Redaktion: Alexander Freund