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Lernen nach Katrina

9. September 2009

Als der Hurrikan Katrina vor vier Jahren die Stadt New Orleans verwüstete, wurden auch nahezu alle Schulen der Stadt zerstört. Doch viele Eltern und Lehrer wollten das nicht hinnehmen und suchten nach Alternativen.

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Mehr Disziplin, aber auch mehr Transparenz - der 7-jährige Michael findet seine Schule gut.Bild: DW / Ch.Bergmann

Zweimal in der Woche treffen sich die 140 Kinder der Benjamin E. Mays Preparatory School vor Unterrichtsbeginn im Allzweckraum der Schule. Der befindet sich, wie alle anderen Räume, in einem großen Container, denn ein richtiges Schulgebäude gibt es noch nicht. Es ist das erste Schuljahr in der Mays Prep. Sie ist eine der vielen neuen Schulen in New Orleans , die seit der Verwüstung der Stadt durch den Hurrikan Katrina vor vier Jahren entstanden sind.

Im Halbkreis sitzen Kindergartenkinder, Erst- und Zweitklässler um Duke Bradley herum. Er ist der Rektor der Schule und auf sein Kommando singen, schreien und schweigen die Kinder. Die Jungs tragen beige Hosen, weißes Hemd und burgunderfarbenen Schlips, die Mädchen einen beigen Rock und weißes Polohemd. Auf die Schuluniform legt Bradley Wert. Sie vermittle Stolz und Zusammengehörigkeitsgefühl, sagt er. Das Ziel seiner Schule ist hoch gesteckt: "Wir wollen alle Kinder so fit machen, dass sie eine weiterführende Schule, das College, besuchen können."

Lernen nach Katrina

Schule in New Orleans Louisiana USA Benjamin E. Mays Preparatory School in New Orleans
Singen und Schreien mit Duke BradleyBild: DW / Ch.Bergmann

Das zu erreichen ist nicht einfach mit Kindern, die zum überwiegenden Teil aus schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen kommen. Das zeigt sich unter anderem darin, dass fast alle Kinder Anrecht auf die kostenlosen Mahlzeiten haben, die die Schule anbietet. Auch in ihrem Sozialverhalten müssten sich die Kleinen erst an das „Konzept Schule" gewöhnen, erklärt Rektor Bradley. "Was uns hervorhebt, ist, dass wir sehr viel Wert auf Disziplin und Strukturen legen, aber auch Aktivitäten anbieten, die die Schüler sonst nicht machen können", fasst Bradley die Ausrichtung seiner Schule zusammen.

Als vor vier Jahre der Hurrikan Katrina fast die ganze Stadt unter Wasser setzte, wurden auch die meisten Schulen zerstört. Die örtliche Schulbehörde entließ fast alle Lehrer und erklärte den Unterricht für den Rest des Schuljahres, das gerade erst begonnen hatte, für beendet. Doch viele Eltern und Lehrer wollten das nicht hinnehmen und suchten nach Alternativen. Sie fanden sie vor allem in sogenannten "Charter-Schulen", übersetzt heißt das etwa so viel wie "Vertragsschulen". Diese haben mehr Freiheiten als traditionelle öffentliche Schulen. Finanziert werden sie aus verschiedenen Töpfen des Bundesstaates, der Regierung in Washington, aber auch durch private Investitionen und Organisationen.

Alternative: Charter-Schulen

Schule in New Orleans Louisiana USA nach Hurrikan Katrina Carver Elementary School
Fast alle Schulgebäude in New Orleans wurde durch den Hurrikan Katrina zerstört.Bild: DW / Ch.Bergmann

Welchen Unterschied der Wechsel von einer staatlichen Schule zu einer Charter-Schule macht, weiß Lehrerin Kari Detwiler. Im letzten Jahr unterrichtete sie eine zweite Klasse einer staatlichen Schule: "Ich hatte keine Lehrmittel und keinen Tagesplan, auch nicht für die verlängerten Schulzeiten, die wir für die Schüler angeboten haben." Es habe so gut wie keine fachliche oder pädagogische Unterstützung für die Lehrer gegeben. Und kein Feedback: "Niemand hat sich jemals meinen Unterricht angesehen. Ich war ganz auf mich allein gestellt."

Für sie als neue Lehrerin sei das sehr schwierig gewesen. Die Mays Prep, wo sie jetzt eine erste Klasse unterrichtet, sei das komplette Gegenteil. "Hier werden die Lehrer betreut und sind teilweise zu zweit in den Klassen", sagt Detwiler. In den Charter-Schulen gibt es außerdem Extra-Lehrer, die ein Kind aus der Klasse herausholen und direkt Nachhilfe geben, wenn es nicht mitkommt. Und dass die Kinder sich diszipliniert verhalten, mache das Leben viel leichter, fügt Detwiler hinzu. Viele Kinder haben sich nach wenigen Schultagen schon an die Regeln gewöhnt und machen im Unterricht eifrig mit, zum Beispiel, wenn es ums Buchstabieren geht. Denn Lesen lernen ist das erste und wichtigste Ziel.

Wenn die Regierung nichts tut...

Die Charter-Schulen in New Orleans sind ein großer Erfolg. Vor dem Hurrikan galt das Schulsystem von New Orleans als hoffnungsloser Fall. Zwei Drittel der Schulen hätten versagt, erklärt Lehrerin Sarah Usdin. Inzwischen habe man, vor allem wegen der Charter-Schulen, diese Zahl auf ein Drittel reduzieren können. Rund die Hälfte der Schulen, die es mittlerweile wieder in New Orleans gibt, sind Charter-Schulen. Sie werden von privaten Organisationen getragen. "New Schools for New Orleans" ist eine davon. Sarah Usdin hat sie selbst gegründet: "Der Aufbau der Schulen ist eines von vielen Beispielen, bei dem wir als Bürger die Verantwortung für den Wiederaufbau der Stadt übernommen haben", sagt Usdin. Man hätte ja eigentlich erwartet, dass sich die Regierung darum kümmert, fügt sie hinzu. Doch es seien Lehrer, Eltern und andere Verantwortliche gewesen, die das Schulsystem wieder aufbauten. "Wir haben dabei eine Vision", sagt Usdin: Die Schulen sollen genau das Gegenteil sein des "moralisch, finanziell und wirtschaftlich bankrotten Systems, das wir vorher hatten."

... packen Lehrer und Eltern selber mit an

Schule in New Orleans Louisiana USA Benjamin E. Mays Preparatory School in New Orleans
Kleine Klassen, viel Lesen und immer wieder gezielte Nachhilfe.Bild: DW / Ch.Bergmann

Sarah Usdin findet, dass New Orleans durchaus als Modell dienen kann für die dringend nötige Bildungsreform im ganzen Land. Wichtige Komponenten dabei seien die Auswahl der Lehrer und der Rektoren und die Möglichkeiten und Mittel, die man diesen in die Hand gebe, damit sie ein gemeinsam festgelegtes Ziel erreichen können. Die Schulen in New Orleans würden alle paar Wochen überprüfen, ob sie ihre Sache richtig machen. "Diese Lektion von Führung und Weitblick und richtigem Lehren und Strenge und ständiger Kontrolle, und dass die Schulen selbst verantwortlich sind, ist vorbildlich."

In Usdins Worten klingt die Enttäuschung darüber mit, wie der Staat das Bildungssystem vernachlässigt. Fast ist sie der Katastrophe "Katrina" dankbar: Sie machte einen kompletten Neuanfang möglich und gibt den Kindern in New Orleans Chancen, die ihnen bisher verwehrt waren.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Anne Herrberg