1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Späte Rehabilitierung von "Kriegsverrätern"

8. September 2009

Einstimmig hat der Bundestag alle während der NS-Diktatur wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtssoldaten rehabilitiert. Für die Betroffenen endet damit ein langer Kampf.

https://p.dw.com/p/JVi8
Ludwig Baumann (Foto: dpa)
Der 87-jährige Ludwig Baumann kämpfte für die Rehabilitation angeblicher KriegsverräterBild: picture-alliance/ dpa
Wahlurne des Bundestages (Foto: AP)
Einstimmige Entscheidung im BundestagBild: picture-alliance/ dpa

2002 wurden Urteile gegen Deserteure und Wehrdienstverweigerer pauschal aufgehoben. Nicht rehabilitiert blieben so genannte "Kriegsverräter", die nach dem 1934 geänderten Militärstrafgesetz generell mit dem Tode bestraft wurden. Mehr als 64 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Deutsche Bundetag am Dienstag (08.09.2009) diese Unrechtsurteile aus der Zeit des Nationalsozialismus aufgehoben. Die Entscheidung fiel einstimmig.

Nicht alle befürworten eine Rehabilitierung

Jahrzehntelang war die Rehabilitierung ein Tabuthema. Gegner argumentierten, dass Überläufer während des Zweiten Weltkriegs durch die Weitergabe von Informationen oder durch die Beteiligung an Kampfhandlungen zu Verlusten in der eigenen Truppe beigetragen hätten. Solche Taten dürften nicht rehabilitiert werden. Viele hätten den Verrat am NS-System nicht aus edlen Motiven begangen, sondern aus purem Opportunismus.

Nun wird jenen Menschen eine späte Wiedergutmachung zuteil, die - sofern sie ihre Verurteilung wegen Landesverrats durch NS-Militärgerichte überhaupt überlebten - womöglich ein Leben lang unter diesem Stigma gelitten haben. Wie viele Menschen von "Kriegsverräter"-Urteilen betroffen waren, ist nicht bekannt. Insgesamt wurden nach Angaben der "Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz" rund 30.000 Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und "Kriegverräter" von NS-Richtern zum Tode verurteilt. Etwa 20.000 wurden hingerichtet.

Während der NS-Tyrannei wurden Menschen beispielsweise allein deshalb wegen "Kriegsverrats" hingerichtet, weil sie mit Kriegsgefangenen gesprochen hatten, wie Forschungen der Universität Freiburg belegen.

Betroffene auch nach dem Krieg noch Repressalien ausgesetzt

Obwohl "Kriegsverräter"-Urteile zu Unrecht ergingen, waren die Betroffenen, wenn sie überlebten, nach dem Krieg oft Repressalien ausgesetzt. "Als wir anfingen zu kämpfen, hatten wir die große Mehrheit der Bevölkerung gegen uns", erinnert sich der Vorsitzende der "Bundesvereinigung", Ludwig Baumann, an die Zeit, als er im Nachkriegsdeutschland die Öffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren versuchte. Vereinzelt bekomme er heute immer noch Drohbriefe, insgesamt habe sich die Lage aber geändert, so Baumann. Aus seiner Sicht hat die Öffentlichkeit in Deutschland die angeblichen Kriegsverräter längst rehabilitiert - und die Politik hinke diesem Prozess hinterher.

Mangelnde Aufarbeitung der Justizgeschichte

Zypries redet vor dem Bundestag (Foto: AP)
Justizministerin Zypries: "Die Nachkriegsjustiz hat sich bei der Aufarbeitung ihrer NS-Geschichte zu wenig engagiert"Bild: AP

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sieht in der pauschalen Rehabilitierung die Wiederherstellung von "Ehre und Würde einer lange vergessenen Gruppe von Opfern der NS-Justiz". Es sei ein Akt der Anerkennung des Widerstandes vieler einfacher Soldaten, denn diese seien am häufigsten Opfer geworden. "Wir wollen gerne, dass die Nachkommen sagen können, unser Großvater, unser Vater war kein Kriegsverräter, sondern ist zu Unrecht zum Tode verurteilt worden."

Zypries erinnert in diesem Zusammenhang an die ihrer Meinung nach mangelhafte Aufarbeitung der Justiz im Umgang mit der Rechtssprechung während der NS-Diktatur: "Kein einziger Wehrmachtsrichter wurde für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen saßen sie in Justiz, Universitäten und Ministerien und arbeiteten erst an der Vertuschung und dann an der Rechtfertigung ihrer Taten", sagte die Ministerin anlässlich einer Ausstellung über Deserteure und NS-Wehrmachtsgerichte vor zwei Jahren. Auch das Bundesjustizministerium habe viel zu lange gebraucht, "um sich seiner braunen Vorgeschichte zu stellen". (wl/mas/mbödpa/afp/ap)