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Moderne Sklaverei in Deutschland

21. August 2009

Auch in Deutschland werden Menschen wie Leibeigene gehalten: Vor allem Frauen, die als Zwangsprostituierte arbeiten müssen. Aber auch in der Gastronomie oder in privaten Haushalten gibt es Formen von Sklaverei.

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Zwei Frauen stehen auf einer Straße in nächtlichen Rom. Autofahrer nähern sich ihnen. (Foto: AP)
Menschliche Ware: ZwangsprostituierteBild: AP

Das Essen schmeckte hervorragend, die Gäste waren sehr zufrieden. Doch hätten sie gewusst, unter welchen Bedingungen die Speisen in dem äthiopischen Restaurant mitten in Berlin zubereitet wurden, wären ihnen die Spezialitäten wohl im Halse stecken geblieben. Denn in der Küche schuftete eine aus Äthiopien stammende Frau von morgens bis tief in die Nacht. Sie sprach kein Wort deutsch, war völlig isoliert von der Außenwelt und wurde mit einem Hungerlohn abgespeist: 500 Euro in eineinhalb Jahren, weniger als ein Euro pro Tag.

Die Leidensgeschichte der Frau sorgte im Mai dieses Jahres für Schlagzeilen und erinnerte an das Schicksal einer Indonesierin, die von einem jemenitischen Diplomaten in Berlin über Jahre wie eine Sklavin als Haushaltskraft ausgebeutet worden war. Dass beide Fälle bekannt wurden, war eher Zufall, denn in der Regel erfährt die Außenwelt nichts von solchen Formen der modernen Sklaverei. Noch seltener widerfährt den Opfern Gerechtigkeit, indem sie materielle Entschädigung erhalten oder die Täter verurteilt werden.

Deutschland ist Transit- und Zielland

Verlässliche Zahlen über Menschenhandel und Zwangsarbeit gibt es faktisch nicht. Schätzungen nationaler und internationaler Organisationen zufolge sollen weltweit mehr als zehn Millionen Menschen davon betroffen sein. Deutschland wird von den Vereinten Nationen als eine Art Drehscheibe für kriminelle Machenschaften dieser Art angesehen, als Transit- und Zielland. In dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Land Europas lohnt sich moderne Sklaverei offenbar am meisten, sei es im Rotlichtmilieu, im Baugewerbe oder in der Gastronomie.

Ein Bauarbeiter mit einem Holzbalken auf der Schulter hält seine Hand vors Gesicht, um unerkannt zu bleiben. Es handelt sich um eine gestellte Szene auf einer Baustelle. (Foto: dpa)
Illegal Beschäftigte auf dem BauBild: picture alliance/dpa

Dass nur ganz selten spektakuläre Fälle bekannt werden, liegt nach Meinung der international tätigen Menschrechtsexpertin Heike Rabe auch an der Gesetzeslage und der Behördenpraxis. "Wo staatliche Kontrollen durchgeführt werden, wie zum Beispiel im Baubereich oder in der Landwirtschaft, wird oft nur überprüft, ob die Papiere in Ordnung sind", kritisiert Rabe die ihres Erachtens mitunter oberflächliche Vorgehensweise. Es werde weniger darauf geachtet, ob Betroffene überhaupt anzutreffen sind oder ob ihre Rechte eingehalten werden. Anders ausgedrückt: Wenn formal alles seine Ordnung zu haben scheint, wird erst gar nicht hinter die Kulissen geblickt, lautet der Vorwurf.

Pilotprojekt für rechtliche Besserstellung

Im Auftrag des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat Heike Rabe eine Studie zum Menschenhandel in Deutschland erarbeitet. Und gemeinsam mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" engagiert sie sich im Rahmen eines Pilotprojekts um rechtliche Verbesserungen für Opfer moderner Sklaverei. Dabei geht es nicht zuletzt um einen finanziellen Ausgleich für nicht geleistete Lohnzahlungen. Bislang sind nur wenige erfolgreiche Beispiele bekannt. Dazu gehört die von einem jemenitischen Botschafter in Berlin ausgebeutete Frau aus Indonesien.

Der Täter wurde dazu verurteilt, ihr gut 23 000 Euro nachzuzahlen. Wie viele Opfer bislang entschädigt wurden, weiß auch Heike Rabe nicht. Daten würden nicht erhoben oder dokumentiert. Aus Fachberatungsstellen wisse man aber, dass zum Beispiel Entschädigungsleistungen für sexuelle Ausbeutung in der Regel zwischen 1000 und 4000 € lägen. "Das bleibt weit hinter dem zurück, was den Betroffenen an Ansprüchen zusteht."

Angst vor Abschiebung

Statistisch erfasst sind lediglich abgeschlossene Ermittlungsverfahren. Dabei registrierte die Polizei allein im Zeitraum 2006/2007 eine Steigerung von 356 auf 454. Nur die allerwenigsten Opfer trauen sich aber überhaupt, Kontakt zu Beratungsstellen oder Behörden aufzunehmen. Entwederm, weil sie eingeschüchtert sind, oder weil sie befürchten müssen, abgeschoben zu werden, da sie sich illegal in Deutschland aufhalten. Und das trifft auf viele zu.

Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. (Quelle: Bielefeldt)
Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Kommen ihre Fälle dennoch ans Licht der Öffentlichkeit, werden die Opfer zwar als Zeugen vernommen, dürfen aber wegen ihres unrechtmäßigen Aufenthalts kaum mit materieller Widergutmachung rechnen. Dem Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt, kommt es deshalb vor allem darauf an, das unteilbare Menschenrecht in den Vordergrund zu stellen. Das habe einen höheren Status als das Aufenthaltsrecht.

"Menschenrechte gelten auch für Illegale"

"Auch für Menschen, die sich tatsächlich aufenthaltsrechtlich in der Illegalität befinden und damit vielleicht auch Rechtsbruch in Kauf genommen haben, gelten die Menschenrechte." Die Menschenrechte seien nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig. Das, sagt Bielefeldt, sehe auch die Bundesregierung so, die er auffordert, die schon 2005 formulierte Konvention des Europarats gegen Menschenhandel zu ratifizieren. Bewegung ist auf jeden Fall in das Thema gekommen. Im Frühjahr hat die EU-Kommission Vorschläge für Gesetzesnovellierungen beschlossen, um den sexuellen Missbrauch von Kindern und den Menschenhandel insgesamt besser bekämpfen zu können.

Kein Gesetzentwurf gegen sexuelle Ausbeutung

Im Mittelpunkt stehen härtere Strafen für die Täter und die in Deutschland seit Monaten heftig diskutierte Sperrung von Internetseiten mit pornografischen Inhalten. Eine gemeinsame europäische Lösung gestaltet sich allerdings schwierig, weil sie einstimmig erfolgen muss. Wie schwer man sich mit dem Thema tut, zeigt auch der erfolglose Versuch der Großen Koalition in Deutschland, entschlossener gegen Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung vorzugehen. Konservative (CDU/CSU) und Sozialdemokraten konnten sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning