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Mathe unter Bäumen - Bildung im Sudan

19. August 2009

Nach 20 Jahren Bürgerkrieg war der Südsudan ein Land ohne Schulen und ohne Lehrer. Seit vier Jahren herrscht nun Frieden und es werden neue Schulen errichtet. Doch die Zustände in den Klassen sind immer noch ärmlich.

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Schulleiter Joseph Adhal (Foto:DW)
Pauken unterm BaumBild: Daniel Pelz

Die Kinder der Babkock Grundschule in der Nähe der Kleinstadt Tonj üben einfache Sätze. Es ist ihre vierte Schulstunde und das nächste Fach auf ihrem Stundenplan ist Englisch. Das Klassenzimmer besteht aus vier großen Bäumen, die etwas Schatten von der sengenden Sonne bieten. Von halb neun Morgens bis halb zwei Nachmittags drängeln sich 170 Kinder darunter. Mehr als einen Hocker, ein oder zwei Hefte und einen Stift hält niemand in der Hand. Von sieben bis siebzehn sind alle Altersgruppen eifrig dabei, denn endlich können sie das nachholen, was im Krieg nicht möglich war: Lernen.

Enthusiasmus trotz ärmlicher Zustände

Schulleiter Joseph Adhal mit Schülern im Südsudan (Foto:DW)
Joseph Adhal unterrichtet mehrere Klassen auf einmalBild: Daniel Pelz

Schulleiter Joseph Adhal ist gerade in die dritte Klasse am hintersten Baum geeilt. Auf eine schwarze Schiefertafel, die auf wackeligen Holzbeinen am Baum lehnt, schreibt er einen Familien-Stammbaum. Viel Zeit für seine Klasse hat er allerdings nicht. "Wir haben zu wenig Lehrer, drei Lehrer für 170 Schüler. Und unsere Schule hat fünf Jahrgänge", bemängelt Adhal. Die einzige Lösung besteht darin, dass jeder Lehrer mehrere Klassen gleichzeitig unterrichten muss. Nach zehn Minuten gibt Joseph Adhal den Schülern auf, den Stammbaum allein in ihren Heften fortzusetzen. Dann hastet er schnell zur nächsten Klasse, die einen Baum weiter schon auf ihn wartet. Eine Universität hat der zwei-Meter-Mann mit der ausgeblichenen Bundfaltenhose in seinem Leben noch nie gesehen. Er hat gerade mal einen Crashkurs von zwei Monaten hinter sich, was jedoch seinem Enthusiasmus keinen Abbruch tut. "Jetzt ist die Zeit, da wir Sudanesen lesen und schreiben lernen müssen. Unser Land ist nicht gebildet genug." Gerade den Kindern müsse dringend Wissen vermittelt werden, deshalb sei es auch so wichtig, dass alle in die Schule gingen, sagt Schulleiter Adhal.

Arbeit statt Schule

Schüler im Südsudan (Foto:DW)
Viel Zeit zum Lernen bleibt den meisten Schülern nichtBild: Daniel Pelz

Doch das sehen nicht alle Eltern so. Sie schicken ihre Kinder lieber zum Arbeiten statt zur Schule. Thomas Akol ist eines der Kinder, die zu Hause für ihr Recht auf Bildung kämpfen müssen. Im Moment kämpft er aber noch mit den englischen Buchstaben. Mit leicht gerunzelter Stirn beugt er sich über sein Heft, um den Stammbaum weiter zu schreiben, den Schulleiter Adhal an die Tafel gekritzelt hat. Morgens lernt Thomas hier in der Schule, während er nachmittags seinen Eltern zur Hand gehen muss. Komme er von der Schule nach Hause, dann bleibe ihm nur noch wenig Zeit, um seine Schulaufgaben zur erledigen, sagt Thomas. "Ich lerne ein bisschen, aber dann muss ich die Ziegen meiner Eltern auf die Weide bringen."

Kampf für mehr Bildung

Schüler im Südsudan (Foto:DW)
Wer zur Schule darf quetscht sich in das kleine KlassenzimmerBild: Daniel Pelz

Knappe zehn Kilometer weiter liegt die katholische Don Bosco Schule, eine Seltenheit in der Region, denn weiterführende Schulen gibt es kaum im Sudan. Mehr als fünfzig Schüler drängen sich in der Baracke mit Blechdach, in der wackelige, schwarze Holzbänke stehen. In gelben Hemden und braunen Hosen sitzen die Kinder wie Hühner auf der Stange nebeneinander. Cosmus Mutuku Nzilani, ein kleiner, schmächtiger Mann Anfang dreißig, unterrichtet Erdkunde. Seit drei Jahren ist er schon hier und ebenso wie alle seine Kollegen, stammt auch er aus Kenia. "Es gibt nur sehr wenige ausgebildete Lehrer im Sudan. Das liegt am Krieg. Vergessen Sie nicht, dass dieses Land erst seit 2005 Frieden hat." Im Ausland gebe es zwar ausgebildete sudanesische Lehrer, doch die kämen aus Angst vor einem neuen Krieg nur sehr zögerlich zurück, bedauert Nzilani. Seine Schüler hingegen hoffen auf den Frieden und wollen ihr Land aufbauen. Und dafür bringen sie Opfer.

Gute Mädchen gehen nicht zur Schule

Mary Aluk ist stämmig, trägt eine Nickelbrille und auf ihren Fingernägeln sind noch die Reste von lila Nagellack zu sehen. Bei fast jeder Frage des Lehrers meldet sich die 20-jährige. Genau wie die Schule in die sie geht, ist auch sie eine Rarität. Denn im Südsudan besucht nur jedes fünfte Mädchen die Grundschule und in der weiterführenden Schule sind es sogar noch weniger. "Meine Volksgruppe, die Dinkas, sagen, dass Mädchen nicht zur Schule gehen sollen, weil sie dann keine guten Mädchen mehr sind." Ein gutes Mädchen sei eines, das früh heirate, damit ihre Eltern Rinder und Kühe als Brautpreis erhielten. Deswegen habe auch sie lange Zeit nicht zur Schule gehen dürfen, sagt Mary Aluk. Doch Mary Aluk hat sich durchgesetzt und schon das nächste Ziel vor Augen. Sie möchte nach der Schule ein Jura-Studium an der Universität absolvieren. Doch besser sind die Lernbedingungen dort auch nicht.

Autor: Daniel Pelz

Redaktion: Michaela Paul