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Russland und die Ukraine: Was steckt hinter den Misstönen aus Moskau?

13. August 2009

Der russische Präsident hat seinem ukrainischen Kollegen vorgeworfen, das Nachbarland auf einem anti-russischen Kurs zu steuern. Experten sehen hinter den markigen Worten ganz unterschiedliche Motive.

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Gespanntes Verhältnis zwischen Juschtschenko und MedwedjewBild: DW-Montage/picture-alliance/dpa

Harter Tobak war das, was Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew seinem Kollegen aus der Ukraine in einer per Internet verbreiteten Video-Botschaft vorhielt: Die bilateralen Beziehungen hätten während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko ein beispiellos niedriges Niveau erreicht, die Spannungen überstiegen jegliches Maß. Medwedjew warf der ukrainischen Führung einen anti-russischen Kurs vor und kündigte an, vorerst keinen neuen Botschafter in die Ukraine zu entsenden. Als Beispiele für einen anti-russischen Kurs nannte Medwedjew ukrainische Waffenlieferungen an Georgien, Probleme mit der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim sowie die "Revidierung der gemeinsamen Geschichte".

Doppelte Botschaften: nach innen und nach außen

Den Anlass für Medwedjews Erklärung sehen ukrainische Experten im beginnenden Wahlkampf in der Ukraine. Beobachter gehen davon aus, dass er ebenso polarisierend ausgetragen werden wird wie bei den Präsidentschaftswahlen 2004. Moskau halte mit seiner Präferenz nicht hinter dem Berg und setze wieder demonstrativ auf einen Kandidaten, meint Wolodymyr Horbatsch vom Institut für euroatlantische Zusammenarbeit in Kiew: "Das ist der direkte Versuch, das Ergebnis der ukrainischen Wahl zu beeinflussen. Der Kreml macht deutlich, mit der jetzigen demokratischen Regierung nicht zusammenarbeiten zu wollen. Man wartet auf eine neue Führung und geht davon aus, mit solchen Erklärungen die Ukrainer dahingehend bewegen zu können, die eigenen Positionen zu überdenken und sich für eine Führung zu entscheiden, die Moskau passt", sagte Horbatsch im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Der Experte schließt nicht aus, dass Medwedjew mit seiner Erklärung ein weiteres Ziel verfolgt: Horbatsch vermutet, dass nach der ersten "Informations-Attacke", die auf das ukrainische Inland ziele, Moskau weltweit Propaganda betreiben werde über Gefahren und Probleme, die angeblich von der Ukraine ausgingen. Letztendlich werde der Kreml versuchen, Waffengewalt auf ukrainischem Territorium anzuwenden. "Das ist absolut möglich, wenn diesen Erklärungen auch ein entsprechend provozierendes Vorgehen folgt, um in der Ukraine einen Brennpunkt zu schaffen, so wie in Georgien", erläuterte Horbatsch.

Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Serhij Schewtschuk ist überzeugt, dass die Erklärung des russischen Präsidenten weniger an die Ukraine, sondern viel mehr an EU und NATO gerichtet ist. Gerade ihnen solle vor Augen geführt werden, wie politisch schwach sie seien. "Nach der brutalen Aktion Russlands im Kaukasus ist ein Jahr vergangen. In diesem Jahr gab es weder eine Verurteilung noch Proteste von unseren Partnern in Europa. Das erlaubte der russischen Seite, sich als Macht zu betrachten, der alles erlaubt ist", so Schewtschuk.

Schwindet Moskaus Einfluss?

Die Botschaft des russischen Präsidenten mache deutlich, dass der Kreml die Hebel verloren habe, um auf die Ukraine Einfluss zu nehmen, meint der russische Politologe Dmitrij Oreschkin. Er sieht die Äußerungen Medwedjews auch im Zusammenhang mit dem Beginn des Wahlkampfs in der Ukraine. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte er, andere Gründe gäbe es nicht. In jüngster Zeit habe es von ukrainischer Seite eher positive Signale in den bilateralen Beziehungen gegeben: Die Gasrechungen seien beglichen, und der Moskauer Patriarch Kirill sei während seines Ukraine-Besuchs auf höchster Ebene empfangen worden. "International ist es üblich, wenn ein großes Land, wie Russland es sein möchte, die Beziehungen mit einem anderen Land klären möchte, dass dies in der Regel über diplomatische Kanäle gemacht wird, ohne viel Staub aufzuwirbeln. Aber hier wird der öffentliche Charakter, ein scharfer Ton unterstrichen", so Oreschkin. Deswegen geht der Experte davon aus, dass dem Kreml langsam das Druckpotential gegen die Ukraine ausgehe.

Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen im Nachbarland hatte Moskau bekanntlich den Kandidaten Wiktor Janukowytsch offen unterstützt. Aber bei der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hatte die offene Einmischung des Kreml in die Innenpolitik der Ukraine eher negative Reaktionen ausgelöst. Moskaus Unterstützung half dem damaligen ukrainischen Premier nicht. Mit dem anti-ukrainischen Ton könnte Moskau heute den Fehler wiederholen, so Oreschkin. Die Tatsache, dass derzeit kein neuer russischer Botschafter nach Kiew entsandt werde, führe nur dazu, dass Russland diplomatische Mechanismen in den Beziehungen mit der Ukraine fehlten.

Autor: Lilia Hryschko / Oleksandr Pawlow / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz