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"Es geht nur noch um Macht"

2. August 2009

Der Dalai Lama spricht mit der Deutschen Welle über das Verhältnis mit der Regierung in Peking und seine Hoffnung auf einen stärkeren Dialog mit Vertretern der chinesischen Zivilgesellschaft.

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Dalai Lama (Foto: AP)
Der Dalai Lama sucht den Dialog auch mit chinesischen Wissenschaftlern und ExpertenBild: AP

Der Dalai Lama ist seit mehreren Tagen in Deutschland. In erster Linie, um in der Frankfurter Commerzbank Arena vor zehntausenden buddhistische Unterweisungen zu geben. Aber der Dalai Lama ist eben nicht nur der "einfache Mönch", als der er sich gerne beschreibt. Er ist auch die Führungsfigur für Millionen Tibeter – innerhalb und außerhalb Chinas. In dieser Funktion sucht er den Kontakt und den Dialog mit den Chinesen – auch über die Deutsche Welle. Am Sonntag (02.08.2009) nahm sich der Dalai Lama eine Stunde Zeit für ein Exklusiv-Gespräch mit dem chinesischen Programm der Deutschen Welle.

Dalai Lama: Es gibt mehr und mehr chinesische Intellektuelle und Experten, die sich für die tibetische Sache interessieren und Unterstützung zeigen. Das gibt uns Hoffnung.

Der Dalai Lama hat auch 50 Jahre nach seiner Flucht aus Lhasa die Hoffnung nicht aufgegeben. Er setzt auf einen demokratischen Wandel in China - auch wenn das noch eine Weile dauern kann. Da die Gespräche mit der chinesischen Führung auch nach mehreren Runden ohne Ergebnis blieben, setzt der Dalai Lama jetzt verstärkt auf Kontakte mit der chinesischen Zivilgesellschaft:

Im vergangenen Jahr habe ich viele chinesische Intellektuelle, Wissenschaftler und Experten getroffen. Wir haben sehr von diesen Kontakten profitiert. Am 6. August werden wir mit vielen chinesischen Intellektuellen, Wissenschaftlern und Experten ein Symposium veranstalten. Wir möchten ihre Meinungen und Vorschläge hören.

Dieses Symposium soll in Genf stattfinden. Schon in Frankfurt hat er am Sonntag seine Mittagspause für ein Treffen mit einigen in Deutschland lebenden chinesischen Intellektuellen genutzt. Im Interview zeigte sich der Dalai Lama überzeugt, dass der weltweite Trend zur Demokratisierung auch China erfassen würde:

Damals, als ich noch in China war, habe ich sehr viel von Marxismus-Leninismus gehört. Aber heute hört man nichts mehr davon. Es geht nur noch um Macht, sonst nichts. Damals sagte man: die amerikanischen Imperialisten praktizieren Kapitalismus und der Kapitalismus ist bei der zwangsläufigen Entwicklung der Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Aber dieses Scheitern ist anscheinend noch nicht eingetreten. Es hat sich alles umgedreht, Früher herrschte in China Sozialismus, heute ist es der Kapitalismus. Hier hat sich China dem weltweiten Trend angepasst. Das Zeitalter unfreier, totalitärer Systeme geht zu Ende.

Der Dalai Lama verwies in diesem Zusammenhang auf die Demokratisierung der chinesischen Exil-Instanzen. Dabei ging er auch auf eine Konferenz der Exil-Tibeter im vergangenen Jahr ein. Dort habe sich gezeigt, dass bei aller Kritik am "mittleren Weg" des Dalai Lamas die Mehrheit seines Volkes diesem Weg weiter folgen wolle. Dieser Weg beinhalte keineswegs die volle Unabhängigkeit Tibets, sondern lediglich eine echte kulturelle und religiöse Autonomie:

Kurz zusammengefasst bedeutet die von mir angestrebte Autonomie: Die Zentralregierung kümmert sich um Verteidigung und Außenpolitik. Die lokalen Angelegenheiten wie Kultur, Religion, Umwelt, Wirtschaft und so weiter sollen von den Tibetern geregelt werden.

Der Dalai Lama unterstrich seinen Anspruch, auch für die Tibeter außerhalb der autonomen Region Tibet zu sprechen. Im vergangenen Jahr hätten auch Tibeter in den Provinzen Sichuan und Qinghai für mehr Autonomie demonstriert. Diese Menschen dürfe er nicht im Stich lassen. Der Dalai Lama gestand zwar zu, dass der Verbleib Tibets bei China der wirtschaftlichen und materiellen Entwicklung der Region nutze. Angesprochen auf die Ergebnisse der Politik der chinesischen Regierung in Tibet schlug der Dalai Lama jedoch eine unabhängige Untersuchung vor:

Wenn sie feststellen sollten, dass 99 Prozent der Tibeter glücklich sind, dann bedeutet das: Unsere Informationen sind falsch. Dann werden wir uns öffentlich dafür entschuldigen, in der Vergangenheit nur falsche Informationen verbreitet zu haben. Sollten die Tibeter aber unglücklich sein, sollten sie überhaupt nicht glücklich sein, dann sollte die chinesische Regierung diese Realität akzeptieren und ihre Politik entsprechend dieser Realität gestalten.

Autor: Matthias von Hein / Interview: Dai Ying

Redaktion: Ranty Islam