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Hitziger Zwist

31. Juli 2009

Immer öfter werden in Berlin Autos angezündet. Hinter vielen Brandanschlägen steckt ein Streit um die Umstrukturierung zentraler Stadtviertel.

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Abgebranntes Auto in Berlin (Foto: dpa)
Die Brandanschläge sollen unerwünschte Kiez-Bewohner vertreibenBild: picture-alliance / dpa / dpaweb

Tagsüber kann die kleine Straßenkreuzung in Berlin-Kreuzberg so beschaulich sein. Kinder spielen, Hunde schnuppern, Passanten plauschen. Nachts ist das nicht immer so. Denn an einer Ecke steht die Luxus-Wohnanlage Carloft. So mancher Farbbeutel ist schon an dem klobigen Neubau aus Beton und Glas zerplatzt, mehrmals wurden die Scheiben eingeworfen. Das Carloft ist für viele Kreuzberger eine Provokation.

Exklusives Parken auf dem Auto-Balkon

Café in Berlin-Prenzlauer Berg (Foto: AP)
Sehr beliebt: Straßencafés in Prenzlauer BergBild: AP

Die Eigentumswohnungen im Carloft kosten zwischen 500.000 und 1,2 Millionen Euro. Doch nicht die unerschwinglichen Wohnungen provozieren die Anwohner, sondern der Spezial-Fahrstuhl der Anlage. Mit dem können die Carloft-Bewohner ihr Auto auf die eigene Etage mitnehmen, in die Carloggia, einen Auto-Balkon. Die Carloft-Wohnungen mit ihren exklusiven Parkplätzen stehen exemplarisch für die Auseinandersetzung darüber, wer in Kreuzberg wohnen darf und wer nicht. Über 90 Autos sind in Berlin in Brand gesteckt worden, die meisten davon im traditionell links-alternativen Friedrichshain-Kreuzberg. Kein Wunder, sagt der Sprecher der Berliner Polizei, Thomas Goldack.

"In diesem Bezirk gibt es viele prestigeträchtige Bauten und Umbauten. Das sind Hass- und Reizobjekte dieser linken Szene", so Goldack. Mit ernster Miene ergänzt er, dass die Anschläge ein Klima schaffen wollten, das potenzielle Käufer verschreckt. Neu sei dabei die Anzahl der Anschläge, die meist mit handelsüblichen Grillanzündern ausgeführt würden. Die Umstrukturierung bestimmter Berliner Stadtteile und der Streit um das richtige Konzept hingegen sind keine Neuigkeit.

Steigende Mieten verdrängen Einkommensschwache

Baustelle einer Luxus-Wohnanlage in Berlin-Prenzlauer Berg (Foto: Benjamin Braden)
Grund für Zwist im Kiez: Teure Eigentumswohnungen lassen die Mieten steigenBild: Benjamin Braden

Nach dem Fall der Mauer lagen einige zuvor grenznahe Altbau-Quartiere plötzlich in der attraktiven Stadtmitte. Der morbide Charme der Viertel und die niedrigen Mieten zogen schnell Studenten und Künstler an. Die "Pioniere der Stadtentwicklung" machten Gegenden wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain attraktiv. Häuser wurden renoviert und auch ein zahlungskräftiges Publikum wollte nun dort wohnen. Da lohnte es sich für Investoren, noble Eigentumswohnungen zu bauen und zu exorbitanten Preisen anzubieten. Die Nachfrage lässt bis heute die Mieten steigen. Finanziell schwachen Bewohnern bleibt oft nur der Wegzug aus ihrem "Kiez".

André Malessa steht am sonnigen Spree-Ufer von Berlin-Friedrichshain. Er wohnt im nahen Kreuzberg. Schon mehrmals hat er Nachbarn schweren Herzens wegziehen sehen, erzählt er. "Die haben eine ganz enge Verbundenheit zu ihrem Kiez, mit den Schulen, den Bekannten und Verwandten." Wenn man ihnen das nähme, sei es kein Wunder, dass "ungute Gefühle" entstehen. Viele Kiez-Bewohner hätten das Gefühl, nichts gegen die Umstrukturierung tun zu können. Malessa blickt nüchtern in Richtung Fluss, als er sagt, dass manche dann eben zum letzten Mittel greifen und ein Auto anzünden würden.

Proteste gegen luxuriöses "Urban Village"

Showroom einer Luxus-Wohnanlage in Berlin-Prenzlauer Berg (Foto: Benjamin Braden/DW)
Der Showroom der Luxus-Wohnanlage "Marthashof" in Prenzlauer BergBild: Benjamin Braden / DW

An den Friedrichshain-Kreuzberger Ufern der Spree sollen unter der Überschrift "Mediaspree" einige Bürohäuser gebaut werden. Nur ein zehn Meter breiter Uferweg würde der Öffentlichkeit bleiben. André und seine Mitstreiter wollen das verhindern. Ihre Initiative heißt "Mediaspree Versenken". Sie fordert einen mindestens 50 Meter breiten Uferstreifen - und am besten eine ganz neue Bauplanung gemeinsam mit den Anwohnern.

Auch im mittlerweile schicken und teuren Gründerzeit-Viertel Prenzlauer Berg wird um Neubauten gestritten. Hier entfacht der "Marthashof" Streit - ein Ensemble aus luxuriösen Stadthäusern und Wohnungen, die sich um einen großzügigen Innenhof gruppieren. 500 Menschen werden hier einmal wohnen, noch ist der "Marthashof" eine Großbaustelle. "Urban Village" nennt sich das Projekt - und doch regen sich die städtischen Nachbarn darüber auf. Anwohner kritisieren die Neubauten als zu hoch und zu teuer - und fürchten, dass der Innenhof nicht öffentlich zugänglich sein wird.

Anschläge verschrecken Investoren nicht

'Eat The Rich'-Parole an Hauswand (Foto: Benjamin Braden/DW)
Aufmüpfigkeit und Protest gehören für viele zu Kreuzberg dazuBild: Benjamin Braden / DW

Für Markus Vollmar hingegen ist der "Marthashof" ein Projekt zum Schwärmen. Der 43-jährige Vollmar steht vor dem "Showroom" der Luxus-Wohnanlage, einem lilafarbenen Container. Er hat sich gerade das urbane Dorf im Modell angesehen - und ist begeistert. Der "Marthashof" sei ein "Meilenstein" der Berliner Stadtentwicklung. Was Lage, Bauqualität und Design angehen, mache das Projekt seinem Wahlspruch "Keine Kompromisse" alle Ehre. "Es ist ein Dorf in der Stadt, man ist hier unter seinesgleichen in dem kleinen Areal", sagt Vollmar. Er wird sich wohl eine Wohnung kaufen, als Geldanlage.

Das geschützte Dorf im szenigen Altbauquartier vereint die Vorzüge von Stadt und Land. Potenzielle Käufer wie Vollmar lassen sich da auch von Brandanschlägen und Protesten nicht verschrecken. Angst habe er nicht, sagt Vollmar. Die Anschläge seien eine unangenehme Begleiterscheinung des Stadt-Umbaus, die vorübergehen werde. Auch Polizeisprecher Thomas Goldack hat sich umgehört, welche Wirkung die Brandanschläge auf potenzielle Käufer haben. Die Erkenntnisse, die er in Kreuzberg sammeln konnte, lassen den erfahrenen Polizisten schmunzeln. "Immer wieder sagen potenzielle Käufer und Mieter, dass das einfach zu Kreuzberg dazugehöre. Bei einigen scheint das offensichtlich eher noch den Kick auszumachen."

Autor: Benjamin Braden
Redaktion: Ranty Islam