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Ein weites Feld

24. September 2009

Entwicklungspolitik ist ein Thema, das selten für Schlagzeilen sorgt. Das war auch in der vergangenen Legislaturperiode so.

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Hilfskräfte schultern Getreide-Säcke, die sie von einem Lastwagen des Welternährungsprogramms abladen (Foto: AP)
Lebensmittelhilfe des Welternährungsprogramms in Niger 2005Bild: AP

Schon in der Amtsbezeichnung wird deutlich, dass es sich um ein vielschichtiges Politikfeld handelt: Heidemarie Wieczorek-Zeul ist Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das ist ein durchaus programmatischer Name, der verdeutlichen soll, dass es um ein partnerschaftliches Verständnis von Gebern und Nehmern und nicht um Almosen geht. Das klingt auch an, wenn man die Ministerin nach den Zielen ihrer Arbeit fragt: "Zugang zu sauberem Wasser, moderner Energie, Beratung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen und natürlich auch Investitionen in die Gesundheits-Systeme. Dabei vor allem Unterstützung im Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS."

Wichtiges Ziel verfehlt

Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, auf einer Pressekonferenz in Berlin (Foto: DPA)
Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-ZeulBild: picture-alliance/ dpa

Die Ziele sind im Koalitionsvertrag festgehalten, den Sozialdemokraten und Konservative (CDU/CSU) 2005 geschlossen haben. Auf knapp drei Seiten sind im Kapitel Entwicklungspolitik die Leitlinien formuliert. Unter anderem heißt es: "Durch eine enge Verzahnung unserer Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Menschenrechts- Außenwirtschafts- und Auswärtigen Kulturpolitik wollen wir zu einer kohärenten Politik gegenüber den Entwicklungsländern kommen."

Ausdrücklich verpflichtet sich die Koalition, die finanziellen Mittel von damals 0,26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahre 2010 schrittweise auf die im europäischen Rahmen vereinbarte Selbstverpflichtung in Höhe von 0,51 Prozent zu verdoppeln. Dieses Ziel dürfte nach den bislang bekannt gewordenen Etat-Ansätzen für das kommende Haushaltsjahr klar verfehlt werden. Zwar soll das Entwicklungsministerium auch im Jahr 2010 mehr Geld erhalten, allerdings fehlen weit über drei Milliarden Euro, um die 0,51-Prozent-Marke einzuhalten.

Streitpunkt Budget-Finanzierung

Das wichtigste und ambitionierteste Ziel wird die Koalition also verfehlen. Dennoch ist es unter Federführung der seit 1998 amtierenden Heidemarie Wieczorek-Zeul gelungen, den Stellenwert deutscher Entwicklungspolitik zu erhöhen.

Bei aller Kritik in Einzelfragen besteht über Parteigrenzen hinweg weitgehende Einigkeit darüber, das lange vernachlässigte Ressort aufzuwerten. Das passt aus Sicht des Grünen-Politikers Thilo Hoppe gut zum Bild des wiedervereinten Deutschlands, das weltweit mehr Verantwortung übernehmen soll und will. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt auch die nicht ganz unumstrittene so genannte Budget-Finanzierung.

Damit sind Gelder gemeint, die unmittelbar in die Staatshaushalte der Empfängerländer fließen. Die Verwendung der Mittel ist zwar zweckgebunden, aber nur in einem sehr allgemeinen Sinne. "Wir sind ja nicht mehr die alten Kolonial-Herren, die den Entwicklungsländern Vorschriften machen", erklärt Hoppe. "Etwa dass sie ein dreigliedriges Schulsystem einzuführen hätten oder bestimmte Schulbücher, Stühle und Tische kaufen müssten."

Thilo Hoppe, Vorsitzender des Parlaments-Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, am Rednerpult des Deutschen Bundestages (Foto: privat)
Thilo Hoppe, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungBild: Thilo Hoppe

Man müsse akzeptieren, dass der Partner die Freiheit hat, das Geld - zum Beispiel im Bildungsbereich - nach seinen Vorstellungen auszugeben, meint Hoppe. Das Nehmerland wiederum müsse sich dann daran messen lassen, ob es ein bestimmtes Ziel, beispielsweise die Zahl der einzuschulenden Kinder, erreicht hat oder nicht.

Zwischenruf aus Bonn

Schärfste Kritiker der deutschen Entwicklungspolitik sind die FDP, aus deren Reihen einst mit dem späteren Bundespräsidenten Walter Scheel 1961 der erste Minister des neu geschaffenen Ressorts kam.

Scheels Parteifreund Hellmut Königshaus ist Ombudsmann seiner Fraktion im Fachausschuss des Bundestages und gehört zu den Unterzeichnern des "Bonner Aufrufs", in dem Experten aus Wissenschaft, Politik und Medien unter dem Titel "Eine andere Entwicklungspolitik!" einen Kurswechsel fordern. Ein halbes Jahrhundert personeller und finanzieller Entwicklungshilfe für Afrika habe kaum Erfolge gebracht, lautet der Hauptvorwurf. Eigeninitiative würde behindert werden, weil ihr viele staatliche Maßnahmen im Wege stünden.

Stattdessen sollten sich die Menschen mehr selbst organisieren und verwalten. Deutsche Entwicklungshilfe müsse in die Befugnis der Botschaften in den jeweiligen Ländern verlagert werden, weil man sich dort am besten auskenne, heißt es im "Bonner Aufruf". Vor allem die Agrarsubventionen der Industrieländer sind dem Liberalen ein Dorn im Auge. Sie zerstörten die Existenzgrundlage vieler Bauern in Entwicklungsländern. Für Ernährungsprogramme müssten zunächst die heimischen Märkte in Anspruch genommen werden, verlangt Königshaus. Lebensmittel dürften nicht importiert, sondern sollten bei den Agrarbetrieben vor Ort aufgekauft werden. Nur so könne sich ein eigener Markt entwickeln.

"Wir brauchen globale Regeln"

Königshaus Forderung steht im Einklang mit den Vorstellungen der deutschen Entwicklungsministerin. Auch Wieczorek-Zeul setzt sich seit Jahren für einen fairen Welthandel ein, ohne sich allerdings auf internationaler Ebene, etwa auf den Konferenzen der Welthandelsorganisation, entscheidend durchsetzen zu können. Die Sozialdemokratin fordert zudem schon lange eine neue globale Finanzstruktur und sieht sich durch die weltweite Krise bestätigt, die den Entwicklungsländern besonders zu schaffen mache. "Wir brauchen globale Regeln, die dem ungezügelten Kapitalismus ein Ende setzen und die mehr Transparenz, Steuerungsfähigkeit und Stabilität schaffen."

Mehr als nur ein Symbol ist es aus Sicht der Ministerin, dass Deutschland im Rahmen seines nationalen Konjunkturprogramms zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise 100 Millionen Euro für die Weltbank bereitstellt. Damit sollen durch ausbleibende Kredite gefährdete Entwicklungsprojekte gerettet werden. Andere Länder, hofft Wieczorek-Zeul, könnten dem deutschen Beispiel folgen.

Kämpferische Ministerin

Entwicklungspolitik als klassisches Querschnittsressort, eingebettet in internationale Zusammenhänge und Arbeitsteilung - die deutsche Bilanz der letzten Jahre fällt zwiespältig aus. Finanziell leistet das Land weit mehr als zu Beginn der Legislaturperiode 2005. Vom großen Ziel, bis zum Jahre 2015 den Anteil der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, ist Deutschland mit aktuell knapp 0,4 Prozent allerdings noch weit entfernt. Die Ministerin gibt sich dennoch gewohnt kämpferisch: "Ich arbeite dafür."

Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Kay-Alexander Scholz