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Stuttgart, eine WM ohne Verlierer

14. August 2009

585.000 enthusiastische Zuschauer machten die vierte Leichtathletik-WM 1993 in Stuttgart zu einem großartigen Ereignis und Erlebnis. Noch heute schwärmen Athleten von der besonderen Atmosphäre im Stadion am Neckar.

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Weitspringerin Heike Drechsler schreibt Autogramme
Bei der WM umjubelt: Heike DrechslerBild: picture-alliance / Sven Simon

"Es gab bei dieser WM keine Verlierer.“ Dieses Fazit zog nach der Schlussfeier der Präsident des Organisationskomitees, Prof. Dr. August Kirsch. In den Tagen zuvor hatten nicht nur die 1.689 Athleten aus 187 Ländern, sondern vor allem die leichtathletik-verrückten Zuschauer im Stuttgarter WM-Stadion alles gegeben. Sachkundig und fair hatten sie jeden Sportler - egal ob Weltmeister oder Letzten - ohne Ende bejubelt.

Zehnkämpfer Dan O'Brien beim Weitsprung
Zehnkämpfer Dan O'BrienBild: picture-alliance / dpa

Zehnkämpfer Paul Meier gewann damals in einem faszinierenden Wettkampf Bronze hinter Weltmeister Dan O´Brien aus den USA. Er bekommt noch heute eine Gänsehaut, wenn er sich an Stuttgart 1993 erinnert: "Es war einfach eine traumhafte Woche mit einer unheimlich schönen Stimmung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das deutsche Publikum es geschafft hat, nicht nur deutsche Erfolge zu feiern, sondern die Leichtathletik-WM an sich zu feiern. Es war ein Leichtathletik-Fest, bei dem sich die ganze Welt sehr wohl gefühlt hat in Deutschland.“

Fair-Play-Preis der UNESCO für die Zuschauer


Bei den vorangegangen Weltmeisterschaften in Helsinki, Rom und Tokio war die Stimmung nicht immer so euphorisch gewesen. Stuttgart hatte einen Meilenstein gesetzt, an dem sich auch die WM in Berlin messen lassen muss. Ständig war das Stadion ausverkauft gewesen. Und die insgesamt 585.000 Zuschauer ließen sich auch von der hochsommerlichen Hitze nicht stören. Karin Rieswick erinnert sich beim Blick ins Fotoalbum an aufregende Tage auf der Sitzplatztribüne: "Man wurde einfach mitgezogen von den anderen Menschen im Stadion. Bei der La Ola hatte man das Gefühl, dass sie gar nicht mehr aufhören wollte. Selbst die Athleten im Innenraum haben sich umgeguckt und konnten nicht glauben, was da passiert.“

Die Belohnung für so viel Einsatz gab es bei der Schlussfeier: "Wir danken euch“ und "Ihr seid die Besten“ stand schwarz auf gelb auf Plakaten, die die Sportler winkend durch den Innenraum trugen. Als weiteres Dankeschön bekamen die Zuschauer den Fair-Play-Preis der UNESCO überreicht. So hatten sie die letzte Gewissheit, Teil von etwas Außergewöhnlichem gewesen zu sein. Nicht nur für Karin Rieswick steht fest: "Das hat es so nicht wieder gegeben, auch in anderen Ländern nicht.“

Heike Drechsler und Lars Riedel holen Gold

Diskuswerfer Lars Riedel
Der zweite deutsche Weltmeister von Stuttgart: Lars RiedelBild: picture-alliance / Sven Simon

Groß war natürlich der Jubel, als Weitspringerin Heike Drechsler am zweiten WM-Tag die erste deutsche Goldmedaille holte. Doch nach ihr gelang dieses Kunststück in der DLV-Mannschaft nur noch Diskuswerfer Lars Riedel. Dazu gab es lediglich zweimal Silber und viermal Bronze. Sportlich gesehen verlief die WM aus deutscher Sicht also - für damalige Verhältnisse wohlgemerkt - mäßig. Denn zwei Jahre zuvor in Tokio war die Medaillenausbeute immerhin noch doppelt so groß gewesen.

Doch auch wenn 1993 in Stuttgart nicht jeder Traum in Erfüllung ging, so konnte Zehnkämpfer Paul Meier keinem seiner Mannschaftskollegen einen Vorwurf machen: "Jeder Athlet der Nationalmannschaft ist ins Stadion gekommen und man konnte spüren, er wollte absolut sein Bestes geben und hat sich voll reingehängt. Das erzeugt natürlich bei den Zuschauern auch schnell eine Stimmung, in der das ein oder andere, was schief geht, auch respektiert wird.“

"Berlin kann sich von Stuttgart was abgucken“

Später hieß es, in Stuttgart sei zum ersten Mal das Prinzip der sauberen Leistung anerkannt worden. Topleistungen bekamen die Zuschauer von Stars wie Carl Lewis, Colin Jackson, Sergej Bubka, Merlene Ottey oder Javier Sotomayor aber natürlich auch zu sehen. Unter anderem wurden vier Weltrekorde aufgestellt, von denen der der amerikanischen vier mal 400 Meter Staffel der Männer noch heute Gültigkeit hat.

US-Sprintstar Carl Lewis
Auch er begeisterte: Carl LewisBild: picture-alliance / Rolf Kosecki

Für die WM in Berlin wünscht sich Paul Meier nun eine ähnlich fesselnde Atmosphäre wie damals in Stuttgart: "Was Berlin sich abgucken kann, ist, dass eben nicht nur ein Sieg oder ein Weltrekord zählt, sondern dass alleine das Dabeisein bei einer WM im eigenen Land schon klasse ist. Natürlich wollen alle Athleten ihre beste Leistung bringen, aber es klappt eben nicht immer. Und genau das zu respektieren, und sich auch an der Schönheit der Leichtathletik zu begeistern, das könnte Berlin sicherlich lernen.“

Autor: Uli Petersen

Redaktion: Wolfgang van Kann