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Das Duft-ABC

20. Juli 2009

Die Duft-Expertin Sissel Tolaas hat in ihrem Duft-Labor tausende von Gerüchen gelagert. Um sie auszuprobieren wird sie zur "Geruchs-Provokateurin". Ein Interview.

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"Das mit der Nase": Sissel TolaasBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Sie entwickeln selbst Düfte, Sie sammeln auch Düfte in einem Archiv – wie muss man sich das vorstellen?

Sissel Tolaas: Ich habe mir an einem Zeitpunkt in meinem Leben ganz klar die Frage gestellt: Was ist das mit der Nase? Was ist ein Geruch überhaupt? Warum wird die Nase so unterbewertet, verglichen mit Augen und Ohren? Ich wollte wissen, ob man Gerüche überhaupt so lernen kann, wie das ABC. Daraufhin habe ich konsequent über sieben Jahre Gerüche gesammelt und versucht Gerüche zu lernen. Ich habe die Elemente, die Gerüche verursachen, aus verschiedenen Orten dieser Welt mitgenommen und in hermetisch verschlossene Boxen gelagert.

Jean Francois Frey
"Hätte man Ahnung, würde man gezielter kaufen"Bild: picture-alliance/ dpa

Muss man sich das bei Ihnen wie ein großes Laboratorium vorstellen?

Ja, genau. Ich habe 6037 Gerüche in Boxen gelagert, ich habe 2500 Moleküle in meinem Labor, mit denen ich versuche, die realen Gerüche zu reproduzieren oder zu simulieren. Inzwischen habe ich hochwertige Technologien zu meiner Verfügung. Das geht anders als mit den analogen Prozessen, wie ich das früher gemacht habe. Jetzt kann man mit Hilfe verschiedener Werkzeuge Gerüche aufnehmen, die sich rund um ein Objekt befinden. Die Luft also aufsaugen und analysieren.

Das klingt jetzt alles ziemlich naturwissenschaftlich. Sie sind aber auch Duft-Künstlerin. Wo ist denn das Künstlerische an Ihrer Arbeit?

Ich würde eher sagen, ich bin ein „professional provocateur“. Ich habe mich entschieden im Kunst-Kontext meine Versuche zu zeigen. Ich brauche Reaktionen für meine Aktionen. Ich finde, Geruch hat sehr viel mit dem Prozess des Am-Leben-Seins zu tun. Wir wissen, dass wir ohne Bilder und ohne Töne klar kommen, aber ohne Luft gar nicht. Jeder atmet und inhaliert dabei Gerüche. Wir können bis 4000 Gerüche speichern. Ich finde das ist Grund genug, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Was macht eine „Geruchs-Provokateurin“?

Ich brauche intuitive Reaktion auf Gerüche. Die Kunst ist der einzige Bereich, in dem man alles sein kann und niemand fragt, "was hast du studiert". Das ist der erste Aspekt. Der zweite Aspekt ist das Medium. Ich brauche diese Freiheit, um meine verrückten Versuche zu präsentieren. Das hat bis jetzt gut funktioniert. Man kann mich "Künstlerin" nennen, aber ich versuche einfach kreativ, innovativ zu sein, zu fragen: Welche Möglichkeit gibt es, wenn man Geruch als Information sehen könnte. Ich versuche, durch meine Erfahrung mit der Kunst Modelle zu zeigen, wie man mit Geruch umgehen kann. Das ist teilweise auch Fiktion und Utopie, manchmal wird das ein oder andere aber auch umgesetzt, zum Beispiel komerziell. Ich arbeite mit verschiedenen Firmen zusammen, da bewegt sich einiges im Moment.

Knoblauch, Knollen und Zehen
"Ich hasse keine Düfte - für mich gibt es nur interessante Gerüche"Bild: picture-alliance / chromorange

Wie leben Sie denn als Duftkünstlerin in einer Welt, die – zumindest in unseren Breitengraden – sehr stark parfumisiert, deodoriert, hygienisiert ist?

Bei mir geht es darum, alles wieder zurück zum Anfang zu bringen. Wir können uns erst mit den ganzen Gerüchen auseinandersetzen, wenn wir wissen worum es geht. Tatsache ist, dass wir kaum Ahnung haben, was es für Möglichkeiten gibt, wenn wir die Nase aktivieren: Wahrnehmung, Navigation, Kommunikation. Das muss man erstmal lernen. Ich versuche wirklich, mit Kindern und Schulen zusammen zu arbeiten, die Nase in den Stundenplan zu integrieren und sehe das als hochwichtigen Faktor. Dabei fange ich wie beim ABC an: Wie riecht denn ein Apfel, wie riecht denn eine Banane? Wie könnte sie potentiell riechen?

Machen wir denn alles falsch, wenn wir teure Parfums kaufen oder uns mit fremden, schicken Düften einsprühen?

Wir machen das alle sehr wahllos und kaufen nach Marken. Hätte man ein bisschen Ahnung, worum es hier geht, würde man viel gezielter diese Produkte kaufen und sich fragen – brauche ich das überhaupt? Und was möchte ich denn damit sagen, wenn ich mich mit diesem Geruch einsprühe? Wir geben uns große Mühe, um uns mit einem Duft zu kleiden, der nicht der eigene ist. Tatsache ist aber, dass immer der eigene Duft in der Kommunikation als erstes herüberkommt. Der geht nie weg. Wenn einem das bewusster wäre, wäre man auch vorsichtiger mit den ganzen Seifen und Cremes. Ich habe mehrere Versuche in diese Richtung gemacht. Es ist unglaublich, was da passiert. Man entscheidet sich, wie man "unsichtbar" herüberkommen möchte.

Wenn ich Sie frage, was Ihr Lieblingsduft ist, gibt es denn darauf eine Antwort?

Nein. Lieblingsdüfte oder gehasste Düfte gibt es bei mir nicht. Es gibt für mich nur interessante Düfte.

Interview: Cornelia Rabitz

Redaktion: Elena Singer