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Deutschland und die Ware Mensch

14. Juli 2009

Menschenhandel? Zwangsarbeit? Sklaverei? Bei diesen Begriffen denken die allermeisten Deutschen keine Sekunde an das eigene Land. Aber sie irren sich. Auch in Deutschland werden Menschen verkauft und ausgebeutet.

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Eine Statue auf Goree Island im Senegal erinnert an die Abschaffung der Sklaverei (Archiv-Foto: dpa)
Verkaufte Leibeigene ohne Rechte - hier eine Statue auf Goree Island im SenegalBild: DPA

Die allermeisten Opfer von Menschenhandel in Deutschland arbeiten in der Gastronomie, in privaten Haushalten und als Prostituierte in Bordellen. Aber wie viele es insgesamt sind, weiß keiner genau, denn viele Betroffene leben illegal in Deutschland und haben Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden.

Randproblem oder Massenphänomen?

Ein Mädchen aus Indien hält ein Poster mit einem Protestschriftzug gegen Menschenhandel (Foto: AP)
Protest in Indien gegen MenschenhandelBild: AP

Nach einer vorsichtigen Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation gibt es allein in Deutschland jedes Jahr rund 15.000 Fälle von Menschenhandel. Andere Experten nennen weitaus höhere Zahlen. Sie sprechen allein von bis zu 30.000 Frauen, die jedes Jahr im Sexgewerbe verkauft und ausgebeutet werden. Einen weiteren Anhaltspunkt für das Ausmaß des Menschenhandels bietet das so genannte Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA). Dort sind allein für das Jahr 2007 in der Rubrik "sexuelle Ausbeutung" gut 450 abgeschlossene Ermittlungsverfahren mit fast 700 Betroffenen registriert. Aber auch das BKA geht von einer extrem hohen Dunkelziffer aus, die höher sei als in anderen Bereichen der Kriminalität.

Dreifaches Signal

Das Deutsche Institut für Menschenrechte und die Zwangsarbeiter-Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" wollen den Opfern von Menschenhandel und moderner Sklaverei mit einem gemeinsamen Pilotprojekt helfen, das sie an diesem Dienstag (14.07.2009) in Berlin vorgestellt haben. Martin Salm, der Vorsitzende der Zwangsarbeiter-Stiftung, hofft auf ein Signal in mehrfacher Hinsicht, zu allererst an die Betroffenen. "Sie haben Rechte, und es gibt Unterstützungsmöglichkeiten für sie."

Zweitens müsse die Öffentlichkeit erkennen, so Martin Salm, "dass es in Deutschland Zwangsarbeit gibt. Es darf keine Toleranz gegenüber modernen Formen der Zwangsarbeit und der Sklaverei geben". Ein drittes Signal muss seiner Meinung nach an die Täter gehen: "Sie können haftbar gemacht werden, und es kann für sie teuer werden. Es können Rechte, und es können Entschädigungen gegen sie eingeklagt werden."

Unteilbare Menschenrechte

Auf den ersten Blick scheint das auf drei Jahre angelegte Projekt wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Scheu der Opfer, sich den Beratungsstellen anzuvertrauen oder die Täter zu verklagen, sei sehr groß. Und vor den deutschen Gerichten würden die Opfer meistens nur als Zeugen gehört, während ihr Anspruch auf Entschädigung unbeachtet bliebe, kritisiert der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt. Die ausgebeuteten Menschen bekämen in der Regel nur für die Dauer des Prozesses ein Bleiberecht und müssten danach ausreisen.

Heiner Bielefeldt kommt es deshalb vor allem darauf an, die Unteilbarkeit der Menschenrechte in den Vordergrund zu stellen: "Auch für Menschen, die sich tatsächlich aufenthaltsrechtlich in der Illegalität befinden und damit vielleicht auch Rechtsbruch in Kauf genommen haben, gelten die Menschenrechte. Die Menschenrechte sind nicht abhängig von Status-Positionen, auch nicht von der aufenthaltsrechtlichen Legalität."

Institutsdirektor Heiner Bielefeldt appelliert an die Bundesregierung, die schon 2005 formulierte Konvention des Europarats gegen Menschenhandel zu ratifizieren. Seine Kollegin Petra Follmar-Otto hat eine Studie über den "Menschenhandel in Deutschland" verfasst. Sie plädiert für eine großzügigere Auslegung des Aufenthaltsrechts in Deutschland. Von der gängigen Aufenthalts-Praxis profitieren ihrer Meinung nach vor allem die skrupellosen Ausbeuter der Ware Mensch: "In dem Moment, in dem sich die Arbeitnehmer aus ihrem Arbeitsverhältnis lösen, erlischt sozusagen auch ihr Aufenthaltsrecht. Und damit wird den Tätern und Täterinnen von Menschenhandel ein gewichtiges Instrument an die Hand gegeben", um ihre Opfer auszubeuten, sagt Petra Follmer-Otto.

Totale Abhängigkeit

Gefesselte Hände (Foto: AP)
Fesseln der Abhängigkeit sprengenBild: AP

Den Initiatoren des Projekts gegen Zwangsarbeit und Menschenhandel geht es vor allem darum, den Opfern neben rechtlichem und finanziellem Beistand das Gefühl zu geben, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können.

Heiner Bielefeldt vom Deutschen Institut für Menschenrechte spricht davon, die Opfer aus ihrer "totalen Abhängigkeit" herauszuholen: "Das Bewusstsein der eigenen Würde, der Menschenwürde, hängt wesentlich davon ab, dass man sich selbst als Subjekt erleben kann. Und Betroffene von Menschenhandel haben genau da ihr oft ganz schwer überwindbares Trauma."

Viele der Betroffenen erleiden durch Zwangsarbeit und Sklaverei in Deutschland ein zweites Trauma. Das erste haben sie schon in ihrer Heimat erlitten, aus der sie geflohen sind, um Gewalt und Armut zu entkommen. Die Flucht vor der Armut und der Wunsch nach einem besseren Leben gehören zu den wichtigsten Motiven von Menschen, die illegal in Deutschland leben. Skrupellose Schleuserbanden und Menschenhändlern nutzen das aus.

Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Sandra Petersmann