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Politikverdrossenheit und Populismus

2. Juli 2009

Bei den kommenden Parlamentswahlen in Bulgarien hat die neue konservative Partei GERB die besten Chancen. Die Korruption ist Wahlkampf-Dauerthema, die Bürger wollen vor allem eine Verbesserung ihrer materiellen Lage.

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GERB-Chef Borissov der Mann der Stunde?Bild: sofia.bg

Am Sonntag, 5. Juli sind die Bulgaren zum sechsten Mal seit der Wende 1989 aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Wahlberechtigt sind 6,7 Millionen Bürger. Bulgariens Parlament, die Nationalversammlung hat 240 Sitze – viel zuviel für das kleine Balkanland und viel zu teuer für das ärmste EU-Land, klagen viele. Doch ist die Zahl an Abgeordneten in der 1991 verabschiedeten Verfassung verankert. Die wenigen Versuche, dies zu ändern, waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da der politische Wille dazu einfach fehlt.

Populist gilt als Favorit

Als Favorit bei der Wahl gilt die Partei des Sofioter Bürgermeisters Boyko Borissov, „Bürger für europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB). Die vor zweieinhalb Jahren gegründete konservative Partei war bei den Europawahlen vor einem Monat der klare Sieger und schickt die meisten bulgarischen Europa-Abgeordneten nach Brüssel beziehungsweise Strassburg. Der Erfolg geht vor allem auf das Konto von Parteichef Borissov, der mit populistischen Forderungen auf Stimmenfang geht. Nach Einschätzung des deutschen Bulgarien-Kenners Franz-Lothar Altmann kann Borissov kaum etwas aufhalten: „Selbst wenn sich Herr Borissov einen Bänderriss oder einen Knochenbruch beim Fußballspielen zuzieht, könnte das vielleicht sogar seine Popularität noch stärken.“

Wahlversprechen: Kampf gegen Korruption

Woher kommt aber diese grenzenlose Volksliebe für Borissov? Sie ist kaum damit zu erklären, dass er für die Sicherheit von zwei bulgarischen Prominenten verantwortlich war. Nämlich des langjährigen Staats- und Parteichefs Todor Schiwkow und wenig später auch für die des zurückgekehrten Ex-Zaren Simeon II. Eher ist es sein Ruf des vermeintlich furchtlosen Machers, der ihn zum Volkshelden macht. Zum Beispiel verspricht der militärisch kurz geschorene Bürgermeister von Sofia, mit der Korruption gnadenlos aufzuräumen. Aber kann er das? Und zwar in einem Land, wo die Oligarchen nicht nur Teile der Exekutive, sondern auch Parlamentarier, Staatsverwaltung und Gerichte kontrollieren?

Politikverdrossenheit bei Bulgaren

Viele Bulgaren sind überzeugt, dass die Interessen der Politik und der Kriminalität stark verflochten sind. Sie glauben, die Politik dulde die Verbrecher, anstatt sie zu bekämpfen. Das bestreitet auch Georgi Nikolov nicht, Vorsitzender der Bulgarischen Sozialistischen Jugend (BSM), der Nachwuchsorganisation der regierenden Sozialisten. „Die Politik in Bulgarien ist inszeniert und autoritär. Man geht in die Politik, um sich zu bereichern. Es existieren keine Prioritätsziele, sie sind einfach verschwommen“, so der Chef der jungen Sozialisten. Daher auch die große Enttäuschung unter den bulgarischen Wählern, fügt Georgi Bliznaschki zu, Dozent für Verfassungsrecht und bulgarischer Wahlbeobachter: „Es herrscht eine große Unzufriedenheit unter den Leuten. Ganze Gesellschaftsgruppen fühlen sich als Außenseiter, sie sehen keine Perspektive für sich. Deshalb verlassen so viele Leute das Land, um ihr Glück im Ausland zu suchen.“

Auslandsbulgaren ausgeschlossen?

Nahezu eine Million Bulgaren sind nach der Wende 1989 ausgewandert. Die größten bulgarischen Bevölkerungsgruppen leben heute in der Türkei, den USA, Großbritannien, Spanien und Deutschland. Ihre Interessen soll die unlängst gegründete Partei „Das andere Bulgarien“ vertreten. Sie kritisiert, dass auch wegen einer zu geringen Zahl an Wahllokalen am 5. Juli viele Auslandsbulgaren nicht wählen werden, auch in Deutschland, sagt Professor Venelin Zatschevski von der Partei „Das andere Bulgarien“:

Sozialisten droht Machtverlust

Laut dem Meinungsforschungsinstitut Barometer-Info liegt die GERB-Partei mit knapp 27 Prozent in der Wählergunst in Führung. Mit deutlichem Rückstand, das heißt mit 18,5 Prozent der Stimmen, folgt die Koalition für Bulgarien (KB), die von der regierenden Sozialistischen Partei (BSP) angeführt wird, der nun der Verlust der Macht droht. Den dritten Platz belegt mit 12,4 Prozent die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) – die Partei der türkischen Minderheit. Chancen, die parlamentarische Vier-Prozent-Hürde zu schaffen, haben weitere fünf Parteien, darunter die nationalistische Ataka und die Zarenpartei „Nationale Bewegung für Stabilität und Aufschwung“ (NDSV).

Eine im Juni durchgeführte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts BBSS- Gallup zeigt, was von der nächsten Regierung erwartet wird: höhere Einkommen, höherer Lebensstandard, effizientere Wirtschaft und Erhöhung der Renten und Sozialhilfe.

Autor: Emiliyan Lilov

Redaktion: Bernd Johann