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Revolution per Mausklick

22. Juni 2009

Nach der umstrittenen Wahl im Iran gehen Hunderttausende auf die Barrikaden. Auch im Internet suchen viele einen Weg, ihren Protest zu artikulieren. Eine junge Frau wurde dabei zur Heldin der Rebellion.

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Mann vor PC mit Youtube-Seite (Foto: dpa)
Über die Video-Plattform Youtube werden Neuigkeiten aus dem Iran verbreitetBild: picture-alliance/ dpa

Neda ist 19, als sie stirbt. Tödlich getroffen von der Kugel eines

Scharfschützen der berüchtigten und Ahmadinedschad nahestehenden "Basidsch"-Milizen. So heißt es zumindest im Internet. Dort kursieren seit dem Wochenende (21.06.2009) überall die Handy-Videos, mit denen der dramatische Tod Nedas gefilmt wurde. Angeblich war die junge Frau in Teheran zusammen mit ihrem Vater auf die Straße gegangen, um die Demonstration zu beobachten. Auf dem Video sackt Neda plötzlich leblos zusammen, liegt in einer Blutlache. Ihr Vater kniet über ihr, schreit "Bleibt bei mir, bleib bei mir!". Für die junge Frau kommt jede Hilfe zu spät.

Im Internet ist Neda zum Symbol für den Widerstand geworden. Zahlreiche User posteten Nedas Bild und Sätze wie "Ich bin Neda" auf ihre Seiten. Das Bild der blutüberströmten jungen Frau ist zur Ikone des Protestes geworden, zur Märthyrerin der Revolution im Iran.

Youtube als Forum der Revolte

Verbreitet werden solche Videos in rasender Geschwindigkeit über das Internet: Bilder von Toten, Blut und schreiende, protestierende Menschen sind zu sehen, Polizisten, die auf Demonstranten einschlagen, überall Chaos und Feuer und die entschlossenen Gesichter der Bevölkerung, die im Chor "Allah Akbar" ("Gott ist groß") ruft. Immer wieder sieht man zwei Finger, die in die Luft ragen, das Zeichen des Sieges. Dramatische Musik untermalt die schrecklichen und gleichzeitig rührenden Szenen in dem Youtube-Video: Iran After Election 2009 Green Revolution.

Massenproteste in Teheran (Foto: AP)
Massenproteste in TeheranBild: AP

Das Video ist den Iranerinnen und Iranern gewidmet, die sich nach der wahrscheinlich gefälschten Präsidentschaftswahl für ihre Rechte einsetzen. Zitate aus dem Online-Netzwerk Twitter werden zwischendurch eingeblendet. Es wird zudem aufgerufen, den Computer so einzustellen, dass man als iranischer Internetnutzer angezeigt wird. Die Medien werden aufgefordert, die Namen der iranischen User nicht zu veröffentlichen. Auf diesem Weg will man die Iraner vor Strafe oder Rache schützen.

Informationsplattform Twitter

Besonders nach der Wahl wurde Twitter von vielen Iranern als Plattform zum Informationsaustausch genutzt - als Ersatz für die zensierten iranischen Medien und die verbotene Berichterstattung durch ausländische Journalisten. Populärstes Thema, auch genannt "tube", ist #iranelection. Gibt man dieses Thema in Twitter ein, erhält man die "Tweets" zahlreicher User, die sich zu den Protesten im Iran äußern.

Sie halten ihre Avatare in grün, der Farbe der "Bewegung". User weltweit können auf diese Weise ihre Solidarität bekunden. Links zu Bildern, Videos oder Websites werden gepostet. Meistens sind es junge Menschen, die sich im Netz austauschen. Im Iran sind zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Politikverdrossenheit kann man der iranischen Jugend nicht vorwerfen.

Screenshot der Internetseite www.facebook.com zu den Ereignissen nach der Wahl im Iran (Screenshot: DW)
Die Online-Plattform Facebook bietet eine Möglichkeit des ProtestsBild: facebook.com

Laut der Website Trendrr, die Klicks auf populäre Internetangebote aufzeichnet, gibt es in diesen Tagen häufig bis zu 25.000 neue "Tweets", es ist unmöglich, allen zu folgen. Selbst das US-Außenministerium erkannte die Bedeutung der Onlineplattform an und bat ihre Betreiber um die Verschiebung von anstehenden Wartungsarbeiten.

Neben den Anhängern Mir Hussein Mussawis, des unterlegenen Kandidaten bei der Präsidentenwahl, tummeln sich auch Propagandisten des offiziellen Siegers Mahmud Ahmadinedschad auf diesen populären Plattformen. Unter dem Pseudonym luckykiwi postet ein User, Twitter sei eine Verschwörung Israels, um den Iran zu destabilisieren. Twitter versucht, die Verbreitung von Desinformation einzudämmen und sperrt User wie diesen. Gesperrte oder verdächtigte User werden in einer Liste veröffentlicht. Es bleibt indes fraglich, inwieweit diese Maßnahme eine Authentizität der Nachrichten bewirken kann.

Mussawi und die "Generation Facebook"

Auch Facebook ist bei vielen Iranern beliebt. Schon vor der Wahl konnte man der Fanseite von Mir Hussein Mussawi im Online-Netzwerk Facebook beitreten. Auf der Pinnwand des Politikers sind Links, Videos und Aufrufe zu Kundgebungen zu finden.

Facebook Profilbild Mir Hussein Mussawi (Foto: dpa)
Mir Hussein Mussawi rief auf seiner Facebook-Seite auch zu Kundgebungen in Teheran auf

Die Fanseite umfasst über 61.000 Unterstützer - Tendenz steigend. Die Fotoalben sind mit Titeln wie "showing the green power!" oder "green wave in black silence" versehen. Als Lieblingsseite wird das Profil von Mussawis Frau Zahra Rahnavard angegeben. Mussawi wird dargestellt als der Mann des Volkes, der mit Hilfe des World Wide Web seine Anhänger mobilisiert.

Die iranische Regierung versucht unter allen Umständen, die Kommunikation über die politische Situation zu verhindern. Doch mit Hilfe von Proxy-Servern und spezieller Software schlagen ihr manche ein Schnippchen. Der Blogger Austin Heap bietet Möglichkeiten an, einen Proxy zu nutzen, um auch im Iran weiterhin an soziale Online-Netzwerke zu kommen oder Kontakt zur Familie zu halten. Eine Online-Petition fordert Google Earth dazu auf, regelmäßig Bilder von Teheran zu aktualisieren.

Der Protest ist grün

Bilder von den Ereignissen bieten mehrere User der Photo-Plattform Flickr an. Aktuell und hautnah kann man einen Eindruck davon gewinnen, was sich im Land abspielt. Unter dem Pseudonym .faramarz stellt ein User seine schockierenden Fotos ins Internet: ausgepeitschte Rücken, blutüberströmte Menschen in Grün, lange Protestmärsche, Plakate von Mussawi - ebenfalls in Grün. Ähnlich wie bei dem Youtube-Video bekommt man auch hier Bilder zu sehen, die den westlichen Medien verwehrt bleiben.

Die junge Bevölkerung als Medienmacher - eine Alternative zu den Journalisten, die keine Erlaubnis zur Berichterstattung haben. Das Internet bleibt vorerst eine der wenigen Informationsquellen für das Ausland. Selbst CNN bezieht sich auf Bilder und Informationen aus Twitter. Der Cyberspace scheint durchzogen von Solidarität dem iranischen Volk gegenüber. Demonstrationen in Europa und Amerika sind Ausdruck der globalen Empörung über die möglicherweise gefälschte Wahl im Iran. Die junge Revolution ist ausgebrochen - und viele sind "online" dabei.

Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi

Redaktion: Thomas Grimmer/Martin Schrader