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Kinderarmut in Ungarn

4. Juni 2009

30 Prozent der Kinder in Ungarn sind sozial benachteiligt. Ihre Eltern haben andere Sorgen, als sich um Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung zu kümmern. Sozialarbeiter in Schulen kümmern sich um die Jugendlichen.

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Ein Fußball spielender Junge auf einem Sandplatz (07.05.2005/dpa)
Fußball spielen als LeidenschaftBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Auf einem Fußballplatz mitten in der ungarischen Stadt Pecs spielen einige Jungs Fußball. Ein gelber Metallzaun umgibt die grau betonierte Fläche, ringsherum stehen Plattenbauten. Der 13-jährige Szilárd Pataky ist der beste Spieler. Der schlanke Junge täuscht geschickt an, spielt präzise Pässe und ist unglaublich flink. "Die Schule ist so um eins zu Ende. Dann mache ich schnell meine Hausaufgaben - oder auch nicht, und komme hier her", erzählt Sziszka, wie er genannt wird. Fußball spielen ist seine Leidenschaft.

Fast seine gesamte freie Zeit verbringt Sziszka auf dem Bolzplatz. Er versucht, so wenig wie möglich zuhause zu sein. Dort sei es nicht schön, sagt er. Sein Vater trinke zu viel und sei auch nicht mehr gesund genug, um zu arbeiten. Seine Mutter habe immerhin vor einem Jahr mit dem Trinken aufgehört und arbeite seither als Gärtnerin. Was Sziszka den Tag über macht, entscheidet er selbst. Seine Eltern machen weder Angebote noch Verbote.

Jugendlichen eine Chance bieten

Alter Fischmarkt im ungarischen Pécs
Das Zuhause von Sziszka: Die ungarische Stadt PécsBild: J. Sorges

Statistiken zufolge sind etwa 30 Prozent der Kinder in Ungarn sozial benachteiligt. Im günstigsten Fall gelingt es den Eltern, ihnen Essen zu geben, für ein Dach über dem Kopf zu sorgen und emotional einigermaßen für sie da zu sein – mehr aber auch nicht. Wenn Sozialarbeiter Jugendliche wie Sziszka sehen, atmen sie erleichtert auf. Es ist gut möglich, dass den Jungen seine Liebe zum Fußball über die schwierige Jugend rettet. Auf dem Platz trainiert er, durchzuhalten, Regeln anzuerkennen, Niederlagen hinzunehmen und zu kämpfen. Den meisten anderen Jugendlichen in seiner Situation fehlt eine solche Leidenschaft. Sie landen auf der Straße.

Sziszka geht in die sechste Klasse der städtischen Grundschule Mezőszél. Wie in vielen Schulen gibt es auch dort eine Sozialarbeiterin, die sich um benachteiligte Schüler kümmert. "Wir organisieren Fußballturniere, Spieltage für Kinder, Teenie-Partys und günstige Sommercamps", erzählt Klára Bálint. Kostenlos gebe es das aber nicht. "Wenn man die Eltern mit in die Pflicht nimmt, spüren sie am ehesten, dass die Dinge einen Wert haben. Die meisten sind auch bereit, Opfer zu bringen: Sie versuchen zum Beispiel bei etwas anderem zu sparen, damit sie einen Teil des Feriencamps mitfinanzieren können."

Kein Geld für Klassenfahrten

Der Champions League-Pokal (24.08.2006/Salvatore Di Nolfi/dpa)
Irgendwann mit dem Fußball erfolgreich sein - das möchte Szilárd PatakyBild: picture-alliance/ dpa

Der ungarische Staat ist stolz auf sein Schulsystem, das versucht, auch armen Schülern Chancen zu geben. Die wirtschaftliche Lage im Land ist desolat - aber Sozialarbeiter an Schulen gibt es immer noch. Sie kümmern sich darum, dass Jugendliche wie Sziszka kostenlos verpflegt werden und Schulbücher erhalten. Sziszka ist zwar kein guter Schüler, aber er geht gerne in die Schule. "Lernen macht mir keinen Spaß, aber ich habe in meiner Klasse gute Kumpels. Und außerdem sind die Klassenfahrten super", berichtet Sziszka.

Diese Fahrten kosten Geld – Geld, das Sziszkas Eltern nicht aufbringen können. Dann springt eine private Schulstiftung ein oder die Klasse sammelt. Sziszkas Eltern haben andere Sorgen: Sie streiten mit dem Energieversorgungsunternehmen darüber, ob Strom und warmes Wasser wegen unbezahlter Rechnungen wieder abgestellt werden müssen. Oder sie versuchen, sich mit Gläubigern zu einigen, wie man mit den angehäuften Schulden am besten umgeht.

Für Träume lohnt es sich zu kämpfen

David Beckham posiert mit dem Vize-Präsidenten von AC Mailand Adriano Galliani (20.12.2008/AP Photo/Alberto Pellaschiar)
Sziszka größter Traum: zum AC Mailand wie David BeckhamBild: AP

Vor ein paar Monaten wurde ein Fußballklub auf Sziszkas Talent aufmerksam. Jetzt stehen die Eltern vor der Herausforderung, jeden Monat zehn Euro aufzutreiben, damit ihr Sohn im Verein kicken kann. Hausaufgaben haben sie bei ihrem Sohn Sziszka noch nie kontrolliert, obwohl das sehr nötig wäre. Aber die zehn Euro, sagen sie, wollten sie jetzt auf jeden Fall aufbringen. Träume können retten - und Sziszka hat Träume: "Ich möchte eines Tages beim AC Mailand spielen. Ich will Geld haben und stark sein, damit mir niemand etwas tun kann."

Autor: Christian Erdei
Redaktion: Julia Kuckelkorn / Mareike Röwekamp