1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sinti und Roma

22. April 2009

Sinti und Roma, die größte Minderheit in Europa, stoßen im Alltag oft auf Ablehnung und Vorurteile. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma drängt deshalb auf besseren Schutz und mehr gesellschaftliche Integration.

https://p.dw.com/p/Hc5K
Zwei Herren in Anzügen stehen auf dem Grundstein des Denkmals für Sinti und Roma (Foto: AP)
Ein Denkmal erinnert an die Sinti und Roma, die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen (Archivfoto: 19.12.2008)Bild: AP

Etwa eine halbe Million Angehörige der Sinti und Roma Minderheit fielen dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer. Kurz vor Weihnachten 2008 erfolgte der offizielle Baubeginn des Denkmals für die Ermordeten in unmittelbarer Nähe des Berliner Reichstagsgebäudes. Vor der Realisierung wurde 16 Jahre lang um so ziemlich alles gestritten: die künstlerische Gestaltung, den Erinnerungstext, den Standort, die Finanzierung. Auch die Sinti und Roma waren sich keineswegs einig.

Diskriminierung im Alltag und von Seiten der Politik

Ein kleiner Junge sitzt auf dem Boden in einem Schutthaufen (Foto: picture-alliance/dpa)
Auch heute noch wird die Minderheit diskriminiertBild: picture-alliance/ dpa

Der Streit über das vermeintlich beste und richtige Gedenken an den Völkermord ist nun Vergangenheit - die oftmals bedrückende Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma im 21. Jahrhundert indes ist Gegenwart. In einer 2006 vom Zentralrat durchgeführten Umfrage berichteten 76 Prozent von Diskriminierungen am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder in der Freizeit. Es war nach Angaben des Zentralrats die erste Umfrage dieser Art europaweit.

Die Ergebnisse einer solchen Befragung außerhalb Deutschlands wären wahrscheinlich noch wesentlich schlechter ausgefallen: Nachrichten über pogromartige Ausschreitungen in süd- und südosteuropäischen Ländern häufen sich. In Italien betreibt die Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi rassistische Politik. Im Sommer 2008 wurde damit begonnen, von Sinti und Roma Fingerabdrücke zu nehmen - zur Verbrechensbekämpfung und zum Aufspüren illegal Eingewanderter, wie es unverhohlen hieß.

"Task Force" für Gleichstellung

Der Vorsitzende der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, war über die Reaktion der Politik enttäuscht: "Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, inwieweit wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Ich bedauere sehr, dass nicht mehr Politiker Westeuropas deutlicher protestiert haben, als es darum ging, unsere Minderheit und die Flüchtlinge in Italien zu diskriminieren", sagt Rose.

Es gibt aber auch ein paar ermutigende Zeichen. So will sich der deutsche Sozialdemokrat Gert Weisskirchen für eine "Task Force" der Europäischen Union einsetzen, die konkrete Maßnahmen zur Gleichstellung der Sinti und Roma erarbeiten soll. Weisskirchen ist Bundestagsabgeordneter und Beauftragter zur Bekämpfung des Antisemitismus bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Romani Rose begrüßt die Initiative: "Wichtig ist, dass es nicht bei irgendwelchen Projekten und Vorschlägen bleibt, sondern dass die Europäische Union die Länder in die Pflicht nimmt, und zwar mit Sanktionen", fordert er.

Medien kriminalisieren Minderheiten

Menschen stehen auf der Straße und halten ein großes Plakat hoch (Foto: dpa)
Gegen die Politik von Berlusconi protestieren Sinti und Roma in Rom (Archivfoto: 10.07.2008)Bild: picture-alliance/dpa

Dabei denkt der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma vor allem an Italien. Unzufrieden ist Romani Rose aber auch mit der Situation in Deutschland. Besonders empört ihn die in Behörden und Medien weit verbreitete Praxis, im Zusammenhang mit kriminellen Delikten die Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti und Roma zu erwähnen: "Sinti und Roma sind in diesem Land nach 1945 kontinuierlich kriminalisiert worden, indem Vorwürfe gegen Einzelne unserer Minderheit in Meldungen plakativ hervorgehoben werden." Damit würde Kriminalität zu einem Merkmal einer Minderheit gemacht, so Rose.

Im Oktober 2006 präsentierte der Zentralrat der deutschen Innenministerkonferenz eine Dokumentation mit mehr als 550 Zeitungsartikeln sowie Agentur- und Polizeimeldungen, die aus Sicht der Sinti und Roma diskriminierend waren. In 92 Prozent der beanstandeten Texte seien die Kennzeichnungen von Behörden veranlasst worden, hieß es in der Vorlage für die Politiker.

"Gefestigte demokratische Kultur"

Besorgt äußerten sich Anfang Februar 2009 auch zahlreiche Vertreter des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, der sich erstmals mit der Lage der Menschenrechte in Deutschland befasste. Sie zeigten sich beunruhigt über den Anstieg fremdenfeindlicher Angriffe auf Minderheiten wie Sinti und Roma.

Der Zentralratsvorsitzende Romani Rose hält die deutsche Gesellschaft trotz aller Kritik für robust genug, sich erfolgreich gegen Diskriminierung und Rassismus zu wehren. In 60 Jahren Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sei eine "gefestigte demokratische Kultur" entstanden. "Das gibt mir die große Hoffnung, dass diese Rechtextremen, Neonazis und Rassisten, die es in Deutschland natürlich gibt, keine Chance haben, hier Mehrheiten zu erreichen", sagt Rose.

Wirtschaftskrise befördert rechtsextreme Tendenzen

Ein Mann stütz den Kopf auf eine Hand, hinter ihm hängen schwarz-weiße Fotos (Foto: dpa)
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma (Archivfoto: 21.02.2008)Bild: picture-alliance /dpa

Romani Rose beobachtet aber auch, das rechtsextremes Gedankengut vielerorts auf fruchtbaren Boden fällt. Eine Tendenz, die sich in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise zuspitzt. Anlass zur Achtsamkeit sieht deshalb auch der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Jaques Barrot. Der für die Bereiche Recht, Sicherheit und Freiheit zuständige Franzose forderte die EU-Regierungen Anfang April eindringlich auf, mehr gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu tun.

Konkrete Ergebnisse erhofft sich Romani Rose unter anderem von einer internationalen Konferenz, die auf Einladung des deutschen Justizministeriums im Sommer in Berlin geplant ist. Dabei soll es auch um den Kampf gegen Rassenhetze im Internet gehen. Einer Selbstverpflichtung der Internet-Provider dagegen vorzugehen, seien bislang keine spürbaren Taten gefolgt, bedauert Romani Rose.


Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Sandra Voglreiter