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Demjanjuk soll in München vor Gericht

2. Mai 2009

Sechs Monate war Ivan John Demjanjuk KZ-Aufseher im Vernichtungslager Sobibor. Das Landgericht München will ihm den Prozess machen - wegen Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen.

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John Demjanjuk im Jahr 2005 (Foto: AP)
John Demjanjuk im Jahr 2005Bild: AP

Wer ist dieser Mann, der für Taten vor Gericht gestellt werden soll, die mehr als 66 Jahre zurückliegen?

Ivan Demjanjuk ist 22 Jahre alt, als er von den Deutschen gefangengenommen wird. Als gebürtiger Ukrainer dient er im Zweiten Weltkrieg zunächst auf Seiten der Roten Armee. Im Jahre 1942 trifft er dann eine folgenschwere Entscheidung: Er wechselt die Fronten und lässt sich von der SS als Freiwilliger Helfer anwerben - wie Tausende junger Männer aus der Ukraine und den baltischen Ländern. Im SS-Ausbildungslager Trawniki erhält er eine "Grundausbildung" und wird dann als Aufseher in verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis eingesetzt.

Nach dem Krieg taucht er unter im Millionenheer der so genannten "displaced persons" - Menschen, die am Ende des Krieges nicht in ihre Heimat zurückkehren können. 1952 gelingt es ihm, zusammen mit seiner Frau und einer Tochter nach Amerika auszuwandern, 1958 erhält John Demjanjuk, wie er sich inzwischen nennt, die amerikanische Staatsbürgerschaft und lebt lange unauffällig und unbehelligt als Automechaniker in einem Vorort von Cleveland, Ohio.

Ivan der Schreckliche

Ende der 70er-Jahre ist es vorbei mit der Vorstadtidylle: Überlebende des Holocaust erkennen in Ivan John Demjanjuk einen berüchtigten KZAufseher von Treblinka, den die Gefangenen nur "Ivan den Schrecklichen" nannten, weil er hilflose Menschen mit Eisenrohren erschlug, sie erschoss oder sie auspeitschte, bevor er sie in die Gaskammer trieb. Die amerikanischen Behörden entziehen Demjanjuk 1981 die Staatsbürgerschaft und liefern den gebürtigen Ukrainer 1986 nach Israel aus. 14 Monate dauert der Prozess vor dem Jerusalemer Bezirksgericht. Demjanjuk ist angeklagt wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das jüdische Volk".

John Demjanjuk während des Prozesses in Jerusalem im März 1987 (Foto: dpa)
John Demjanjuk (mit Kopfhörern) während des Prozesses in Jerusalem im März 1987Bild: picture-alliance / dpa

Die Verteidigung sucht zu beweisen, dass Demjanjuk nicht identisch ist mit Ivan dem Schrecklichen, dem sadistischen KZ-Aufseher von Treblinka. Sie bezweifelt das Erinnerungsvermögen der Zeugen, weist Widersprüche in den Aussagen auf und behauptet, das belastendste Dokument, ein Personalausweis aus dem SS-Ausbildungslager Trawniki mit Demjanjuks Namen, Foto und Unterschrift, sei eine Fälschung des KGB.

Doch das Jerusalemer Bezirksgericht glaubt den 18 Augenzeugen, die ihn als Iwan den Schrecklichen identifizieren und verurteilt Demjanjuk 1988 zum Tode. Schließlich ist es ausgerechnet der KGB, der Demjanjuk das Leben rettet. 1992 taucht aus KGB-Beständen ein Dokument auf, das einen gewissen Ukrainer namens Ivan Marchenko als Ivan den Schrecklichen identifiziert.

Aus dem israelischen Gefängnis in die Freiheit

Nach sieben Jahren Haft kehrt John Demjanjuk 1993 in die Vereinigten Staaten zurück, er erhält seine Staatsangehörigkeit wieder. Doch 2001 kommt es zu einem neuen Prozess. Diesmal in den USA. Das "Office of Special Investigations", eine US-Behörde, die nach eingewanderten Kriegsverbrechern fahndet, sieht es als bewiesen an, dass Demjanjuk bei seiner Einbürgerung falsche Angaben gemacht hat.

Noch einmal prüft sie den SS-Ausweis Demjanjuks, und nun kommen die Experten zu dem Ergebnis: Der Ausweis ist echt. Damit ist seine Tätigkeit als Aufseher in verschiedenen Konzentrationslagern bewiesen, und Demjanjuk wird die US-Staatsbürgerschaft erneut entzogen. Ein langwieriger Rechtsstreit beginnt, Demjanjuk wehrt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln. Erst 2008 sind diese erschöpft, ihm droht die Abschiebung in die Ukraine.

Deutsche Behörden werden aufmerksam

Nun wird eine bundesdeutsche Behörde aktiv: die Zentrale Stelle zur Ermittlung nationalsozialistischer Straftaten in Ludwigsburg. Dessen Leiter Kurt Schrimm lässt sich die Unterlagen aus den USA und Israel schicken, und das bayerische Landeskriminalamt überprüft erneut die Echtheit des SS-Ausweises. Auch diese Experten kommen zum gleichen Ergebnis wie ihre Kollegen in den Staaten: Der Dienstausweis Nr. 1393 von Ivan Demjanjuk ist echt.

Die Vorermittlungen

Der Dienstausweis von Ivan Demjanjuk aus dem Ausbildungslager Trawniki (Foto: dpa)
Der Dienstausweis von Ivan Demjanjuk aus dem Ausbildungslager TrawnikiBild: picture alliance/dpa

Obwohl Demjanjuk in vier verschiedenen KZs eingesetzt war, beschränken sich die Ludwigsburger Fahnder bei ihren Vorermittlungen auf Demjanjuks Einsatz in Sobibor. Denn Sobibor war - im Gegensatz etwa zu Flossenbürg - ein reines Vernichtungslager, hier kann kein Beteiligter vorgeben, von den systematischen Tötungen nichts mitbekommen zu haben. Bis zu 250.000 Juden wurden in Sobibor ermordet, für das halbe Jahr, in dem Demjanjuk dort tätig war - vom 27.03.1943 bis Ende September 1943 - gehen die Fahnder von 29.000 Ermordeten aus. Da es 66 Jahre nach den Geschehnissen kaum mehr Überlebende aus Sobibor gibt, die einzelne Mordtaten Demjanjuks bezeugen könnten, wird sich die Anklage auf Beihilfe zum Mord beschränken.

Autorin: Rachel Gessat/Reinhard Kleber
Redaktion: Anja Fähnle/Julia Elvers-Guyot