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Twitterst du schon?

6. April 2009

Dank Twitter gibt es nun eine Möglichkeit mehr, unseren spannenden Alltag aller Welt mitzuteilen. Oder um zu erfahren, welcher Politiker sich gerade in heißen Quellen amüsiert. Es lebe die Informationsgesellschaft!

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Bild: DW

Ich staunte nicht schlecht, als ich kürzlich in Washington von einem betagten Herrn mit weißem Rauschebart eine kleine moderne Visitenkarte in die Hand gedrückt bekam, mit der lässigen Frage: "Bloggst du? Hast du Facebook? Twitterst du?" Twittern?! Ich stotterte eine Antwort zusammen und betrachtete im Weitergehen seine Karte. Darauf befanden sich nicht wie üblich eine Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse, sondern seine MySpace Blog-Adresse, sein MSN-Name, seine Flickr Photo-Seite und - seine Twitter-Adresse.

Die Begriffe Facebook und Blog konnte ich noch einordnen, was aber war denn Twitter? Mit einem Mal fühlte ich mich unzeitgemäß, uninformiert, gestrig. Schnell versuchte ich meine Wissenslücke mit Hilfe von Google und Wikipedia zu stopfen, und erfuhr, dass mir diese neue Kommunikationsmethode seit etwa zwei Jahren schlichtweg entgangen war.

24 Stunden "Mikro-Blogging"

Twitter wurde bereits 2006 als Forschungsprojekt einer amerikanischen Universität von Studenten entwickelt und gewann 2007 große Beliebtheit. Die Idee dahinter ist, 24 Stunden am Tag seiner Familie und seinen Freunden und jedem, den es interessiert, online mitteilen zu können, wo man sich zurzeit befindet und was man gerade tut. Dabei muss man sich auf 140 Zeichen beschränken und braucht lediglich Internetzugang. Die Twitter-Mitteilungen nennen sich Tweets, abgeleitet von der englischen Bezeichnung für Zwitschern.

Nachdem ich mir die Twitter-Seite meiner Begegnung George angeschaut hatte, stellte ich fest, dass es scheinbar nicht ungewöhnlich ist, seinen Liebsten im halbstündigen Takt von einem iPod oder Blackberry aus seine aktuellen Tätigkeiten zuzuzwitschern. Nachrichten wie: "Sitze im Flugzeug nach Tucson", "Flugzeug landet gerade in Tucson", "Auf dem Weg nach Hause" oder "Home sweet home, jiggidy jig" sollen den begeisterten Leser fesseln.

Warum Twitter?

Da ich den Nutzen dieser Mitteilungsflut noch nicht erfasst hatte, suchte ich auf der Twitter-Website unter der Rubrik "Warum Twitter?" nach Rat. Dort stand doch tatsächlich: "Du isst gerade Suppe? Untersuchungen zeigen, dass Mütter das wissen wollen. Du kommst zu spät zu einem Meeting? Kollegen könnten das wissenswert finden. Am Feiern? Vielleicht wollen Freunde mitkommen." Kurz überlegte ich, ob ich nicht vielleicht meine offenbar gänzlich unterinformierte Mutter anrufen und darüber instand setzen sollte, dass ich innerhalb der nächsten Stunde mein Mittagessen zu mir nehmen werde.

Außer Privatmännern wie George füttern auch Hollywood-Stars, wie Britney Spears und Rapper 50 Cent, sowie Sportler wie Lance Armstrong und Michael Phelps durch regelmäßige "Mikro-Blogging"-Einträge den Voyeurismus ihrer Fans. Man kann beispielsweise anhand der 140 Zeichen Ashton Kutcher und Demi Moore beim "Twitter-Flirten" verfolgen.

Twitter und die Politik

Auch Barack Obama - oder vermutlich sein Wahlkampfteam - band die Wähler fast täglich auf einer Twitter-Seite in die neuesten Entwicklungen der Wahlen mit ein.

Seit Barack Obama Twitter erfolgreich für seine Wahlkampagne instrumentalisieren konnte, hat die Welt der Politik das Medium Twitter für seine eigenen Zwecke entdeckt. So zwitschern uns auch Staatsmänner wie Arnold Schwarzenegger, Joe Biden und Umweltaktivist Al Gore das eine oder andere "Lied" aus ihrem bewegten Leben in die Ohren.

Die Intention hinter dieser Vermischung von Politik und Privatleben scheint die Gestaltung einer transparenteren, bürgerfreundlicheren und greifbareren Staatsführung zu sein. Unsere Vertreter des Staates möchten sich als menschlich und ihre Arbeit personifiziert darstellen. Allerdings führt Twitter als Mittel zum politischen Zweck auch schnell zu Kritik.

So berichtete US-Staatssekretärin Colleen Graffy beispielsweise ihrer "Fangemeinde" im Netz redselig von ihrer Staatsreise nach Europa, inklusive Details wie: "Sitze im Flieger nach Island, habe meine Badebekleidung vergessen, möglicher Besuch in der Blauen Lagune" oder "Tauche in die heißen Quellen, mit Schlammpackung im Gesicht." US-Zeitungen wussten ihre Offenheit weniger zu schätzen und überschütteten die Spa-Besucherin mit Häme. Es war schnell von "oversharing" - zu viel Geplapper - die Rede.

Egal ob bei der privaten oder der professionellen Nutzung von Twitter stellen sich einfache Fragen: Ist es tatsächlich ein Fortschritt der modernen Kommunikation, wenn wir überall und jederzeit Freunden als auch Fremden von unseren täglichen Beschäftigungen berichten können? Und wer hat überhaupt so viel Zeit?

Autorin: Sophia Kabir

Redaktion: Thomas Grimmer / Anna Corves