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'Die Kinder der Killing Fields'

Esther Broders30. März 2009

Drei, acht, zwanzig. Fast jedes Kind in Kambodscha kennt diese Zahlenfolge: Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage haben die Roten Khmer das Land beherrscht: in der Zeit vom 17. April 1975 bis zum 6. Januar 1979.

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Die Opfer der Roten Khmer (Foto:ap)
Eine Kambodschanerin trauert um die Opfer der Roten KhmerBild: AP
Kambodscha Rote Khmer
Ein Massengrab mit Opfern der Roten KhmerBild: AP

Nüchterne Zahlen, die für einen der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts stehen. Mindestens 1,7 Millionen Menschen fielen dem Regime der Roten Khmer unter ihrem Anführer Pol Pot in den 70er Jahren zum Opfer. Innerhalb kurzer Zeit verlor Kambodscha knapp ein Viertel seiner Gesamtbevölkerung. Um dieses dunkelste Kapitel in der Geschichte des südostasiatischen Landes geht es in Erich Follaths Buch "Die Kinder der Killing Fields". Und um Fragen, die bleiben: Wie geht Kambodscha heute mit der Vergangenheit um? Was wurde aus den wenigen überlebenden Opfern des Terrorregimes? Und was aus den Tätern? Um ihre Geschichten geht es Erich Follath, durch sie versucht er, das Geschehene anschaulicher zu machen. Schonungslos lässt er so beispielsweise den ehemaligen Chefaufseher des berüchtigten Foltergefängnisses S-21 in Phnom Penh zu Wort kommen, der - so wörtlich - merkwürdig unbeteiligt und monoton - die damaligen Hinrichtungspraktiken schildert:

Dann mussten sie niederknien. Dann schlug er von hinten zu, Eisenstange oder Axt gegen Nacken, einmal, manchmal zweimal, je nachdem, was nötig schien. Dann stieß er den Körper in die Kuhle. Dann schnitt unten in der Grube ein Assistent noch sicherheitshalber die Kehle durch. Dann kletterte der Helfer heraus und sie schütteten Chemikalien über die Leichen, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.

Kambodscha Völkermordtribunal für Rote Khmer Führer Kaing Guek Eav
In Phnom Penh vor Gericht: Khmer-Führer Kaing Guek EavBild: AP

Deutlich emotionaler sind die Schilderungen der anderen Seite - beispielsweise die Erinnerungen des Malers Vann Nath. Er überlebt die Zeit im Foltergefängnis S-21 nur, weil seine Porträts der Rote-Khmer-Führungsriege den Machthabern gefallen. Schon bei seiner Einlieferung warnen ihn Mithäftlinge: Der Tod sei noch eine gnädige Erlösung - so sagen sie. Wenn er denn schnell komme. Der Maler stirbt nicht in der Gefangenschaft, aber wie alle Opfer erleidet er Unvorstellbares. Schon die Lektüre seiner Schilderungen tut regelrecht weh:

Vann Nath (Wann Natt) wird immer wieder ohnmächtig. Aber er will durchhalten. Seiner Familie wegen. Immer wieder sieht er in seinen Träumen die Frau, die beiden Söhne. Er will alles tun, um sie wiederzusehen. Aber er weiß, wenn die Aufseher mit den schlimmsten Foltermethoden beginnen, von denen ihm die anderen zuraunen, wenn sie ihn zwingen werden, Kot zu essen und ihn von einem Holzgestell herab kopfüber ins Wasser tauchen, die Genitalien unter Starkstrom setzen – dann wird er nicht mehr durchhalten können.

Buchcover Erich Follath Die Kinder der Killing Fields

Nach den erschütternden Erinnerungen heftet Erich Follath sich an die Fersen der Täter, er versucht zu ergründen, wie und warum aus einer Clique gebildeter junger Männer ein Clan von Massenmördern wurde, die einer ganzen Nation den sogenannten Steinzeitkommunismus bringen wollten. Follath spricht mit Familienangehörigen von Pol Pot, recherchiert im Umfeld des ehemaligen Machthabers, trifft Menschen, die ihm nahe waren - wie beispielsweise seinen ehemaligen Privatsekretär. Der ist heute mit Pol Pots zweiter Frau verheiratet, hat als Stiefvater die einzige Tochter des Massenmörders groß gezogen. Und führt ein normales Leben, ohne sich für seine Vergangenheit verstecken zu müssen:

Dass er noch nicht einmal vernommen wurde, dass er nach wie vor ein hohes Regierungsamt bekleidet, deutet auf einen Deal hin, den er mit den Regierenden in Phnom Penh getroffen hat. Aber nachzuweisen ist ihm nichts. Und deshalb gilt für Tep Khunnal das, was er und seine Roten Khmer den Menschen zeitlebens verweigert haben: die Unschuldsvermutung.

Hun Sen
Vom Roten Khmer zum aktuellen Staatspräsidenten: Hun SenBild: AP

Nicht nur zwischen den Zeilen übt Follath deutliche Kritik an der kambodschanischen Regierung unter Dauer-Ministerpräsident Hun Sen – der selber einmal Mitglied der Roten Khmer war, bevor er sich distanzierte. Eine Verbindung zu den Massenmorden konnte dem Regierungschef bislang nicht nachgewiesen werden. Ihm wird aber unterstellt, die juristische Aufarbeitung der Pol-Pot-Ära bewusst herausgezögert zu haben. 2003 beschlossen die Vereinten Nationen und die kambodschanische Regierung, ein Sondertribunal einzurichten. Ein Gericht mit "Zwitter-Charakter", wie Follath schreibt. Denn - so eine Bedingung von Seiten Hun Sens - das Gericht ist nicht nur in die UNO-Gerichtsbarkeit eingebettet, sondern auch in kambodschanisches Recht. Und auch sonst stellte der Regierungschef Bedingungen: So soll insgesamt nur fünf Angeklagten hier der Prozess gemacht werden. Bei den Beschuldigten handelt es sich um die höchsten noch lebenden Rote-Khmer-Führungskader - verurteilt ist allerdings noch keiner von ihnen. Erst im Februar 2009 wurde nach mehreren Aufschüben der erste Prozess aufgenommen - gegen den ehemaligen Chefaufseher des Foltergefängnisses S-21. Anders als diejenigen, die sie früher selbst gefoltert und getötet haben, führen die fünf Angeklagten des Tribunals ein regelrechtes Luxus-Häftlingsleben:

Sie haben für ihre Bequemlichkeit Toilettenschüsseln westlichen Zuschnitts durchgesetzt. Sie können Radio hören. Sie dürfen im Gefangenenhof spazieren gehen und – als neueste Hafterleichterung – können sie sich seit Herbst 2008 zweimal wöchentlich zu einem Gedankenaustausch treffen: ein Kaffeekränzchen der mutmaßlichen Massenmörder, sozusagen.

Deutschland Politologe Historiker und Spiegel-Autor Erich Follath
Der Politologe, Historiker und "Spiegel"-Autor Erich FollathBild: picture-alliance/ dpa

Viel liegt im Argen in Kambodscha 30 Jahre nach dem Ende der Roten Khmer. Das Land gehört zu den korruptesten Staaten der Welt, ein großer Teil des Staatshaushaltes stammt aus ausländischen Entwicklungstöpfen. Und eine wirkliche Vergangenheitsbewältigung hat bis heute nicht stattgefunden.

Man bekomme zwangsläufig eine "Überdosis Genozid" mit, wenn man länger als eine Woche durch Kambodscha reise - schreibt Erich Follath. Wenn man sein Buch gelesen hat, weiß man, warum.

Erich Follath: Die Kinder der Killing Fields

Gebundene Ausgabe: 363 Seiten

Verlag: DVA (Erscheinungsdatum 9. März 2009)

Preis: € 19,95