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Mach dein eigenes Radio! - Der Sender "la tribu" in Buenos Aires

27. März 2009

In Argentinien sind die meisten Medien im Besitz von internationalen Medienkonzernen oder in Regierungshand. Halblegale Gemeinschaftsradios wie "fm la tribu" in Buenos Aires lassen alle anderen ans Mikrofon.

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Sendestudio bei "fm la tribu"Bild: Anne Herrberg

An "fm la tribu" kommt keiner vorbei, der durch das Studentenviertel Almagro in Buenos Aires läuft. Die Türen des mit bunten Fantasiegestalten bemalten Hauses in der Calle Lambaré stehen offen, aus dem Inneren lockt der Duft von Empanadas und frisch gebratenen Milanesas. Es ist Mittagszeit. Aus den Lautsprechern neben der Bar tönt der Jingle des Radios: "fm la tribu auf 88,7 Megaherz. Schalte la tribu ab und mach dein eigenes Radio." Gastón beißt in seinen Sandwich und grinst: "Dieser Slogan fasst für mich alles zusammen." sagt er, "wir sind keine geschlossene Gesellschaft, sondern ein Autorenkollektiv."

Rock Nacional und Umweltschutz

Das Gemeinschaftsradio "fm la tribu" in Buenos Aires sendet 24 Stunden, sieben Tage die Woche. 60 verschiedene Programme gibt es: über Menschenrechte und Rock Nacional, junge Popliteratur und Umweltschutz, aktuelle Politik oder Legenden der Ureinwohner - die Programme werden von Nachbarn, Studenten, Migranten, von sozialen Bewegungen oder Kindergruppen gemacht. 300 Mitarbeiter wechseln sich im einzigen, etwas muffigen Studio des Radios ab. Manchmal klingt das zwar etwas chaotisch, aber "je mehr Leute mitmachen oder ein eigenes Radio gründen, desto demokratischer wird die Gesellschaft."

Horizontal statt vertikal

Gastón Montells, einer der Direktoren von fm la tribu
Gastón Montells - einer der Direktoren von "fm la tribu"Bild: Anne Herrberg

Der 34-jährige Gastón Montells ist einer der Direktoren von "fm la tribu". Das bedeutet jedoch nicht, dass er bestimmt, was und wer auf Sendung geht. Jeder im Kollektiv hat dasselbe Stimmrecht - da jedoch nicht alle Mitarbeiter zur selben Zeit im Sender sind, gibt es eine Gruppe von "Festen" wie Gastón. Sie arbeiten Vollzeit bei "la tribu", bewahren den Überblick, kümmern sich um neue Projeke und ihre Finanzierung. Doch jede Entscheidung wird letztendlich im Kollektiv vorgetragen und gefällt. "Wir sind zwar eine Art Unternehmen", sagt Rodrigo, einer der Jüngsten im Direktorium, "aber wir organisieren uns ganz anders, nicht vertikal sondern horizontal."

Boom Mitte der 80er

Der Boom alternativer Medien in Argentinien begann mit der Rückkehr zur Demokratie Mitte der 1980er. Doch just in der Hauptstadt dauerte es bis 1989, bis eine kleine Gruppe linker Studenten der Universität von Buenos Aires auf das Dach eines Hochhauses kletterte und dort heimlich eine wackelige Antenne installierte. Ernesto Lamas spendete damals sein Kassetten-Deck.

Radio la tribu, ein Treffpunkt im Barrio Almagro
"fm la tribu" ist ein angesagter Treffpunkt in Buenos AiresBild: Colectivo la tribu

Kreative Form, sich einzumischen

"Das war eben auch die Zeit damals," erinert sich Ernesto, "1989, als die Berliner Mauer fiel." Es habe damals eine große Verunsicherung bei allen linken Bewegungen gegeben: "Wir merkten plötzlich, dass viele der Ideale, für die wir vorher sehr dogmatisch und unkritisch gekämpft haben, gar nicht so rosig waren, wie wir dachten. Wir hatten plötzlich keine Antworten mehr auf alles." Trotzdem wollten die Studenten weiter politisch aktiv sein, etwas verändern in einer Gesellschaft, die ihnen ungerecht erschien, "aber gleichzeitig wollten wir uns nicht dem - ich sage mal - neoliberalen Einheitsdiskurs anschließen." Ein Gemeinschafts-Radio schien der perfekter Raum, sich weiterhin einzumischen. Denn in Argentinien, wie in ganz Lateinamerika, sind die Medien fest in der Hand von multinationalen Konzernen oder den Regierungen. Oft werden schlichtweg die Interessen der Eigentümer vertreten und keine obkjekiven Informationen verbreitet. "Aber der mediale Diskurs bestimmt immer mehr unseren Alltag", sagt Ernesto, der auch als Dozent an der Universität von Buenos Aires arbeitet. "fm la tribu" will all die Geschichten erzählen, die ihrer Meinung nach keine Öffentlichkeit bekommen: "Vielfalt statt Einfalt", resümiert Rodrigo.

Preise und Bomben

Radiowerkstatt la tribu
In der Radiowerkstatt "fm la tribu" hat jeder dasselbe StimmrechtBild: Anne Herrberg

Mehrere Preise hat das Kollektiv mit seinen Berichten inzwischen gewonnen. Sie halfen, den florierenden Frauenhandel in den Grenzregionen ins öffentliche Interesse zu rücken, ein Gesetz zum Schutz von minderjährigen Straftätern auf den Weg zu bringen und die illegalen Praktiken der Polizei aufzudecken - kurz danach wurde ein Molotow-Cocktail auf das Gebäude von "fm la tribu" geworfen. Alle Nachbarn des Viertels halfen, die Fassade wieder herzurichten. "Wir leben in einer ständigen Krise, schließlich leben wir in Argentinien", Ernesto lacht. "Mich macht es sehr stolz, sagen zu können, dass "fm la tribu" eines der ältesten fm-Radios in Buenos Aires ist und unsere Idee funktioniert hat."

Kein Hobby-Radio für nebenher

Ernesto ist inzwischen 40 Jahre alt. "Ich habe immer gesagt: "fm la tribu" ist für uns kein Hobby, sondern ein Beruf." Er ist einer derjenigen, die jeden Tag acht Stunden beim Sender arbeiten und ein kleines Gehalt bekommen. Und nicht nur thematisch, sondern auch in der Ästhetik hat das älteste Gemeinschaftsradio von Buenos Aires mittlerwiele Akzente gesetzt: eine lockere Sprache, Underground-Musik und Atmo von der Straße - "alle diese Elemente, die man inzwischen in fast jedem Programm der kommerzielle Radios findet, die haben Gemeinschaftsradios zuerst eingeführt". "fm la tribu" war außerdem das erste Radio in Argentinien, das Podcasts angeboten hat - mittlerweile arbeitet es multimedial: ein Film- und Produktionsstudio, ein Theater, ein Verlag, eine Bilbiothek, ein Fortbildungs- und ein Kulturzentrum gehören heute zu dem Radio, das mit einem CD- und einem Kassettenwechsler angefangen hat.

Netzwerke spannen

Der spansiche Musiker Manu Chao in la tribu
Regelmäßiger Gast - der spanische Musiker Manu ChaoBild: Colectivo la tribu

Ernesto Lamas ist heute Vorsitzender von AMARC Lateinamerika, dem internationalen Verband für Gemeinschaftsradios. Darüber unterstützt "fm la tribu" andere Radios in der Region, zum Beispiel bei den Zapatistas in Chiapas, Mexiko, oder für die Kleinbauern an der Grenze zu Paraguay. Und es hat eine alternative Nachrichtenagentur - Púlsar - mit aufgebaut, über die alternative Nachrichten vom Rio Grande bis Feuerland verbreitet werden. "fm la tribu" hat für mich Glaubwürdigkeit, denn es kommt von der Straße, ist tief verwurzelt im Viertel Almagro", sagt der spanische Musiker Manu Chao, den eine langjährige Freundschaft mit dem Radio verbindet. Jedes Jahr kommt er mindestens einmal vorbei. Außerdem versuche das Radio immer, auch über den Tellerrand hinauszublicken und nach ähnlichen Bewegungen zu suchen: "Was machen die Leute in Afrika, im Senegal, was in Asien, was in Europa? Uns verbindet trotz aller Distanz sehr viel!" Und so hat "fm la tribu" ein kreatives Netzwerk aufgebaut, das alternative Wege des Dialogs sucht. "Die Möglichkeiten sind da,", sagt Manu: "Mach dein eigenes Radio!"

Autorin: Anne Herrberg / Redaktion: Esther Broders