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Heilung durch Stammzellen noch in weiter Ferne

23. September 2009

...sagt Rudolf Jaenisch (66) im Gespräch mit DW-Wissenschaft. Der Biologe ist einer der Stars der amerikanischen Stammzell-Szene. Seine Kollegen in Deutschland sieht er durch groteske Auflagen an der Forschung gehindert.

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Stammzellforscher Rudolf Jaenisch (Foto: AP)
Stammzellforscher Rudolf JaenischBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Jaenisch, Sie forschen bereits seit über 20 Jahren am Whitehead Institute und am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge. Bedauern Sie manchmal Ihre Kollegen in Deutschland, die mit vielen Beschränkungen konfrontiert sind?

Rudolf Jaenisch: Die deutschen Stammzellforscher haben mit wirklich schwerwiegenden Problemen zu kämpfen, die vom Embryonenschutzgesetz ausgehen. Dadurch wird die deutsche Stammzellforschung unheimlich gehandicapt. Ich denke das geht zum Teil ins Groteske was da von den Forschern verlangt wird.

In den USA ist man da realistischer und insbesondere jetzt, mit der neuen Administration unter Obama, wird die Stammzellforschung auf eine vernünftige Basis gestellt. In Deutschland sehe ich das noch nicht.

Was meinen Sie mit realistischer?

In Amerika war die ganze Stammzellforschung unter George W. Bush und der religiösen Rechten sehr umstritten und Bush hat auch versucht, sie zu unterbinden. Aber im Kongress konnte keine Einigung erzielt werden, das heißt es wurde kein Gesetz erlassen. Bush konnte somit nur die Forschungsförderung unterbinden, aber mit privaten Geldern konnte man in der Forschung machen, was man wollte. In Deutschland ist das alles verboten. In Deutschland wurde direkt ein Gesetz gemacht und wenn man ein Gesetz hat, kann man das auch sehr schwer wieder verändern und das ist glaube ich der große Nachteil. In den USA, unter Obama, wurden diese ganzen Restriktionen jetzt einfach aufgehoben.

Menschliche Nervenzellen (Foto: Wikipedia)
Das kann aus iPS Zellen werden: menschliche NervenzellenBild: Public Library of Science / Wikipedia

Sie und Ihr Team forschen an den sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz: iPS-Zellen. Was für Zellen sind das genau?

Es handelt sich um pluripotente Stammzellen, die embryonalen Stammzellen sehr ähnlich sind, die aber nicht aus Embryonen stammen. Man gewinnt sie aus somatischen Zellen, also aus Körperzellen, beispielsweise aus Hautzellen. Und zwar indem man Gene für bestimmte Faktoren in diese Zellen hineinbringt.

Sie reprogrammieren also Zellen des Körpers, die sich eigentlich schon für ein bestimmtes Zellschicksal entschieden hatten, die also zum Beispiel ihr Leben lang eine Hautzelle sein sollten. Ist das denn mit allen Zellen des Körpers möglich?

Zumindest mit allen, mit denen wir es versucht haben. Bisher haben wir es mit Blutzellen, Bindegewebszellen, Hautzellen und Zellen aus dem Darm, also verschiedenen Zelltypen zeigen können. Ich glaube, es geht wahrscheinlich mit allen Zellen.

Diese Gene, von denen Sie gerade gesprochen haben, wie bringen Sie die überhaupt in die Zellen?

Die Gene werden mit Hilfe von sogenannten Retroviren in die Zelle geschleust. Sie werden in diese Viren reingepackt und können von ihnen permanent im Genom der Zellen verankert werden. So etwas hat natürlich auch gewisse Konsequenzen, zum Beispiel dass diese virustransduzierten Zellen aktiviert werden können. Daraus könnten sich Tumoren entwickeln und das möchte man nicht.

Aber es zeigt sich ja, dass die Viren wieder entfernt werden können…

Ja, das haben wir in einer gerade veröffentlichten Arbeit sogar gemacht. Wir haben aus Hautzellen von Parkinson-Patienten iPS-Zellen hergestellt. Nachdem die Viren sozusagen ihre Arbeit getan hatten, haben wir sie mit einer Art molekularen Schere wieder herausgeschnitten. Diese iPS-Zellen, die dann keine Viren mehr trugen, blieben pluripotent und waren nicht unterscheidbar von embryonalen Stammzellen.

Menschliche Stammzelle (Foto: Wikipedia)
Diese kleinen Alleskönner sollen Krankheiten heilen.Bild: Public Library of Science / Wikipedia

Sie sagen, dass ihre jüngsten Forschungsergebnisse aus der Parkinson Forschung stammen. Wie schätzen Sie denn allgemein das Therapiepotential solcher Ergebnisse ein, kann man das direkt auf den Menschen übertragen?

Ich glaube das Therapiepotential ist im Moment noch weiter entfernt, als man gerne annehmen würde. Hier stehen noch sehr große Schwierigkeiten im Weg. Was uns die Zellen aber experimentell bringen, ist sehr wichtig. Sie erlauben eine komplexe und genetisch unerforschte Krankheit, wie Parkinson, in der Petrischale zu studieren. Das wäre sonst nicht möglich.

Von verschiedenen Seiten wird ja behauptet, dass iPS-Zellen die Verwendung embryonaler Stammzellen überflüssig machen würden. Was meinen Sie dazu?

Ich würde sagen, das ist ein bisschen oberflächlich dargestellt. Embryonale Stammzellen sind der 'Goldstandard' für Pluripotenz. Allerdings wissen wir von den Zellen, die in der Vergangenheit hergestellt worden sind, dass eine Stammzelle sich in ihren Eigenschaften oft auch von einer anderen unterscheidet. Die Frage, die uns jetzt beschäftigt, ist: Welche Stammzelle ist die beste, die man machen kann. Und diese könnte anschließend als Standard genommen werden, was die besten iPS-Zellen können sollten.

Zum Stichwort individuell auf den Patienten abgestimmte Therapie: zeigen iPS-Zellen in diesem Bereich Vorteile gegenüber embryonalen Stammzellen?

Ja, weil iPS-Zellen maßgeschneidert für den Patienten sind, während embryonale Stammzellen das nie sind. Letztere werden immer abgestoßen. Patienten, die mit embryonalen Stammzellen therapiert würden, müssten somit immer unter eine immunsuppressive Therapie gesetzt werden. Mit iPS-Zellen wäre dies im Prinzip nicht notwendig, weil es patienteneigene Zellen sind.

Aber wir müssen jetzt noch herauskriegen, wie sicher iPS-Zellen denn sind. Daher müssen wir meiner Ansicht nach auch weiterhin embryonale Stammzellen unter neuen Bedingungen aus Embryos herstellen. Das wird noch eine bestimmte Zeit brauchen, dann aber wird man wahrscheinlich keine neuen embryonalen Stammzellen mehr benötigen, aber momentan sind sie noch notwendig.

Genau diese Nutzung embryonaler Stammzellen ist es, wegen der Stammzellforscher in Deutschland stark von der Gesellschaft kritisiert werden. Wie sieht da die Situation in den USA aus?

Ich bin nicht sicher, ob die Forscher in Deutschland wirklich von der Bevölkerung so kritisiert werden oder nur von einer kleinen ideologisch bestimmten Minderheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die gesamte Bevölkerung gegen diese Forschung wäre, wenn sie richtig informiert wäre. Ich glaube in den USA vertritt die Mehrheit der Bevölkerung eine sehr positive Einstellung. Natürlich gibt es auch Menschen, wie die Rechte und besonders die religiöse Rechte, die gegen die Stammzellforschung sind. Allgemein ist das sehr vielschichtig in diesem Land, es gibt extreme Meinungen – in jede Richtung.

Das Interview führte Sabine Gogolok

Redaktion: Judith Hartl