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Zurück nach Lampedusa

16. März 2009

Tausende Afrikaner riskieren jedes Jahr ihr Leben, um Europa zu erreichen. Auch Dagwami Yimer ist über das Meer gekommen. Lampedusa war seine erste Station in Europa. Dorthin ist er jetzt zurückgekehrt. Mit einem Film.

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Gestrandet in ItalienBild: DW

Im Winter 2005 verlässt der Jurastudent Dagwami Yimer im Alter von 27 Jahren seine Heimat Äthiopien. Er schlägt sich über den Sudan nach Libyen durch. Er gerät erst in die Hände von Menschenhändlern, dann wird er verhaftet und von der libyschen Polizei deportiert und ohne Wasser in der Wüste ausgesetzt. Dagwami Yimer kämpft sich zurück an die libysche Küste und wagt die lebensgefährliche Schiffsreise über das Mittelmeer.

Rückkehr nach Lampedusa
Dagwami Yimer auf LampedusaBild: DW

Nach Monaten des Leidens erreicht er im Sommer 2006 die italienische Insel Lampedusa südlich von Sizilien. Jetzt ist Dagwami Yimer zum ersten Mal nach Lampedusa zurückgekehrt, um den Menschen auf der Insel einen Dokumentarfilm über den anhaltenden Exodus aus Afrika zu zeigen.

"Wie ein Mensch auf Erden"

Sogar der Bürgermeister und hohe Vertreter der Polizei sind in den Gemeindesaal gekommen. Insgesamt haben sich rund 50 Lampedusani versammelt. Es hätten mehr sein können. Viele Stühle in dem großen Saal bleiben leer. Aber die, die gekommen sind, schauen gebannt auf die Leinwand, um den Dokumentarfilm "Wie ein Mensch auf Erden" zu sehen. Darin schildern junge Migranten wie Dagwami Yimer ihre Flucht. Bei den meisten dauert sie mehrere Monate, bei einigen sogar Jahre. Die jungen Frauen und Männer im Film erzählen, wie sie geschlagen, ausgebeutet, verhaftet, vergewaltigt und in der Wüste ausgesetzt werden. Sie schildern unter Tränen, wie sie der Willkür der Behörden und der Menschenschmuggler ausgesetzt sind. Sie berichten über Höllenqualen, die sie auf sich genommen haben, um Lampedusa zu erreichen. Das winzige Lampedusa im Mittelmeer ist die südlichste italienische Insel. Für die jungen Afrikaner im Film ist es das Tor nach Europa.

Rückkehr mit Schuhen

Dagwami Yimer aus Äthiopien hat den Dokumentarfilm gemeinsam mit zwei befreundeten italienischen Regisseuren gemacht. Er lebt heute in Rom. Aber er hat die wenigen Tage, die er im Sommer 2006 nach seiner erfolgreichen Flucht auf Lampedusa verbracht hat, nie vergessen. "Ich bin damals ohne Schuhe mit einem Boot angekommen. Jetzt bin ich mit dem Flugzeug zurückgekommen, und ich habe Schuhe an den Füßen." Dagwami fällt es sichtlich schwer, seine Gefühle zu beschreiben. "Ich habe diesen Film schon so oft in Italien gezeigt. Aber ich war nie so tief berührt wie jetzt hier auf Lampedusa."

Flucht und Protest

Dagwami, den alle nur Dag nennen, war 27, als er beschloss, Äthiopien zu verlassen. Er ging, weil er nicht länger in einem Land leben und studieren wollte, in dem in seinen Augen keine Demokratie herrscht. "Ich hatte keine Hoffnung mehr. Meine Flucht ist mein politischer Protest gegen die äthiopische Regierung", sagt Dagwami. Auch der Film gehört zum Protest. Die Dokumentation klagt vor allem Libyen an. Und sie klagt die europäischen Länder an, die mit Finanzspritzen und Wirtschaftsabkommen dafür sorgen wollen, dass Libyen die Endstation der Flucht ist. Staatschef Muammar al Gaddafi soll dafür sorgen, dass die Flüchtlinge das Mittelmeer gar nicht erst Richtung Europa überqueren.

Wie ein Stück Vieh

Dagwami wurde in Libyen von der Polizei mit vielen anderen in einen Container gepfercht und hinaus in die Wüste gefahren. Für ihn war das die schlimmste Passage seiner Flucht. Die Hitze im Container war unerträglich, er hatte Angst zu ersticken. "Die fahren dich ein Stückchen Richtung Sudan und setzen dich ohne Wasser irgendwo in der Wüste aus. Die haben keinen Respekt vor deiner Würde als Mensch und behandeln dich wie ein Stück Vieh", erzählt er. Dag hat den Container, die Wüste und das Mittelmeer überlebt. Wie viele die Odyssee jedes Jahr mit dem Leben bezahlen, ist ungewiss. Auf jeden Flüchtling, der es schafft, kommen drei, die es nicht schaffen, schätzen Experten.

Rückkehr nach Lampedusa
Frisch gestrandet - mit diesem Schlauchboot sind im März 64 Migranten auf Lampedusa gelandetBild: DW

Deshalb sieht der Überlebende aus Äthiopien seinen Film auch als Warnung an alle, die ihm nacheifern wollen. Denen kann und will er nicht sagen, dass sie nicht fliehen sollen. Aber er fühlt sich moralisch verpflichtet, ihnen die Wahrheit zu sagen. Zur Wahrheit gehört auch, dass Europa nicht die Erfüllung aller Träume ist. "Du musst hart für deine Anerkennung arbeiten. Du fängst bei null an. Wenn du nicht kämpfst, bleibst du eine Nummer. Du bleibst der unerwünschte Einwanderer. Für ein paar bist du nur ein weiterer Nigger." So habe er Italien und Europa kennen gelernt.

Ein Mensch und keine Nummer

"Wie ein Mensch auf Erden" hat die Zuschauer auf Lampedusa bewegt. Die Rechtsanwältin Paola La Rosa hat die Vorführung im Gemeindezentrum organisiert. Paola stammt aus Palermo und lebt seit zehn Jahren auf der winzigen Felseninsel im Mittelmeer, auf der alleine im vergangenen Jahr rund 32.000 Migranten angekommen sind. Paola hatte es satt, die Flüchtlinge immer nur aus der Distanz zu sehen, ohne je mit ihnen zu sprechen. Lampedusa hat rund 6000 Einwohner. Fast keiner hat Kontakt zu den Migranten, die in abgeschotteten Lagern leben, bevor sie von der Insel geschafft werden. Als die Rechtsanwältin von dem Filmprojekt hörte, griff sie zum Telefon und organisierte Dagwamis Rückkehr nach Lampedusa. Sie wollte ihn unbedingt kennen lernen. "Ich wollte sein Gesicht und seine Augen sehen. Ich wollte seine Stimme und seine Geschichte hören. Er ist ein Mensch und keine Nummer."

Autorin: Sandra Petersmann, zurzeit auf Lampedusa
Redaktion: Christine Harjes / Wim Abbink