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Missionen zum 'lebenden Planeten'

17. März 2009

Mit dem Start des Satelliten GOCE beginnt für die ESA eine neue Ära in der Erdbeobachtung. Alles soll vermessen werden. Jeder Atemzug unseres Planeten, jedes Husten, jeder Pulsschlag.

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Vor dem Start wurde GOCE in Testräumen Weltraumbedingungen ausgesetzt (Foto: ESA)
Vor dem Start wurde GOCE in Testräumen Weltraumbedingungen ausgesetztBild: Quelle ESA
Die Außenhaut des Satelliten GOCE ist von Solarzellen bedeckt
Die Außenhaut des Satelliten ist von Solarzellen bedecktBild: Quelle ESA

"Wir konzentrieren uns auf den dritten Planeten unseres Sonnensystems, den einzigen von dem wir wissen, dass er bewohnt ist: Das ist die Erde", erklärt Volker Liebig, Direktor des Erdbeobachtungsprogramms der Europäischen Weltraumorganisation ESA. 400 Millionen Euro im Jahr lässt sich die ESA allein die Überwachung und Erforschung unserer kosmischen Heimat kosten. Dazu kommt noch einmal ein ähnlich hoher Betrag aus den Raumfahrtprogrammen der einzelnen ESA-Mitgliedsstaaten.

Während die ESA bisher auf große, vielseitige Satelliten wie ERS-1, ERS-2 und Envisat gesetzt hat, folgt man nun einem anderen Weg, erklärt Volker Liebig: "Wir haben das Living Planet Programme, in dem wir sehr interessante Wissenschaftsmissionen machen, die speziellen Fragestellungen nachgehen." Mindestens sechs Satelliten werden in den kommenden Jahren den "lebenden Planeten" überwachen, ihm gleichsam den Puls fühlen, Blutdruck messen, ein EKG machen, Blutwerte bestimmen etc.

GOCE misst die Anziehungskraft der Erde

Die Erdanziehung ist überall unterschiedlich. GOCE soll sie so präzise wie noch nie messen.
Die Erdanziehung ist überall unterschiedlich. GOCE soll sie so präzise wie noch nie messen.Bild: Quelle ESA

Der erste Satellit des Programms, ist GOCE. Von seiner Umlaufbahn aus, in 260 km Höhe, soll er das Schwerefeld der Erde vermessen. Die Anziehungskraft der Erde ist nicht überall exakt gleich. Sie schwankt minimal, je nach Beschaffenheit der Erdoberfläche und der oberen Schichten des Erdmantels. "Jede Veränderung in der Massenverteilung unseres Erdsystems ist in der Schwerkraft messbar", betont Reiner Rummel, Professor am Institut für Astronomische Geodäsie der TU München. "Wir spüren mit GOCE also Berge und Täler, Ozeane, Veränderungen des Meeresspiegels, abschmelzende Eiskappen und sogar das fallende Laub, wenn man sehr, sehr genau misst."

Hier fliegt GOCE über Polareismassen...... (Trickdarstellung) (Photo: ESA)
Hier fliegt GOCE über Polareismassen...... (Trickdarstellung)Bild: Quelle ESA

Vor allem die globalen Strömungen in den Weltmeeren haben es den Forschern angetan. Sie verraten sich durch leichte "Flutberge" mitten im Ozean: Dort ist der Wasserstand ein bis zwei Meter höher als in anderen Bereichen. Was einem Schiff auf See gar nicht auffällt, kann GOCE aus der Umlaufbahn messen. Denn die zusätzlichen Wassermassen erhöhen die Anziehungskraft auf den Satelliten minimal, was die empfindlichen Instrumente an Bord von GOCE registrieren.

Teure Präzisionsarbeit

Der Legende nach soll Isaac Newton einst beim Anblick eines fallenden Apfels die Idee der Schwerkraft gekommen sein. Newtons Nachfolger sind mehr als drei Jahrhunderte später nicht viel weiter. Sie lassen immer noch fallen, heute aber Hightech-Äpfel, erklärt Reiner Rummel: "Im Satelliten schweben Testkörper aus einer Platin-Legierung. Da die etwa einen halben Meter Abstand haben, werden sie durch die anziehenden Massen auf der Erde minimal unterschiedlich angezogen."

GOCE überfliegt ein Gebirge (Trickdarstellung) (Photo: ESA)
... und hier über Gebirge (Trickdarstellung)Bild: Quelle ESA

Fliegt GOCE beispielsweise über den Himalaya, so spürt der Testkörper weiter vorne das Gebirge etwas früher als der Testkörper weiter hinten. Das messen Rummel und seine Kollegen. Die Präzisionsanforderungen von GOCE haben die Ingenieure bei EADS Astrium in Friedrichshafen, wo große Teile des Satelliten gebaut wurden, fast in den Wahnsinn getrieben, wie hinter vorgehaltener Hand zu hören ist. Planung, Bau und Start des GOCE-Satelliten sowie eine mindestens 20 Monate lange Messphase kosten insgesamt 350 Millionen Euro.

SMOS und Cryosat-2 starten im Sommer und Herbst

Nach erfolgtem GOCE-Start geht es in diesem Jahr zügig weiter mit den ESA-Missionen zum "lebenden Planeten". "Wir wollen noch SMOS starten, der die Bodenfeuchte und den Salzgehalt der Meere untersuchen soll", erklärt Volker Liebig die weiteren Pläne. SMOS könnte im Sommer abheben. Die Daten, die er den Forschern liefern wird, sind äußerst wichtig, um die Modelle über das Erdklima zu verbessern. Denn der Salzgehalt des Meerwassers hat entscheidenden Einfluss auf die Meeresströmungen, die wiederum große Auswirkungen auf das Klima haben.

Im Herbst wird dann noch Cryosat-2 starten, der Nachbau des 2005 kurz nach dem Start verunglückten Satelliten, der die Eismassen der Polargebiete zentimetergenau vermessen soll. Beim Cryosat-Start hatte die Rakete nicht funktioniert. Der Eis-Satellit war zehn Minuten nach dem Start - Ironie des Schicksals - ausgerechnet ins Eismeer gestürzt.

Die neue Reihe der ESA-Erdbeobachtungssatelliten startet mit der Rockot-Rakete, einer ehemaligen SS-19-Interkontinentalrakete. Nach den Abrüstungsabkommen müssen diese Raketen vernichtet werden. Statt Atomsprengköpfen zu irdischen Zielen, tragen die Raketen nun Forschungssatelliten in den Weltraum - und werden so auf ganz friedliche Weise vernichtet. Schwerter zu Flugscharen.

Weltraumexperte und Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen
Weltraumexperte und Wissenschaftsjournalist Dirk LorenzenBild: DW

In der Erdbeobachtung nimmt Europa mit seinen vielseitigen Satelliten und der neuen Serie von hoch spezialisierten eine weltweit führende Rolle ein. Um die Unmengen von gewonnenen Daten zum Boden übertragen zu können, entwickelt die ESA derzeit einen neuen Satelliten zur lasergestützten Kommunikation. Die Spitzenstellung bei der Erdbeobachtungen wird weiter ausgebaut: Gemeinsam mit der Europäischen Union entwickelt die ESA zudem das Kopernikus-Programm (früher GMES, Globale Überwachung für Umwelt und Sicherheit). Ab 2012 sollen bis zu sechs weitere Satelliten das "Living Planet"-Programm ergänzen und möglichst umfassende Daten über den Zustand der Erde stets in Echtzeit zum Boden funken.

Autor: Dirk Lorenzen

Redaktion: Judith Hartl