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Statuierung eines Exempels

Das Gespräch führte Vladimir Fradkin5. März 2009

Die Rechtsexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, beurteilt im Gespräch mit der Deutschen Welle den neuen Prozess gegen den früheren russischen Ölmilliardär Chodorkowskij.

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Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerBild: picutre-alliance/dpa

DW: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie kennen sich besser als jeder andere deutsche Politiker im Fall Jukos aus. Was halten Sie von den neuen Beschuldigungen gegen Chodorkowskij und Lebedjew?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte die neuen Beschuldigungen und das neue Verfahren für einen ganz vordergründigen Versuch, Herrn Chodorkowskij auch nach Ablauf der Verbüßung seiner ersten Strafe von acht Jahren weiter in Haft lassen zu können. Denn es geht um die selben Vorgänge, die auch schon Gegenstand der ersten Verurteilung waren.

Wie schätzen Sie Chodorkowskijs Chancen auf ein faires Verfahren ein, solange Putin das Sagen im Lande hat?

Ich habe ganz große Bedenken, dass es ein faires Verfahren ist, mit wirklich unabhängigen Richtern und einer Staatsanwaltschaft, die auch alles, was einen Angeklagten entlastet, wirklich berücksichtigt. In diesem Urteil fühle ich mich natürlich gestärkt durch das erste Verfahren, das zur achtjährigen Haft von Chodorkowskij führte. Da gab es ganz viele rechtstaatliche Mängel.

Sie setzen also auch keine Hoffnungen auf den "liberalen" neuen Präsidenten Medwedjew?

Ich wäre sehr froh, wenn sich an diesem Verfahren zeigen würde, dass das, was der Präsident auch zu seinem Ziel erkoren hat, die Justiz unabhängiger und insgesamt das System rechtstaatlicher zu machen, sich in diesem Verfahren niederschlägt. Aber außer dieser Ankündigung vor einigen Monaten ist bisher nichts passiert und keinerlei Änderung in der Sache erfolgt. Von daher bin ich leider nicht so optimistisch.

Manche sagen, es sei ungerecht, dass allein Chodorkowskij und einige seiner engen Vertrauten, aber nicht alle russischen Oligarchen, im Gefängnis landen. Diese Leute sind der Ansicht, dass Chodorkowskijs Reichtum durch kriminelle Machenschaften zustande gekommen sein könnte. Somit sei er kein politischer Häftling vom Schlage Nelson Mandela oder Vaclav Havel.

Chodorkowskij und auch sein Mitgesellschafter Lebedjew haben sich verstanden als Persönlichkeiten, die sich auch mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, von Initiativen der Zivilgesellschaft sehr wohl in die politische Meinungsbildung eingemischt haben. Und ich bestreite, dass man hier so pauschal alles, was man Herrn Chodorkowskij vorwirft, als kriminelle Machenschaften beurteilen kann. Es ging teilweise um Vorgehen, die alle angewandt haben, die auch zum damaligen Zeitpunkt legal waren. Es hat dann rückwirkend Gesetzesänderungen gegeben, und von daher hat man ganz klar an dieser Person Chodorkowskij ein Exempel statuieren wollen.

Würden Sie eine Prognose zum Ausgang dieses neuen Prozesses wagen? Herrn Chodorkowskij drohen bis zu 22,5 Jahren Haft.

Ich habe leider die Befürchtung und die Einschätzung, dass dieses Verfahren, das schon seit Jahren von der Staatsanwaltschaft vorbereitet wird, wieder zu einer Verurteilung von Herrn Chodorkowskij und Herr Lebedjew führen kann. Die Dauer einer Haftstrafe kann ich nicht beurteilen, aber ein möglicher Strafrahmen könnte in diesem zweistelligen Bereich liegen. Von daher hat man doch wirklich den Eindruck, hier geht es mehr um die Vernichtung einer Person.