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Kommentar: Rasante Entwicklung, keine Antworten

Bernd Riegert, Brüssel1. März 2009

Die Finanzkrise breitet sich immer schneller aus - noch fallen den Europäern darauf keine Antworten ein. Doch die Zeit wird knapp, meint Bernd Riegert.

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Themenbild Kommentar Grafik SymbolbildBild: DW

Die Finanz- und Wirtschaftskrise breitet sich mit atemberaubender Geschwindigkeit aus. Eines hat sie uns gelehrt. Politische Grundsätze, die vor wenigen Wochen noch unumstößlich schienen, gelten schon heute nicht mehr. Und niemand kann mit Gewissheit voraussagen, was in den nächsten Wochen nötig sein wird, um Katastrophen zu verhindern.

Vor dem Bankrott?

Bernd Riegert

Das könnte auch für das klare "Nein" zu einem eigenen Rettungsprogramm für die Not leidenden Volkswirtschaften in Osteuropa gelten. Noch stemmen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der EU-Ratsvorsitzende Mirek Topolanek gegen gemeinschaftliche Finanzspritzen für Ungarn, Lettland, Rumänien, Bulgarien und andere. Malt der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurscany wirklich zu schwarz, wenn er von einem Finanzbedarf von bis zu 190 Milliarden Euro für die osteuropäischen Mitglieder der EU spricht? Oder könnte es sein, dass in einigen Wochen tatsächlich in einigen EU-Staaten der Staatsbankrott droht, weil es für diese Staaten zu teuer wird, sich Geld auf den Finanzmärkten leihen können? Noch im Dezember behaupteten viele osteuropäische Regierungen, sie hätten überhaupt keine Finanzkrise. Jetzt stehen sie am Abgrund.

Doch die Entwicklung ist rasant: Schon gibt es Anzeichen, dass die Finanzkrise auch für die Gemeinschaftswährung Euro bedrohlich werden könnte, die in 16 EU-Ländern gilt. Irland, Griechenland, Spanien und Italien haben zunehmend Schwierigkeiten ihre Staatsanleihen loszuwerden. Der Euro ist auf den Devisenmärkten bereits unter Druck. Der EU-Währungskommissar Joaquin Almunia warnt vor zunehmenden Fliehkräften. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem eilig einberufenen Gipfeltreffen auf diese Gefahren keine Antworten gefunden. Deutschland, als eines der finanzstärksten EU-Länder, scheut sich den anderen Ländern unter die Arme zu greifen, um nicht selbst mit Risikoaufschlägen auf seine eigenen Anleihen gestraft zu werden.

Immerhin: Kein Protektionismus

Entschlossen gaben sich die EU-Staats- und Regierungschefs immerhin bei der Abwehr von Protektionismus. Der Binnenmarkt müsse weiter funktionieren. Nationale Alleingänge dürfe es nicht geben. Das ist gut so, denn ohne einen funktionierenden Binnenmarkt wäre die EU in der jetzigen wirtschaftlichen Lage schnell am Ende. Einig sind sich die EU-Länder auch, die Banken stärker zu regulieren und zu beaufsichtigen. Rettungspakete und Konjunkturprogramme sollen miteinander koordiniert werden. Wie mit den wertlosen, so genannten giftigen Wertpapieren bei europäischen Banken umgegangen werden soll, zeichnet sich klarer ab. Immerhin soll es einheitliche Maßstäbe geben. Die Staatsverschuldung soll trotz aller kostspieligen Programme unter Kontrolle gehalten werden. Diese Einigkeit war noch vor wenigen Monaten undenkbar. Die Macht des Faktischen, die Krise, zwingt die Europäer nun zum Handeln.

Jetzt kommt es darauf an, dass die Europäer beim Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsakteure der Welt am 2.4. in London entschlossen handeln. Denn verglichen mit den weltweiten Problemen relativieren sich die finanziellen Schwierigkeiten einiger europäischer Staaten schon wieder. Europa muss sich im Konkurrenzkampf mit den anderen Weltregionen mithalten.

Der spontan einberufene Gipfel in Brüssel hat gezeigt, dass sich die kleinen EU-Mitgliedsstaaten nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen. Das Ganze war auch eine Art Gegenveranstaltung zum G-20 Vorbereitungstreffen der letzten Woche in Berlin, wo nur die großen EU-Staaten vertreten waren. Allerdings ist jetzt nicht die Zeit, dass sich die Staaten der EU untereinander zerstreiten. Diese Krise ist zu ernst, als dass man sich das jetzt leisten könnte.