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Heijo oder Oje?

Peter Stützle23. Februar 2009

Nicht "Alaaf" oder "Helau" ist der Karnevalsruf in Berlin, sondern "Heijo". Das steht für Heiterkeit und Jokus und beschreibt damit recht treffend das Maß an Ausgelassenheit während der närrischen Tage.

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Bild: DW

"Einige Zehntausend", vermeldete der Rundfunk Berlin-Brandenburg am Sonntag, hätten sich den Karnevalszug durch die westliche Berliner Innenstadt angesehen. Die erwartete Million ist damit nicht ganz erreicht worden. Aber es hat schließlich geregnet. Warum sollte man sich da an den Straßenrand stellen, nur um einem ulkigen Event zuzusehen? Vielleicht ist es nächstes Jahr schöner, dann kann man wieder "Karneval kieken" gehen.

Autorenfoto Peter Stützle

Als wäre man nackt in der U-Bahn

"Kieken", gucken, das ist es, was der gewöhnliche Berliner tut, seit vor acht Jahren unter Federführung eines aus Bonn zugezogenen Wirtes der Berliner Karnevalszug nach Jahrzehnten Unterbrechung wieder eingeführt wurde. Nur manche, meist sind es aus dem Rheinland oder Süddeutschland Zugezogene, sind bunt kostümiert und feiern mit. Die Sensibleren von ihnen haben für den Hin- und Rückweg lange Mäntel dabei, die Starken ertragen unterwegs ein Gefühl, das so ähnlich sein muss, wenn man nackt U-Bahn fährt.

Damit auch alles in geregelten Bahnen verläuft, hat die Senatsverwaltung für Umwelt in diesem Jahr erstmals eine Lärmgrenze von 85 Dezibel festgesetzt. An mehreren Messpunkten wurde kontrolliert, dass sie auch nicht überschritten wird. Zwar hatte es in den vergangenen Jahren keine einzige Beschwerde wegen Lärmbelästigung gegeben, aber man wollte wohl rheinischer Zügellosigkeit erst gar nicht Vorschub leisten. Preußische Tradition verpflichtet.

Importiertes Brauchtum

Schon das Wort "Karnevalszug" zeigt, dass es sich um importiertes, fremdes Brauchtum handelt. Der Vorläufer in den ersten Nachkriegsjahrzehnten hieß Faschingszug. Seit jeher heißen die Tage vor Aschermittwoch in Berlin Fasching, nicht Karneval. Vielleicht haben die von Preußen eroberten, einst österreichischen Schlesier das süddeutsche Wort und das damit verbundene Brauchtum ins protestantische Berlin mitgebracht.

Noch bis in die Achtzigerjahre sah man an den Faschingstagen viele kostümierte Kinder und auch manch verkleideten Erwachsenen auf den Berliner Straßen. Man feierte zwar keinen Straßenfasching wie in München, aber die Kinder kamen im Indianer- oder Cowboy-Kostüm zur Faschingsparty und die Erwachsenen trafen sich in der mit Girlanden und Luftschlangen dekorierten Eckkneipe. Inzwischen muss man diesen bürgerlichen Berliner Fasching fast mit der Lupe suchen.

Die Cottbuser können's

Aber es gibt eine Alternative. Nur sechzig Kilometer südöstlich von Berlin, in Cottbus, wird noch richtiger, authentischer, volkstümlicher Karneval gefeiert. Es ist das Brauchtum des dort, in der Lausitz, ansässigen slawischen Volks der Sorben, das heute so lebendig ist wie eh und je. Nur hatte der Cottbuser Karnevalszug in diesem Jahr einen Schönheitsfehler: Es war kein Prinzenpaar dabei. Denn kurz zuvor waren Vorwürfe aufgetaucht, Prinz Dirk II. schulde mehreren Gläubigern aus einer früheren unternehmerischen Tätigkeit noch eine Stange Geld. Bereits 2004 sei er wegen Untreue, Steuerhinterziehung und Lohneinbehaltung verurteilt worden. Deshalb zog der Karneval-Verband Lausitz das Prinzenpaar kurzerhand aus dem Verkehr.

Neuer Narren-Schlachtruf?

Da hatte der Berliner Karnevalszug dem Cottbuser doch noch etwas voraus: Am Kurfürstendamm war ein Prinzenpaar dabei. Allerdings ist der Berliner Prinz Reinhard I. im normalen Leben schon Rentner. Zwar können Rentner durchaus sehr lustig sein und auch ordentlich feiern, aber die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Faschings in der deutschen Hauptstadt drängt sich da doch auf. Schon heute kennt kaum noch ein Berliner den offiziellen Narren-Schlachtruf "Berlin Heijo". Wie wär's daher in Zukunft mit: "Karneval an der Spree – Oje oje oje!"