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"Rote Hände" für Köhler

12. Februar 2009

Zwangsrekrutiert - mit falschen Versprechungen gelockt - Angst vor Gewalt: Gründe, warum hunderttausende Kinder zu "Kindersoldaten" werden. Der "Rote Hand"-Aktionstag macht auf ihr Schicksal aufmerksam.

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Bundespräsident Köhler mit einer erhobenen rechten Hand, die rot gefärbt ist (Foto: dpa)
Eine "rote Hand" auch vom BundespräsidentenBild: picture-alliance/ dpa

Bundespräsident Horst Köhler empfing am Donnerstag (12.02.2009) im Berliner Schloss Bellevue 30 Kinder und Jugendliche aus drei Bundesländern. Diese hatten sich an der "Aktion Rote Hand" beteiligt. In Deutschland wurden rund 20.000 Abdrücke gesammelt. Köhler und seine Frau Eva Luise ließen sich ihre Hände rot anmalen und drückten sie dann auf Blätter. Köhler notierte auf seinem Blatt: "Kindersoldaten darf es nicht geben. Das ist die Aufgabe für uns alle."

Horst Köhler (links) und eine Abordnung von Kindern aus Deutschland. Die Kinder zeigen Köhler ein Plakat (Foto: dpa)
Horst Köhler (links) und eine Abordnung von Kindern aus DeutschlandBild: picture-alliance/ dpa

Der Sänger der deutschen Rockband BAP, Wolfgang Niedecken, der Köhler auf seiner Afrika-Reise 2004 begleitete und mit ihm auch ehemalige Kindersoldaten besuchte, sang sein Lied "Noh Gulu" gegen den Missbrauch junger Menschen durch Armeen und Rebellengruppen. Die internationale Kampagne "Aktion Rote Hand" wurde 2007 vom Bündnis Kindersoldaten ins Leben gerufen, einem Zusammenschluss von zwölf Nichtregierungsorganisationen. Bislang wurden rund 250.000 Hand-Abdrücke von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gesammelt.

Deutsche Politiker einig

Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) forderte anlässlich des Internationalen Aktionstages, Kinder dürften nicht mehr als Soldaten missbraucht werden. Der Einsatz von weltweit etwa 250.000 Kindersoldaten sei "eine besonders grausame Form von Menschrechtsverletzung". Teilweise würden Kinder im Alter von weniger als zehn Jahren zwangsrekrutiert. Die Bundesregierung habe es sich zum Ziel gesetzt, ehemaligen Kindersoldaten bei dem Weg zurück in ein normales Leben zu helfen. Daher würden vor allem in den betroffenen Ländern Afrikas Programme zur Schul- und Berufsausbildung unterstützt.

Ex-Rebellenchef Lubanga erscheint Ende Januar im Haager Strafgerichtshof, hinter ihm ein Wärter (Foto: AP)
Ex-Rebellenchef Lubanga erscheint Ende Januar im Haager StrafgerichtshofBild: AP

Als besonderen Erfolg wertete die Ministerin den Ende Januar begonnenen Prozess gegen den früheren kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Er muss sich wegen der Zwangsrekrutierung und dem Einsatz von Hunderten Kindersoldaten verantworten. "Derartige Prozesse", so Wieczorek-Zeul, "haben hoffentlich prägende Auswirkungen in den betroffenen Ländern".

Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Günter Nooke (CDU), sagte, die Situation von Kindern in bewaffneten Konflikten sei für Deutschland und seine EU-Partner ein Schwerpunkt der Menschenrechtspolitik. Allein in Afrika finanziere die Bundesregierung mit mehr als 100 Millionen Euro Projekte zur Reintegration von Kindersoldaten.

Kritik von der Opposition

Claudia Roth, hier mit ihrem Co-Vorsitzenden Cem Özdemir (Foto: dpa)
Claudia Roth, hier mit ihrem Co-Vorsitzenden Cem ÖzdemirBild: AP

Kritik am Verhalten der Bundesregierung kam von den Grünen und Hilfsorganisationen. Die Chefin der Grünen, Claudia Roth, sagte, betroffene Jungen und Mädchen würden in Deutschland selbst bei schwersten Verletzungen und Traumata nicht als Flüchtlinge anerkannt, sondern nur geduldet. Die Bundesrepublik müsse endlich die UN-Kinderrechtskonvention ohne Einschränkungen umsetzen und international anerkannte Mindestrechte für minderjährige Flüchtlinge garantieren. Auch die Linke forderte ein Asylrecht für ehemalige Kindersoldaten. Ähnlich äußerten sich Hilfsorganisationen wie Terre des Hommes und die Kindernothilfe. Bis auf wenige Ausnahmen werde den Kindern systematisch ein Bleiberecht verwehrt. Nach Angaben der Kindernothilfe leben derzeit rund 500 ehemalige Kindersoldaten in Deutschland.

"Red Hand Day"

Ein neunjähriger Junge feuert mit einer Maschinenpistole im Bürgerkrieg in Liberia (Archivfoto: dpa)
Ein neunjähriger Junge feuert mit einer Maschinenpistole im Bürgerkrieg in Liberia (Archivfoto)Bild: picture-alliance/ dpa

Insgesamt werden weltweit rund 300.000 Kinder in mehr als 20 Ländern als Soldaten missbraucht. In den meisten afrikanischen Staaten, aber auch in Kolumbien, Afghanistan, Indien, Indonesien oder auf den Philippinen werden sie auch an die Front geschickt. Die meisten Kindersoldaten gibt es in Birma. Dort kämpfen nach Schätzungen von Terre des Hommes etwa 77.000 Minderjährige in der Regierungsarmee und in bewaffneten Oppositionsgruppen. Besonders schlimm ist die Lage derzeit nach Angaben der Hilfsorganisationen in Sri Lanka. Dort hätten alle Kriegsparteien in den letzten Monaten die Rechte von Kindern und Jugendlichen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verletzt und Kinder zwangsrekrutiert. Jede tamilische Familie habe zwei Kinder für den Kampf der tamilischen Rebellen der "Befreiungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) zur Verfügung stellen müssen.

Und dies sind Beispiele, die bekannt sind. Die Kindernothilfe geht jedoch davon aus, dass in jedem Krieg der Welt auch Kinder als Soldaten eingesetzt werden. Oft bleibe ihr Einsatz jedoch im Verborgenen. Der Sprecher der Organisation, Sascha Decker, betont, dass Kinder nicht nur als Soldaten, sondern auch als Köche, Späher oder Sexspielzeug rekrutiert werden. "Nicht erst der Einsatz an der Waffe macht ein Kind zum Soldaten", so Decker.

Keine Seite ist zimperlich

Und keine Seite, ob Regierung oder Rebellen eines Landes, ist zimperlich. Die Rebellenarmeen bieten Kindern, so die Hilfsorganisationen, im Gegenzug für den Kampf an der Waffe an, dass sie versorgt und vor anderen Guerillagruppen "geschützt" werden. Aber auch Regierungstruppen zwingen Minderjährige, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen. Bevorzugt werden sie oft, weil sie als manipulierbar und billig gelten. Mittlerweile wurden besonders leichte Waffen entwickelt, die schon den Einsatz von Sechs- bis Zehnjährigen möglich machen. Viele Kindersoldaten werden von ihren erwachsenen Vorgesetzten misshandelt oder sexuell missbraucht.

Eine 18-Jährige im Kongo schraubt an einer auf dem Boden liegenden Tür (Foto: dpa)
Die 18-jährige Nicole Mangaza, die als 12-Jährige im Kongo zwangsrekrutiert wurde, arbeitet jetzt in einem RehabilitierungsprogrammBild: picture-alliance/ dpa

Mit der "Roten Hand", dem Symbol für den Blutzoll, den Kinder zu zahlen haben, wird weltweit jährlich am 12. Februar auf das Schicksal der Kindersoldaten aufmerksam gemacht. An diesem Tag im Jahr 2002 trat das Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Es verbietet den zwangsweisen Einsatz von Kindern unter 18 Jahren in kriegerischen Konflikten. Bislang haben 120 Staaten das Protokoll ratifiziert, Deutschland setzte es 2004 in Kraft. Nach Angaben von Terre des Hommes halten sich aber einige Länder trotzdem nicht an die Vereinbarung.

Seelisches Leid und Traumata

Die Hilfsorganisationen versuchen deshalb verstärkt vor Ort in den betroffenen Ländern Aufklärungsarbeit zu leisten, etwa in Birma. Dort versucht Terre des Hommes direkten Kontakt zu Rebellengruppen zu aufzunehmen und diese über die Konsequenzen zu informieren, die der Einsatz von Kindersoldaten mit sich bringe. Nach Angaben der Organisation gibt es unter den Tätern oft "einfach kein Unrechtsbewusstsein".

Zu den Konsequenzen gehört etwa, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet wird, weil die eigenen Familien häufig Angst vor ehemaligen Kindersoldaten haben. Die Resozialisierung ist, so die Erfahrungen der Hilfsorganisationen, meist ein jahrelanger Prozess. Ehemalige Kindersoldaten brauchen nach Angaben vom Auslandsvorstand der Kindernothilfe, Dietmar Roller, "extrem viel Zuwendung und professionelle Begleitung, um die erlittenen Wunden an Körper und Seele zu verarbeiten". Wichtig sei zudem, alles daran zu setzen, dass sie nach einer Traumatisierung nicht wieder zu Gewaltopfern würden.

Der ehemalige Kindersoldat Ishmael Beah aus Sierra Leone, hier bei einer Pressekonferenz im Sommer 2007 in Berlin. Er hat die rechte Hand erhoben. Im Hintergrund ein Foto von UNICEF (Foto: dpa)
Der ehemalige Kindersoldat Ishmael Beah aus Sierra Leone hier bei einer Pressekonferenz im Sommer 2007 in BerlinBild: picture-alliance/ dpa

Mut macht da das Schicksal von Ishmael Beah. Mit zwölf Jahren wurde er in seiner Heimat Sierra Leone von den Regierungstruppen im Kampf gegen die Rebellen zwangsrekrutiert. Er habe irgendwann den Überblick darüber verloren, wie viele Menschen er in den drei Jahren erschossen, erstochen und gefoltert habe, sagte er der Deutschen Presseagentur anlässlich des Aktionstages. Er sei von seinen Vorgesetzten unterdrückt und unter Drogen gesetzt worden. Mit Hilfe von UNICEF sei ihm die Flucht gelungen. "Die Rückkehr ins Leben ist das Härteste. Kindersoldat wirst Du dagegen ganz leicht, weil Du nämlich keine Wahl hast". Heute lebt der 28-jährige ehemalige Kindersoldat in den USA, arbeitet für die Vereinten Nationen und reist um die Welt, um wieder und wieder seine Geschichte zu erzählen. (bea)