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Patenkind - Mal anders

Christoph Richter/ pl5. Februar 2009

Wer Familienanschluss sucht ist bei der Konzeptkünstlerin Gudrun Widlok und ihrem Projekt ADOPTED genau richtig. Sie vermittelt einsame, bindungslose Europäer in afrikanische Großfamilien.

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Eine Weltkarte an der Wand im Büro von "Adopted", auf die Karte sind Fotos geklebt von afrikanischen Familien, die ein europäisches "Patenkind" haben.
ADOPTED sammelt Fotos von afrikanischen Familien, die sich als Paten zur Verfügung stellenBild: Christoph Richter

In der Berliner Kastanienallee, im Szenebezirk Prenzlauer Berg, steht auf dem Schaufenster eines Designladens in großen roten Lettern ADOPTED. Adoptiert. Die Menschen bleiben stehen, schmunzeln, andere schütteln den Kopf. Hinter dem Fenster, für jeden sichtbar, befindet steht ein Schreibtisch. An der Wand hängt eine Weltkarte, die bespickt ist mit lustigen Fotos von Großfamilien aus Ghana und Burkina Faso. Vom Enkel bis zur Urgroßmutter drängeln sich alle ins Bild. Es sind Gastfamilien, die sich bereit erklärt haben, eine Patenschaft für einen einsamen Menschen aus Europa zu übernehmen.

Fingerzeig auf ein Tabuthema

Gudrun Widlok sitzt an ihrem Schreibtisch im Büro und spricht mit einer Kundin, die sich gerne vermitteln lassen möchte.
Gudrun Widlok (links) im Gespräch in ihrem Berliner BüroBild: Christoph Richter

Die Idee kam der Konzeptkünstlerin Gudrun Widlok vor ein paar Jahren als sie mal wieder Post im Briefkasten fand: Prospekte, in denen kleine afrikanische Kinder sie mit großen traurigen Augen anschauten und in denen man dazu aufgefordert wurde, eine Patenschaft zu übernehmen. Warum das Ganze nicht mal umdrehen, dachte sie sich und das sei nicht zynisch gemeint, betont sie. Sie wolle vielmehr auf ein Tabuthema aufmerksam machen. Immer mehr Menschen in den westlichen Industrieländern lebten allein, die Zahl der Singlehaushalte habe sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt und die Scheidungsrate steige von Jahr zu Jahr. Trotzdem werde das Thema totgeschwiegen. Obwohl man längst konstatieren könne, dass die westliche Welt eine beispiellos einsame Gesellschaft sei.

"Viele haben das zwar so selbst gewählt, und sind auch ganz zufrieden, wenn sie für sich sind", so die Erfahrung von Gudrun Widlok. Trotzdem glaubt sie eine Sehnsucht zu spüren, die ihr sage, dass viele der Menschen hier in Europa gar nicht so alleine leben wollen und einfach aus dieser Ambivalenz nicht rauskommen.

Angst vor dem Alleinsein

Geborgenheit und Nähe – danach sehnt sich zum Beispiel auch die Kölnerin Steff Adams. Sie habe nur eine Mutter und eine Schwester, sagt sie. Tanten, Onkels, Cousinen und Cousins, das alles gebe es bei ihr nicht. Sie möchte gern vermittelt werden, am liebsten in eine Großfamilie in Burkina Faso, irgendwo auf dem Land. Geld oder Statussymbole seien ihr unwichtig, sagt sie, stattdessen träume sie von einem Aufgehobensein in einem Familienverbund. ADOPTED kam für sie wie gerufen.

Blickrichtung ändern

Plakat eines afrikanischer Paares, die ein Foto eines Europäers in der Hand halten.
Die Idee von europäisch-afrikanischen Patenschaften - Gudrun Widlok dreht sie einfach umBild: Christoph Richter

Auf den ersten Blick könnte man ADOPTED für eines von vielen Austauschprogrammen halten. Gudrun Widlok aber geht es erstmal um etwas Anderes. Ihr Projekt ist eine künstlerische Versuchsanordnung, die mit Wahrnehmungen und Realitäten spielt. Gudrun Widlok will irritieren und mit festgelegten Vorstellungen brechen, die davon ausgehen, dass die Europäer stets die Helfenden sind, die dritte Welt stets der Empfänger.

Start des Projekts ADOPTED war vor acht Jahren in Berlin. 2003 war Gudrun Widlok erstmals in Afrika um - in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut - die Fotos von traurigen Europäern in Ausstellungen zu präsentieren. Die Resonanz war riesig. Es meldeten sich sogleich mehr als 100 westafrikanische Familien, die bereit waren, ein "Patenkind" anzunehmen. Und was zunächst lediglich als Gedankenspiel geplant war, das in den Köpfen der Menschen etwas bewegen sollte, wurde dann doch konkret. Im Frühjahr dieses Jahres wollen die ersten Europäer nach Afrika reisen und ihre Familien kennenlernen. Aus einer theoretischen Konzept-Kunstaktion wird gesellschaftliche Realität. Ein Beweis dafür, dass gesellschaftliche Veränderungen durch Eingriffe der Kunst möglich sind.