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Energieneutral bauen in den Niederlanden

Kerstin Schweighöfer (Euranet)19. Januar 2009

Bürobauten, Privathäuser und Schulen - was ist möglich beim nachhaltigen Bauen? Ein Architekturbüro in Amsterdam zeigt, wie fortgeschritten und vielfältig es bereits sein kann – und dass eigentlich noch mehr möglich ist.

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Niedrigenergiehaus in Freiburg (18.6.08/AP)
Das Niedrigenergiehaus in Freiburg spart EnergieBild: AP

Eine Baustelle am südlichen Stadtrand von Den Haag. Unverdrossen stapft Projektarchitektin Evelien Rodenburg durch Schlamm und Lehm und begrüßt die Bauarbeiter. Evelien betreut den Bau der British School, einer internationalen Schule in einem Neubauviertel. Die 36-Jährige arbeitet für RAU, ein Architekturbüro in Amsterdam . Die 45 Mitarbeiter dieses Büros gelten als Pioniere des nachhaltigen Bauens. Und so wie alle RAU-Projekte soll auch die British School ein nachhaltiges Gebäude werden.

Menschliche Wärme zum Heizen

"Ich arbeite jetzt seit vier Jahren bei RAU und ich kann mir eigentlich nicht mehr vorstellen, nicht nachhaltig zu bauen“, sagt Evelien Rodenburg, "es ist eine Mission, es ist eine Leidenschaft!" Alle Dächer des neuen Schulkomplexes bekommen ein Grasdach. Die Innenräume sollen wie fast alle RAU-Bauten mit Lehm verputzt werden, einem der ältesten Baustoffe der Welt. Denn Lehm ist nicht nur billig und recyclebar, auch der Feuchtigkeitshaushalt eines Gebäudes lässt sich damit viel leichter und effizienter regeln als mit Putz, denn Lehm nimmt 30 Mal mehr Feuchtigkeit auf.

Außerdem sind sämtliche Decken von einem feinen Netz von Wasserleitungen durchzogen. Dadurch kann die Wärme, die die Benutzer eines Gebäudes ausstrahlen, zur Heizung des Gebäudes verwendet werden. Denn die menschliche Wärme steigt auf und erwärmt das Wasser. "Im Sommer entsteht ein Wärmeüberschuss", erklärt Projektarchitektin Evelien Rodenburg, "und diese Wärme können wir in unterirdischen Wassertanks im Boden speichern und im Winter dann wieder aus dem Boden holen und zum Heizen verwenden."

Plus Minus Null - Gute Energiebilanz

Die Brouwersgracht in Amsterdam (28.02.2005)
Amsterdam ist die Heimstadt des Architekturbüros RAUBild: AP

Auf diese Weise können gut 80 Prozent der Energie, die in der Heizperiode nötig ist, um ein Gebäude auf 21 Grad zu erwärmen, durch den Überschuss an menschlicher Wärme gedeckt werden. Die restlichen 20 Prozent und der Strom, der zur Benutzung des Gebäudes benötigt wird, werden vor allem durch Sonnenenergie gewonnen. "So machen wir ein Gebäude energieneutral", erklärt Eveliens Chef Thomas Rau. Der gebürtige Deutsche hat das Amsterdamer Büro 1992 gegründet.

"Ein energieneutrales Gebäude heißt im Grunde, dass ich mit dem Gebäude genauso viel Energie produziere, wie ich für den Betrieb des Gebäudes brauche", erklärt Rau. Und da müsse man gut unterscheiden: Einmal brauche man Energie, um ein Gebäude so zu betreiben, dass es warm sei, dass es kalt sei, und dass das Licht angehe. Das sei die eine Sache. Die andere sei: Um das Gebäude so zu nutzen, brauche man auch Strom - für Recorder, Laptop, für die Arbeitsplatzbeleuchtung. "Wir sagen: Die gesamte Energie, die das Gebäude braucht und die der Benutzer braucht, der im Gebäude arbeitet, die müssen wir mit dem Gebäude produzieren", sagt Rau. "Und wenn sich das in einer Balance befindet, also wenn meine Ausgaben und meine Einnahmen energetisch gleich sind, dann sprechen wir von einem energieneutralen Gebäude."

Energieneutrales Bauen ist nicht teurer

Mit Passivhäusern hat RAU nichts mehr am Hut: Diese Phase haben sie längst hinter sich gelassen. Schon seit zehn Jahren konzentrieren sie sich ganz auf energieneutrale Bauten. Auch das erste energieneutrale Gebäude Europas ist ein RAU-Projekt: der Um- und Erweiterungsbau der niederländischen Zentrale des World Wild Life Fund for Nature in den Wäldern von Zeist bei Utrecht. Teurer als gewöhnliches Bauen braucht energieneutrales Bauen jedoch nicht zu sein.

"Jeder sagt, dass nachhaltiges Bauen etwa fünf oder acht Prozent mehr Budget benötigt, aber das ist völliger Unsinn", meint Rau. Mit dem Geldbeutel habe das nichts zu tun. Es habe nur etwas mit dem Bewusstsein und dem Verantwortungsgefühl zu tun. RAU entwickelt derzeit ein Konzept, um alle bereits bestehenden Einfamilienhäuser einfach und preisgünstig nachträglich energieneutral zu machen. Dazu müsse man praktisch nur den Garten umgraben, um nach dem Prinzip der unterirdischen Wassertanks ein Schlauchsystem unter den Rasen zu legen. Das hat Thomas Rau auch mit seinem eigenen Garten gemacht.

"Wenn jemand einen großen Garten hat, legt man einen Gartenschlauch hinein. Wenn es ein kleiner Garten ist, kann man auch Spiralen reindrehen. Es ist überhaupt kein Problem, alle Häuser energieneutral zu machen", so RAU. Aber die Energiebetriebe gehen dann leer aus und deshalb haben diese auch kein Interesse daran. Um diesen Schritt machen zu können, müsse man zur dezentralen Energieversorgung zurückkehren. "Wir wollen alle Energie, die wir brauchen für unser Handeln, an dem Ort produzieren, wo wir sind", erklärt Rau.

Kreative und energiesparende Ideen und Lösungen

Fabrik mit rauchenden Schornsteinen mit Feld im Vordergrund (01.02.02/AP)
Ziel der neuen Bauweise: Energie sparenBild: AP

In Lyon baut RAU gerade das erste energieproduzierende Gebäude der Welt – ein Komplex mit Restaurants, Läden, Wohnungen und 10.000 Quadratmetern an Bürofläche. Im Gegensatz zu energieneutralen Bauten soll dieses Gebäude mehr Energie produzieren als es braucht – Dank der vielen Benutzer, die sich darin täglich aufhalten und als Energiequelle dienen.

"Da arbeiten ungefähr 800 Menschen, jeder hat 50 Watt, das macht 400.000 Watt. Jeden Morgen kommt da eine Energiebombe rein", umschreibt Rau. Die Zauberworte der Zukunft lauten "Schwerkraft" und "Wasserstoff": Es werden bereits Techniken entwickelt, um Schwerkraft in Energie umzusetzen. Und in Amsterdam will RAU in Kürze das erste Wasserstoffhotel der Welt bauen, dessen Betrieb ganz auf Wasserstoff beruht. Details hält das Büro geheim, da es sich die Anwendung teilweise patentieren lassen will.

Branche mit Berufung

Allein auf weiter Flur ist Thomas Rau zwar nicht mehr, immer mehr Kollegen folgen seinem Vorbild. Dennoch, so schätzt er, sind nur ganze zwei Prozent der Neubauten, die weltweit entstehen, nachhaltig. Die 45 Mitarbeiter von RAU sehen ihre Arbeit deshalb nach wie vor als eine Berufung – und fühlen sich manchmal wie Missionare.

"Manchmal ertappe ich mich, wie ich bei Feiern oder Festen Freunde und Verwandte zu bekehren versuche, dann werde ich richtig fanatisch", verrät Evelien Rodenburg. Denn es sei schade: technisch sei vieles längst problemlos möglich. Aber aus juristischen oder politischen Gründen werde es dann doch nicht realisiert.