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"Die EU muss Zähne zeigen"

Manfred Götzke (EURANET)7. Januar 2009

Viele hatten sich nach der Abspaltung des Kosovo von Serbien erhofft, dass die Konflikte ein Ende haben. Aber es häufen sich Ausschreitungen. Die Balkan-Beauftragte des Europaparlaments Doris Pack im Interview.

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Doris Pack
Doris Pack, Balkanbeauftragte des EuropaparlamentsBild: Europäisches Parlament

Fokus Europa: Frau Pack, Klein-Gaza ist das ein passendes Etikett für Mitrovica? Sind das zur Zeit kriegsähnliche Zustände dort oder ist das übertrieben?

Doris Pack: Das ist sehr übertrieben, aber es passt natürlich vielen Menschen in den Kram – vor allem denen, die gegen die Abspaltung des Kosovo waren. Insofern muss man sich schon fragen, was hinter solchen Vorfällen steckt, die in den letzten Tagen passiert sind.

Es gibt ja Stimmen, die behaupten, Serbien würde diese Unruhen schüren, um der Internationalen Gemeinschaft zu zeigen: ein unabhängiges Kosovo kann gar nicht für Recht Ordnung sorgen. Was halten Sie von diesen Vorwürfen?

Soweit kann man natürlich nicht gehen. Aber jeder solcher Vorfall wird natürlich in Belgrad nicht ungern gesehen, weil man natürlich den Beweis braucht, dass dieses Land, diese neue deklarierte Unabhängigkeit nicht funktionieren kann. Insofern glaube ich, dass man nicht alles, was da passiert, unter dem Gesichtspunkt sehen kann, dass es die einen gegen die anderen sind, sondern es ist ein Gemisch von Dingen, die da kumulieren.

Aber würden Sie sagen, dass die serbische Regierung in irgendeiner Weise involviert ist in den Konflikt, in die aktuellen Ausschreitungen?

Das glaube ich nicht. Denn das wird sie sich auch nicht wagen. Ich glaube nicht, dass man einer Regierung so etwas vorwerfen kann. Aber die Serben in Mitrovica sind ja nicht die Serben im Kosovo – das ist ein Teil der Serben im Kosovo. Und die Serben in Mitrovica leben zum Teil auch durch die Unterstützung aus Belgrad, weil sie ja die Kosovo-Regierung nicht anerkennen. Das heißt: Des’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’. Das heißt, sie haben ein Interesse daran, dass dort oben kein Frieden einkehrt, weil sie auf diese Art und Weise auch das Ziel erreichen wollen, dass der Nordteil abgespalten wird. Was ja niemand will außer Belgrad.

Seit Dezember ist die EU-Polizei und Rechtsstaatsmission „Eulex“ im Kosovo, um dort rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Das hat ja offenbar nicht viel gebracht, oder?

Die sind ja erst seit Dezember da, aber eigentlich müssten wir uns mal überlegen: Was hat denn die UNO in den letzten Jahren dort gemacht? Ich denke, es ist sehr viel versäumt worden: Das, was nach dem Eingriff durch die Nato, um den Genozid an den Albanern im Kosovo zu stoppen, gemacht wurde, hat den Namen einer „guten Mission“ wirklich nicht verdient. Es ist sehr vieles geschlampert worden. Warum haben wir nicht schon einen Rechtsstaat dort? Wir hatten dort sehr viele Menschen, die bezahlt wurden, um einen Rechtsstaat aufzubauen. Und jetzt muss die Europäische Union hin und muss das Ganze noch einmal von vorne beginnen. Es sind leider Gottes sehr viele Jahre verloren gegangen und jetzt müssen wir uns beeilen, um dieser Regierung zu helfen. Aber ich will noch einmal darauf zurückkommen: Es ist sicherlich der Regierung in Pristina nicht ganz unangenehm, dass sich in Mitrovica solche Dinge ereignen. Denn das lenkt wieder die Leute ab, so dass sie nicht sehen, was diese neue Regierung, diese neue Unabhängigkeit ihnen bringt. Denn sie arbeitet nicht, wie sie arbeiten sollte – und das muss man auch beim Namen nennen.

Sowohl Serbien als auch Kosovo wollen möglichst schnell in die EU. Geben Sie den Ländern überhaupt noch eine Perspektive angesichts der Situation?

Aber sicher. Ich denke, es wird keiner von uns für morgen vorsehen. Serbien könnte sich natürlich sehr viel schneller bewegen, weil es ein Staat ist, der schon immer funktioniert hat. Er hat natürlich ein großes Problem zu dem Kosovo-Problem: Er hat das Problem, dass es Ratko Mladić, der Schuld ist an dem Massaker in Srebrenica in Bosnien, immer noch nicht ausgeliefert hat. Ich denke, die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal ist eine der großen Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Serbien könnte, wenn es wollte, schneller vorangehen und ich denke, das wissen sie auch. Aber ich denke, derzeit spielen sie noch ein bisschen auf Zeit. Ich weiß nicht, warum. Es hilft der Bevölkerung nicht. Die Bevölkerung wartet beispielsweise auch darauf, dass eine Visa-Freigabe - erst einmal eine Liberalisierung und dann eine Freigabe - von uns angeboten wird. Aber dafür muss Serbien die Bedingungen erfüllen. So gibt eins das andere und ich glaube, letztendlich schieben sie mit der Art und Weise, wie sie auch das Kosovo-Problem angehen, ihre Zukunft ein bisschen weit vor sich her und das ist eigentlich schade – die Bürger haben etwas anderes verdient, als ihre Politiker ihnen zugestehen wollen.

Übt die EU ausreichend Druck auf Serbien aus?

Leider nein.

Was müsste die EU tun?

Die EU müsste Zähne zeigen. Es hat keinen Zweck, dass man nur mit diplomatischen, freundlichen Worten sagt: ‚Das sollt ihr nicht tun. Oder seid doch bitte mal so lieb und unterstützt nicht weiter die Serben in Mitrovica, sondern sagt denen, sie möchten die Kosovo-Regierung anerkennen.’ Es nutzt nichts, wenn man ihnen nicht sagt: ‚Wenn ihr euch nicht so verhaltet, wie man es von einem Rechtsstaat, der Mitglied der EU werden will, erwartet, dann wird es eben sehr lange dauern, bis ihr Mitglied der EU werden könnt.’ Und das ist eben ein Problem, das natürlich zwei Seiten hat. Es gibt natürlich auch Leute in Serbien, die sagen: ‚Warum müssen wir überhaupt in die EU?’ Einige haben ja auch mit Verbindungen nach Russland geliebäugelt. Also, die Situation ist nicht so einfach, aber wenn wir ein bisschen stringenter wären in unserer Haltung und auch sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter’ – dann könnte man sicherlich ein bisschen weiterkommen.