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Geschenkte Zeit

Michael Gessat31. Dezember 2008

Wer an einem 29. Februar geboren ist, der weiß: Die Erde bewegt sich nicht ganz nach Plan. Beim Schaltjahr wird das mit einem kompletten Extra-Tag ausgebügelt. Aber ab und zu sind noch kleinere Zeitkorrekturen fällig.

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(Quelle: AP)
Diese Uhr in Medfield (USA) hat garantiert keine Probleme mit der Schaltsekunde ...Bild: AP
(Quelle: AP)
Feuerwerk über der Tower Bridge, London, GroßbritannienBild: picture-alliance / Bildagentur Huber

Beim Countdown in der Silvesternacht müssen die Engländer dieses Mal höllisch aufpassen, um ja nicht zu früh "Happy New Year" zu rufen, die Raketen steigen und die Böller krachen zu lassen. Das Jahr 2008 endet in London nämlich mit einer Eskapade in allerletzter Minute; mit einer Extraportion Zeit von der Dauer eines Herzschlags: Mit einer Schaltsekunde.

Hüterin der deutschen Zeit: die PTB

"Und die besagte Minute, in der die Schaltsekunde eingefügt wird, hat dann nicht 60 Sekunden, sondern eben 61 Sekunden." Keine große Affäre also offenbar für Dirk Piester. Er arbeitet bei der PTB, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Die PTB ist für physikalische Einheiten und Normen in Deutschland zuständig. Dafür, dass ein Meter wirklich ein Meter lang ist, ein Kilogramm wirklich ein Kilogramm schwer. Dafür, dass eine Sekunde wirklich eine Sekunde dauert.

Wie lang ist eine Sekunde?

TREC Parabolrinne mit Sonne
Die Rotation der Erde lässt die Sonne für den Menschen auf- und untergehen (Bild: Sonnenkraftwerk)Bild: TREC

"Die Sekunde ist der 86400te Bruchteil eines mittleren Sonnentages."

Diese klassische Definition, gültig immerhin bis 1956, ist eine Mischung aus einer Naturkonstante und einer willkürlichen kulturellen Übereinkunft. Die Naturkonstante beruht auf der Erdrotation und galt schon für den Neandertaler: Der Zeitraum von einem Sonnenhöchststand zum folgenden ist ein Tag.

Rechnen wie in Babylon

Und die willkürliche kulturelle Übereinkunft besteht in der Aufteilung des Tages in 86400 Einheiten; in 24 Stunden à 60 Minuten à 60 Sekunden. Das haben sich ursprünglich die alten Babylonier ausgedacht. So weit, so gut. Dummerweise ist die reale Dauer eines Sonnentages nicht nur abhängig von der Jahreszeit und der Position auf der Erdkugel. Unser Planet dreht sich noch nicht einmal richtig regelmäßig um seine Achse, die Naturkonstante ist gar nicht richtig konstant, stellten die Physiker in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts fest. 1967 konnten dann die alten Zöpfe gründlich abgeschnitten werden:

Die Sekunde der Atom-Zeit

(Quelle: AP)
Die Atomuhr CS2 der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in BraunschweigBild: AP

"Die Sekunde ist das 9192 631770fache der Periodendauer, der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung."

Das klingt kompliziert. Und ist es auch. Ohne in die technischen Details hineinzugehen: Atomuhren und die von ihnen definierte Atomzeit beruhen auf physikalischen Vorgängen bei bestimmten Atomen, die extrem stabil und reproduzierbar ablaufen. Und damit einen viel genaueren Takt für eine Uhr liefern, als eine mechanische Unruh. Oder als ein schwingender Quarz. Oder als die sich drehende Erde.

Losgekoppelt von der Erdrotation

"Als man dann die ersten Atomuhren konstruiert hat, hat man einfach die Ergebnisse dieser Messungen verglichen mit der Erdrotation oder aus dem Erdumlauf um die Sonne. Und daraus wurde die Sekundendefinition ermittelt. Hat man erst einmal diese Definition, ist man völlig losgekoppelt von der Erdrotation", erklärt Dirk Piester.

Schön für die Theorie und für alle modernen High-Tech-Anwendungen wie GPS, das satellitengestützte Navigationssystem.

Einfach mal den Zeiger anhalten

(Quelle: AP)
Erde und MondBild: NASA

Die Erde allerdings dreht sich auch weiterhin unregelmäßig. Erstens schlackert es leicht im Erdinneren. Und vor allem bremst der Mond die Erdrotation mit Ebbe und Flut, der sogenannten Gezeitenreibung ab. Dirk Piester: "Man möchte natürlich nicht, dass es zu Diskrepanzen zwischen dieser Atomzeit und der Erdrotationszeit kommt. Und weil die Erde sich immer langsamer dreht, fügen wir da dort Schaltsekunden ein, damit das mit dem täglichen Leben noch übereinstimmt."

Schaltsekunde in Deutschland kurz vor Eins

Seit der letzten Anpassung 2005 sind Atomzeit und Erdzeit wieder einmal zu weit auseinandergelaufen. Auch die Deutschen bekommen also in dieser Sylvesternacht ihre Extraportion Zeit, ihre Schaltsekunde verpasst. Übrigens natürlich gleichzeitig mit den Engländern. Nur gehen in Berlin die Uhren ja gegenüber denen in London eine Stunde voraus. Und deswegen passiert das Ganze bei uns etwas weniger spektakulär im bereits frisch angebrochenen neuen Jahr; in der Minute vor ein Uhr nachts.

Alles eine Frage der Genauigkeit

(Quelle: AP)
Für eine Funkuhr ist die Schaltsekunde kein Problem...

Die PTB überträgt die Schaltsekunde über ihren Sender DCF 77 an alle Funkuhren im Land. Piester: "Normalerweise zeigt die Uhr ja 59 Sekunden an und springt dann wieder auf die nullte Sekunde, und dann müsste sie eigentlich die Sekunde 60 auch noch anzeigen. In wieweit das jetzt bei jeder handelsüblichen Uhr der Fall ist, kann ich schwer sagen, weil wir da keine Vorgaben in Bezug auf die Konstruktion solche Uhren machen. Deswegen hab ich auch "müsste“ gesagt. In der Regel ist es aber so, dass die Uhren sich nachts meistens synchronisieren und wenn man morgens aufsteht, dann hat man wieder die sekundengenaue Zeit."

Happy New Year!

Aber auch die Engländer müssen ja bei ihrem Jahreswechsel nichts wirklich Schlimmeres fürchten, als ihre Raketen und Böller eine Sekunde zu früh zu zünden, versichert Piester: "Es schlägt bestimmt nicht 13."