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Renaissance einer Sprache

Andreas Noll22. Dezember 2008

Europa schützt seine Minderheiten - auch im Bereich der Sprachen. So erlebt das Elsässische in der französischen Grenzregion zu Deutschland eine unverhoffte Renaissance.

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Blick auf Straßburg (Foto: dpa)
Blick auf StraßburgBild: picture-alliance/ dpa

Wie soll ein Staat mit seiner Sprache umgehen? Darüber wird in Deutschland gestritten, seit die CDU auf ihrem Parteitag gefordert hat, Deutsch im Grundgesetz zu verankern. Mit ihrer Initiative wollen die Konservativen dem Beispiel zahlreicher Nachbarstaaten in Europa folgen. In Frankreich sind die Abgeordneten nun noch einen Schritt weiter gegangen. Sie haben auch den Schutz der Minderheitensprachen in die Verfassung geschrieben.

Das soll sämtlichen Regionalsprachen Auftrieb geben. Besonders große Hoffnungen machen sich die Elsässer, die eine lange vernachlässigte Minderheitensprache zu neuem Leben erwecken wollen.

Ein Drittel spricht noch Dialekt

Elsässer Flammkuchen (Foto: dpa)
Typisch für die Region: Elsässer FlammkuchenBild: picture-alliance / dpa / Stockfood

An einem Mittwochabend lädt im Elsässischen Sprachamt in Straßburg der Verein "Junge fers Elsassische" zum Sprachunterricht. Ganz vorne am Kopf des Tisches wirbelt Lehrerin Bénédicte Keck und sagt: "Ich hees Bénédicte Keck. Ich tu Elsässisch unterrichten. Seit vier Jahre." Sie hat einen Storch in der Hand - das Wahrzeichen des Elsass. Für die Teilnehmer ist er das Signal, Dialekt zu sprechen. Die Kursteilnehmer rufen im Chor:

"Gute Morje!"

Gut ein Drittel der Bevölkerung im Elsass spricht heute noch die mit dem Alemannischen und Fränkischen verwandte Mundart. Aber es sind vor allem die Älteren, die den Dialekt pflegen. Die Jüngeren kommen meist aus Neugier in den Sprachunterricht - so wie die Straßburger Studentin Iman, die von sich sagt, dass sie "die Sprachen" liebt. Bis dato sei sie zwar mit dem Elsässischen im Alltag nicht in Verbindung gekommen. Dennoch glaubt sie aber, "dass mich das Lernen der Sprache kulturell weiterbringt".

Vor allem Grammatik und Aussprache bereiten Studenten wie Iman große Schwierigkeiten, da der germanische Dialekt mit dem Französischen kaum verwandt ist. Hinzu kommen die Vorbehalte gegen die Minderheitensprachen in Frankreich, die bis heute ihre Wirkung entfalten.

Ideologische Kämpfe

Der Zentralstaat hat den Regionen lange Zeit misstraut, fürchtete sich vor Separatismus. Dabei habe Elsässisch besonders gelitten, sagt der Leiter des Sprachamtes, Justin Vogel. Nach dem Krieg habe man den Schülern verboten, in der Schule Elsässisch zu sprechen. Er selbst sei bestraft worden, weil er es gewagt habe, ein paar Worte Elsässisch auf dem Schulhof zu sprechen. "Ich musste mich auf eine Leiter stellen und vor über 100 Schülern die französische Nationalhymne singen", erinnert sich Vogel.

Die ideologischen Kämpfe von einst hinterlassen bis heute tiefe Spuren. Viele Familien haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg geweigert, ihren Kindern die so deutsch klingende Sprache zu vermitteln. Heute sprechen im Elsass noch rund 150.000 Elsässer fast ausschließlich Mundart. Trotzdem gibt es in den großen Städten wie Straßburg nur noch wenige Geschäfte, wo Kunden und Verkäufer ganz selbstverständlich Elsässisch sprechen.

Blick auf die Haut-Koenigsbourg im Elsass (Foto: dpa)
Blick auf die Haut-Koenigsbourg im ElsassBild: dpa

Sprache bedeutet Identität

Als Vizepräsident des Regionalrates im Elsass und Leiter des Elsässischen Sprachamtes trägt Justin Vogel eine Schwalbe am Revers. Ein Symbol, das in den verbliebenen "Oasen" des Dialekts häufig zu sehen ist und bedeutet: Hier wird Elsässisch gesprochen. Vogels Behörde versucht mit viel Geduld und Geld, Elsässisch im öffentlichen Leben zu stärken. Mehr als 50 Kurse fördert der Staat, schickt allen Eltern von Neugeborenen Elsässisch-Dossiers, organisiert elsässische Kulturfestivals, unterstützt Wörterbücher und hat Unternehmer für eine Sprachcharta gewonnen.

"Die Tatsache, dass sie Elsässisch sprechen, erlaubt den Menschen heute zu erkennen, woher sie kommen. Ich glaube, es ist an uns, die Leute daran zu erinnern, dass die Sprache zu ihren Wurzeln gehört und zu ihrer Kultur - und dass die Sprache sogar ein kleiner Teil ihrer Seele ist", sagt Vogel.

Die Anhänger der Regionalsprachen haben im Sommer einen Etappensieg gefeiert: Frankreichs Abgeordnete nahmen den Schutz der Minderheitensprachen in die Verfassung auf. Von diesem Schritt erhofft sich Justin Vogel in erster Linie eine symbolische Wirkung.