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Fokus Europa

Kirstin Hausen25. Dezember 2008

Italiens Justizapparat ist völlig überlastet und europaweit einer der langsamsten. Doch was Silvio Berlusconi jetzt als Justizreform verkauft, ähnelt eher einer persönlichen Abrechnung mit Richtern und Staatsanwälten.

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Silvio Berlusconi (17.3.2007/AP)
Italiens Regierungschef Berlusconi fühlt sich von den Gerichten verfolgtBild: AP

Die Blumenhändlerin Cristina Nava hat am eigenen Leib erfahren, wie langsam die Mühlen der Justiz in Italien mahlen. In ihrem Blumenhäuschen - mit Dach, Fenstern und einer Tür - pfeift überall der Wind durch. Nava hat aber nicht genug Geld, um den Schaden auf eigene Rechnung zu reparieren.

Verteidigung mit Verlangsamungstaktik

Justitia - Göttin der Gerechtigkeit
Berlusconi und die Justizia verbindet keine FreundschaftBild: bilderbox

An dem Häuschen sind sie Scheiben zersplittert und die Stützpfeiler eingedrückt, seit ein Auto den Stand im April 2004 gerammt hat. Die Schuldfrage war schnell geklärt, aber der Verteidiger des Autofahrers brachte mit seinen Einwürfen den Prozess immer wieder ins Stocken. Christina Nava kann nicht verstehen, warum die Anwälte den Fall nicht schneller regeln konnten.

Fast fünf Jahre gehe das jetzt schon. "Alle, die unseren Stand sehen und denen wir unsere Geschichte erzählen, können es nicht glauben, dass wir nach all den Jahren noch keinen Cent bekommen haben," erklärt die Blumenhändlerin.

Sizilianer müssen warten

Die durchschnittliche Prozessdauer liegt bei fünf bis acht Jahren, je nach Region. Am längsten warten statistisch gesehen die Sizilianer auf ein Urteil. Die Schuld liegt nach Meinung des Staatsanwalts Antonio Ingroia beim Gesetzgeber.

All das, was unter dem Namen Reform in den vergangenen Jahren eingeführt worden sei, habe genau das Gegenteil bewirkt. Recht gesprochen werde immer später und oft auch gar nicht mehr, weil die Straftat dann verjährt sei, so der Anwalt. "Dass die Verjährungsfristen verkürzt wurden, während die Prozesse in Italien immer länger dauern, zeigt doch, dass man im Grunde das Gegenteil von dem erreichen will, was nötig wäre."

Ärger für den Staatsanwalt

Richter vor einem Aktenstapel (29.8.07/dpa)
Berlusconi will die Staatsanwälte an die Kandare nehmenBild: picture-alliance /dpa

Ingroia ist seit 1987 einer der erfolgreichsten Staatsanwälte Italiens. Er hat hunderte Mafiosi hinter Gitter gebracht und Politiker, die mit ihnen gemeinsame Sache machten. Statt Lob und Anerkennung hat ihm das eine Menge Ärger eingebracht.

"Als ich anfing, war in Italien gerade eine große Medienkampagne im Gange, die die Richter und Staatsanwälte, die gegen die Mafia ermittelten, angriff und ihnen vorwarf, sich zu Sheriffs der Justiz aufzuschwingen und ihren Beruf zu benutzen, um Politik zu machen", erinnert sich Ingroria. Im Vergleich zu damals habe sich nichts geändert. 20 Jahre später seien die Richter wieder unter Beschuss.

Anwälte an der Kandare

Diesmal ist die Lage allerdings noch ernster. Silvio Berlusconi hat angekündigt, mit seiner Parlamentsmehrheit sogar die Verfassung ändern zu wollen, um die Staatsanwälte an die Kandare zu legen. Denn um nichts anderes handelt sich bei seiner sogenannten Justizreform.

"Das ist ein heikles Thema, aber wir finden zum Beispiel, dass die geplante Trennung der beruflichen Laufbahn von Richtern und Staatsanwälten, wie es sie in vielen anderen Ländern gibt, in Italien sehr gefährlich wäre", sagt Ingroia. Die Staatsanwälte würden dann nämlich näher bei der Polizei stehen als bei der Justiz und die Polizei untersteht der Regierung. Es besteht das Risiko, dass auch die Staatsanwälte unter politische Kontrolle geraten, weil sie dann nämlich dem Justizministerium unterstellt würden. "Wir sind dagegen, weil wir davon überzeugt sind, dass der Reformbedarf ganz woanders besteht."

Schützenhilfe von Mediaset

Mit "wir" meint Antonio Ingroia sich und die Kollegen von "Magistratura democratica" , einem von mehreren Berufsverbänden der italienischen Richterschaft. Seit Jahren prangern sie Berlusconis Methode, sich mit Gesetzesänderungen die Richter vom Hals zu schaffen, als undemokratisch an. In den italienischen Medien finden sie damit nur mäßig Gehör. Das Thema ist alt. Und delikat für die Fernsehsender des Mediaset-Imperiums des Regierungschefs.

"Berlusconi verbreitet doch mithilfe seiner Medien die Botschaft, dass seine Gesetze richtig sind", sagt dieser Jura-Student und zuckt resigniert die Achseln. Sein persönliches Vorbild ist Antonio di Pietro, der als Staatsanwalt die Mailänder Schmiergeldskandale der neunziger Jahre aufdeckte und heute als Chef der Oppositionspartei "Italien der Werte" politisch Front macht gegen Berlusconi und seinen erneuten Angriff auf die Justiz.