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"Kinder! macht Neues!"

Dieter David Scholz7. November 2001

125 Jahre Bayreuther Festspiele - 50 Jahre Neubayreuth

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Folge 7: Nacht über Bayreuth
Kriegsfestspiele - Zusammenbruch

Bayreuther Festspiele in den Kriegsjahren - ein besonderes Kapitel! Schon seit der Jahrhundertwende haben in Bayreuth konservative und völkische Tendenzen einem nationalsozialistischen Wagnerkult Vorschub geleistet.
Die Zeiten waren bekanntermaßen in Deutschland schlecht. Auch die Bayreuther Festspiele waren in ihrer materiellen Existenz gefährdet. Nur dank Adolf Hitlers persönlichem - auch finanziellem - Einsatz für Wagner und das Bayreuther Festspielunternehmen gelang es Winifred Wagner, der Chefin am Grünen Hügel, bis zuletzt ein hohes künstlerisches Niveau zu halten.

Max Lorenz sang in einer - auch ansonsten glänzend besetzten - "Meistersinger"-Aufführung des Jahres 1943, den Walther von Stolzing. Dirigiert wurde sie vom berühmtesten deutschen Dirigenten im Dritten Reich, Wilhelm Furtwängler, einem Liebling Hitlers und der Seinen. Bayreuth setzte einen letzten Höhepunkt in den Kriegsjahren. Es war ein Aufbäumen vor dem Untergang. Siegfrieds Sohn Wieland hatte die Bühnenbilder entworfen, ganz traditionell, um nicht zu sagen konservativ, noch nichts wies auf den späteren Bilderstürmer und Entrümpler der Bayreuther Szene hin, der er einmal werden sollte.
Aufgrund der kriegsbedingten Besetzungsprobleme wurde der Chor der Aufführung mit Mit-gliedern der "Viking"-Division von Hitlers berüchtigter Spezialtruppe, der SS, aufgefüllt. Mit SS-Truppen, die auf der Bühne sangen und die einladenden Fanfaren vom Balkon des Festspielhauses erschallen ließen, sank das Bayreuth des Dritten Reiches auf seinen moralischen Nullpunkt! Richard Wagners Schwiegertochter Winifred Wagner - die Festspielleiterin - war mit Hitler verbündet. Ihre Söhne Wieland und Wolfgang bereiteten sich bereits auf ihre kommenden Tätigkeiten in Bayreuth vor. Vor allem Wieland galt als der künftige Festspielleiter. Hitler hielt ihn für die Zukunft Bayreuths. Einzig Wielands und Wolfgangs Schwester Friedelind, das enfant terrible der Familie, bezog kritische Distanz zur Hitlerei ihrer Mutter und floh vor den Anfeindungen der Nazis und dem mütterlichen Psychoterror ins Exil in die USA, wo sie aus ihrer kritischen Haltung gegenüber den Bayreuther Zuständen keinen Hehl machte.
Nicht erst mit ihrem 1945 erschienenen Buch "Nacht über Bayreuth", sondern schon 1942, als sie in einer im Rundfunk übertragenen Tannhäuser-Aufführung der Metropolitan Opera in New York, die Arturo Toscanini dirigierte, am Vorabend des 59sten Todestages ihres Großvaters, Richard Wagners, eine flammende Rede an die deutschen Hörer hielt:

Friedelind Wagner: "Ich habe Deutschland nicht leichthin verlassen, und bin erst fortgegangen, als die mörderischen Absichten des augenblicklichen deutschen Regimes klar am Tage lagen. Und selbst dann noch habe ich mich gefragt, wie würde mein Großvater, wie würde Richard Wagner gehandelt haben an meiner Stelle. Wäre er geblieben? Hätte er sich den Nazis zur Verfügung gestellt? Hätte er ihre Untaten gedeckt mit seinem Namen, der auch der meine ist? Kein Zweifel ist möglich! Richard Wagner, der die Freiheit und die Gerechtigkeit mehr geliebt hat als selbst die Musik, hätte in Hitlers Deutschland nicht atmen können. Unter seinen Schriften und Aussprüchen gibt es viele, die das beweisen. Hören Sie, was er sagte: Ich würde mit Freuden alles dahingeben und vernichten, was ich je geschaffen habe, wenn ich wüßte, daß dadurch die Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt gefördert würden. Das hat er gesagt. Niemals hätte er gemeinsame Sache gemacht mit den Zerstörern aller Freiheit und Gerechtigkeit in Deutschland und Europa. Niemals! Mein Großvater ist tot und kann den Mißbrauch nicht wehren. Und Hitler, der Gotteslästerer, lästert Wagner, indem er ihn zu seinem Liebling macht."

Zurück zum Bayreuther Festspielhaus.
Baupolizeiliche Mängelrügen veranlassten 1936 Überlegungen zur Sanierung des Fest-spielhauses. Sie arteten in ein monströses Vorhaben aus, mit dessen Planung Hitler persönlich den Architekten Rudolf Mewes beauftragte. Auf dem Festspielhügel sollte eine Art Wagner-Akropolis entstehen, ein riesiger klassizistisch angehauchter, im nationalsozialistischen Stil projektierter Komplex von mäanderartig an das Festspielhaus angebauten Flügeln mit Mu-seum, Archiv, Restaurationsgebäuden und Vortragssaal. Im Zentrum das Festspielhaus. Bühne und Zuschauerraum sollten vergrößert werden. Das neue Festspielhaus wollte man dann mit einer "Tannhäuser"-Inszenierung Wielands eröffnen. Gottlob ver-hin-derte der Kriegsausbruch die Realisierung des Vorhabens.

1937 gab Wieland Wagner mit einer "Parsifal"-Neuproduktion sein wenig spektakuläres Debüt als Bühnenbildner. Der Dirigent übrigens dieser Aufführung war kein Geringerer als der Komponist Richard Strauss, ein vorzüglicher Dirigent und der international geachtete Vorzeigekomponist des Dritten Reiches. Er war zeitweise auch Präsident der "Reichsmusikkammer" und keineswegs der unpolitische Komponist, als der er auch heute noch gern hingestellt wird.

Nach Kriegsausbruch 1939 sah es die Festpielchefin Winifred als selbstverständlich an, keine Festspiele mehr abzuhalten. Sie bereitete sich darauf vor, das Festspielhaus zu schließen. Hitler inter-venierte und bestand darauf, dass die Festspiele weiterhin stattfänden. Und so schuf er 1940 die soge-nann-ten "Kriegsfestspiele", zu denen nicht mehr die Öffentlichkeit Zugang hatte, sondern nur Personen, die "des Führers Gäste" genannt wurden. Das waren Angehörige des Militärs und Arbeiter in der Kriegsindustrie, die als Belohnung für patriotischen Dienst kostenlos nach Bayreuth gebracht wurden. Die Verwaltung dieser Kriegsfestspiele wurde der nationalsozialistischen Massenorganisation "Kraft durch Freude" unterstellt. Die Festspiele gerieten zu einer grotesken wie lächerlichen Propagandaveranstaltung: kulturell ungebildete und uninteressierte Parteioffizielle, erschöpfte Arbeiter, die sich keineswegs alle für Wagner interessierten und zunehmend auch verwundete Soldaten, die eher bei ihren Familien sein wollten, bevölkerten das Festspielhaus. Der Grüne Hügel soll zeitweise einer Krankenstation geglichen haben.

Diese "Festspielgäste" wurden in Gruppen im Reichsmusikzug nach Bayreuth transportiert, marschierten vom Bahnhof aus in Kasernen, wo sie untergebracht und verpflegt wurden. Am nächsten Morgen hatten sie sich am Festspielhaus zu versammeln, wo man sie mit Propagan-damaterial versorgte und ihnen Gutscheine für Bier, Zigaretten und eine Aufführung aushändigte. Danach reisten sie wieder ab. Ein gespenstisches Ritual. Die ideologische Manipulation war perfekt. Dem Publikum der Meistersinger erklärte man, das Werk erfülle jeden, der es sehe, mit einem Gefühl für die heilige Mission der deutschen Kultur und inspiriere alle, mit neuem Enthusiasmus an die Front oder in die Fabrik zurückzugehen, um mit seinem Beitrag die "internationale plutokratische bolschewistische Verschwörung" zu zerschlagen, wie es hieß.
Die Propagandamaschine der "Kriegsfestspiele" lief auf Hochtouren. Hitler selbst besuchte Bayreuth allerdings nur einmal während des Krieges, im August 1940, nach der Eroberung Frankreichs, als er sich auf dem Rückweg nach Berlin befand. Er machte in Bayreuth halt und sah sich - Ironie der Ereignisse - die Götterdämmerung an.

Dass der Name Richard Wagner nach 1945 häufig in einem Atemzug mit dem Nationalsozialismus genannt wurde, ist verständlich. Fast 12 Jahre lang wurde mit großem Aufwand die Identifikation der Nationalsozialisten mit dem Werk Wagners propagiert, auch wenn es dabei, genau betrachtet, um einen mißbrauchten Wagner "auf der Stufe der Verhunzung" ging, um mit Thomas Mann zu reden. Aber wen kümmerte das schon. Um so mehr hat es den heutigen Wagner-Rezipienten zu interessieren. Man lasse sich nicht täuschen von der nationalsozialistischen, und schon gar nicht von der postnationalsozialistischen "Wagner-Lüge". Es gilt im Sinne historischer Gerechtigkeit und wissen-schaftlicher Redlichkeit zu unterscheiden zwischen Werk und Wirkung. Es geht schließlich um nicht weniger als die Frage historischer Vorläuferschaft und um die moralische Verantwortlichkeit Richard Wagners. Der israelische Historiker Jakob Katz macht völlig zurecht, auf Hartmut Zelinsky zielend, der ja noch heute Wagner aus der Perspektive Hitlers deuten zu müssen glaubt, darauf aufmerksam: "Die Deutung Wagners "aufgrund der Gesinnung und der Taten von Nachfahren, die sich mit Wagner identifizierten, ist ein unerlaubtes Verfahren. Es handelt sich bei dieser Unterstellung um eine Rück-atierung, ein Hineinlesen der Fortsetzung und Abwandlung Wagnerscher Ideen durch Chamberlain und Hitler in die Äußerungen Wag-ners selbst" .

Jakob Katz ist nichts hinzuzufügen. 1944 gab es übrigens noch einmal, zum letzten Mal Festspiele in Bayreuth, es waren die letzten Kriegsfestspiele, und die letzte Stunde des nationalsozialistischen Bayreuth-Kapitels hatte geschlagen. Auch wenn Hitler seit 1940 nicht mehr in Bayreuth gewesen war, hielt er engen telefonischen Kontakt mit Winifred auch noch aus dem Berliner Führerhauptquartiers-Bunker. Selbst nach der Juli-Verschwörung 1944, als alles um ihn herum in Schutt und Asche versank, glaubte Hitler noch an Festspiele 1945. Wieland suchte ihn noch im Januar 1945 in seinem Berliner Bunker auf, um ihn um die Herausgabe der Wagner-Originalmanuskripte und Partituren zu bitten, die man in Bayreuth in Sicherheit bringen wollte. Aber Hitler lehnte ab.

Die Ereignisse überschlugen sich. Bayreuth blieb von Luftangriffen der Amerikaner nicht verschont, wenn sie auch erst kurz vor Kriegsende die fränkische Stadt beträchtlich zerstörten. Die Villa Wahnfried wurde schwer beschädigt. Winifred schaffte wertvolle Gegenstände, Richard Wagners Bibliothek, Gemälde, und Archivmaterial in Sicherheit, schließlich brach die öffentliche Ordnung im bombardierten Bayreuth zusammen. Im Festspielhaus wurde eingebrochen, Kostüme wurden gestohlen, es wurde berichtet, kilometerweise hätte man deutsche Flüchtlinge im einen oder anderen Wagnerkostüm gesehen. Am 14. April 1945 nahm eine amerikanische Panzerkolonne die Stadt ein. Die Kapitulation stand bevor, das Kriegsende und das Ende einer unseligen, ja man muß wohl sagen, der unselig-sten Epoche der Bayreuther Festspiele. Ob sie je wieder würden aufgenommen und fortgesetzt werden können, stand damals in den Sternen. Vorerst war daran nicht zu denken.