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"Kinder! macht Neues!"

7. November 2001

125 Jahre Bayreuther Festspiele - 50 Jahre Neubayreuth

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Folge 6: Bayreuth im "Dritten Reich"
Winifreds Anbiederung an Hitler - Hitlers Wagner-Missbrauch

Längst war der Grüne Hügel des Bayreuther Festspielhauses zum Schauplatz von Parteiprominenz und Hakenkreuz-Fahnenwäldern geworden. Die "Meistersinger" waren inzwischen auch die reichsoffizielle Repräsentationsoper der Nationalsozialisten, spätestens seit der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 13. März 1933 an der Berliner Staatsoper die feierliche Eröffnung des neuen Reichstages mit einer Galaaufführung der "Meistersinger" adelte und das Werk, ausgerechnet Wagners demokratischste Oper, zur heimlichen Nazi-Hymne ummünzte.
Für Siegfried Wagners Ehefrau Winifred, die Schwiegertochter Richard Wagners und Leiterin der Festspiele nach Siegfrieds Tod im Jahre 1930, war der Wagnerismus Hitlers will-kommene Schützenhilfe. Seit dem Ende des ersten Weltkriegs sah die materielle Situation der Bayreuther Festspiele keineswegs rosig aus. Gleichwohl lief die Propagandamaschinerie in Sachen Wagner auf vollen Touren.

Im Januar 1933 waren die Nationalsozialisten an die Macht gekommen. Innerhalb weniger Wochen wurden die Opernhäuser und Konzertsäle von Parteigenossen geführt. Kultur wurde gleichgeschaltet und zu einem Propagandamittel, ja einer "Waffe des Staates" umfunktioniert. Zum größten Helden des neuen Dritten Reiches wurde, passender Weise fiel sein fünfzigster Todestag ins Jahr 1933, Richard Wagner erklärt. Hitler nützte die Gelegenheit, in Leipzig eine grandiose Gedenkzeremonie zu inszenieren. Schon zwei Wochen, nachdem er Kanzler geworden war, hatte er sich Wagner angeeignet und ihn zum Propagandamittel seiner Politik herabgewürdigt.

Schon von den völkischen Wagnerianern im Umkreis der Wagner-Witwe Cosima wurde Wagner biographisch verklärt und politisch vereinnahmt. Er wurde idolisiert zum Religions-gründer eines germanischen, antisemitischen, völkischen Christen- und Deutschtums. Damit machten sich die Autoren des Bayreuther Kreises zu den geistigen Wegbah-nern des Nationalsozialismus. Einer der maßgeblichen Vermittler dieses nationalistisch-antisemitischen Wagner-bildes war der Kul-tur-kritiker englischer Abstammung Houston Steward Cham-berlain, der Wagners Tochter Eva 1908 heirate, damit zu des toten Wagners Schwieger-sohn wurde und unmittelbaren Zu-gang zum Wagnerclan erhielt. Er wurde der innigste Vertraute Cosimas während ihrer letzten Jahrzehnte. Chamberlains Wag-nerbuch wurde zur "Heiligen Schrift" deutsch-nationaler Wagnerianer und verbreitete den Glauben an Wagner als "künstlerischen Seher", als Reformator der deut-schen Kultur, als rassistischen Antisemiten und Propheten einer nordisch-deutschen Weltan-schauung. Die weitreichende Wirkung dieses Buches und zahlreicher weiterer Wagner-Publikationen des Autors kann gar nicht überschätzt werden. Um mit Chamberlains Worten zu sprechen:

"Das Festspielhaus von Bayreuth ist ein Kampfsymbol, eine Standarte, um welche sich die Getreuen kriegsgerüstet sammeln".

Chamberlain begriff sich als Vorkämpfer eines vermeintlichen "Bayreuther Gedankens", der indes kaum mehr etwas mit Wagners Gedanken gemein hatte, umso mehr mit denen der völkischen Wagner-Erben und -Exegeten in Bayreuth. Houston Stewart Chamberlain hatte die Brücke vom Hause Wagner zu Adolf Hitler geschlagen und Wagners anti-jüdische Haltung ins kämpferisch-unversöhnliche Extrem verkehrt: Christus wie Parsifal wurden von Chamberlain zu bei-spielhaften "Ariern" erklärt: Nur Reinrassigen leuchte der Gral! Mit Wagners Vorstellungen hatte das allerdings nichts mehr zu tun.

Chamberlain redete einer nordisch-deutschen Rasse das Wort, zu deren künstlerischem Seher er Wagner er-klärte. Damit hatte er den Grundstein gelegt für die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie in dem berüchtigten Buch des Nazi-Propagandisten Alfred Rosenberg, "Der Mythus des 20. Jahrhunderts", entwickelt wurde. In ihm wurde Wagner als Verkünder einer germanischen Volksreligion gefeiert,...

"... in der das nordi-sche Schönheitsideal mit dem Wesen der nordisch-abend-ländischen Seele gepart ist. -Die Wagnersche Kunst kündigt das Morgenrot eines neuen, wiedererstehenden Lebens an".

Die Sonne dieses Morgenrots ging 1933 auf, als Hitler Reichskanzler wurde. Auch in den offiziellen Bayreuther Festspielführern des Dritten Reiches wurde Wagner zum Beispiel von einem Autor namens Otto Tröbes "als ein Wegbahner ins Dritte Reich" apostrophiert.

Der nationalsozialistische Wagner-Kult war verordnet von oben, denn Wagner war das persönliche Idol, der musikalische Abgott Adolf Hitlers seit dessen Jugend. Als Hitler an die Macht kam, wurde aus des Führers Stecken-pferd Kulturpolitik. Wagner wurde für die Sache des Nationalsozialismus vereinnahmt, wie ja auch Goethe, Schiller und Nietzsche, Beethoven, Bruckner, Bach und Mozart. Im Sinne dieses Wagner-Missbrauchs entstand schließlich eine Flut von Wagner-Literatur, die nicht müde wurde, Wag-ner zum Propheten der nationalsozialistischen Weltanschauung, Wagners Musik zur "Staatsmusik" des Dritten Reiches zu er-klären.

Hitler und die Seinen weideten sich an den Helden Wagners, identifizierten sich mit ihnen, zumindest partiell, denn ih-ren Untergang ignorierten sie geflissentlich. Der Untergang Siegfrieds aufgrund seiner Verstrickung in politische Machtspiele und Intrigen, deren Ursache der Größenwahn eines Machtbesessenen, eines "Führers" ist, das zur Schau ge-stellte Scheitern, ja die demonstrative Vernichtung eben jenes Machtmenschen Wotan, das dürfte wohl kaum dem Selbstverständnis der Hitlerianer entsprochen haben! Eben sowenig wie des machbesessenen Rienzi Fall! Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet Adolf Hitler in Wagners frühem Opernhelden "Rienzi", den er mit 17 Jahren in einer Linzer Aufführung im Jahre 1906 zum ersten Mal sah, sein Vorbild zu erkennen glaubte. Immerhin kommt Rienzi als verblendeter Poli-tiker, von politischen Visio-nen beflügelt, vom Machtrausch und dem Jubel der wankelmütigen Masse verführt, am Ende zu Fall. Seine Utopie erweist sich als Illusion mit zerstörerischen, ja selbst- und volksmörderischen Folgen. Das aber kann Hitler wohl kaum wahrgenommen haben! Die Parallelität Rienzis und Adolf Hitlers liegt, aus heutiger Sicht betrachtet, indes auf der Hand: beide sind sie von ihren utopischen Visionen und Machtleidenschaften verführt worden. Beide erlebten ein anderes Ende, als sie es sich erträumten. Auch Rienzi verflucht schließlich nach seinem Niedergang das eigene Volk und hinterlässt nichts als Elend und verbrannte Erde. So wie Rienzi in den Trümmern des Kapitols, endete Hitler unter den Trümmern der brennenden Reichskanzlei. Ersterer aller-dings als Held, letzterer als barbarischer Paranoiker, als Verbrecher und Größenwahnsinniger.

Franz Völker, einer der strahlendsten und kultiviertesten Wagner-Tenöre der 30er und 40er Jahre, war nicht nur in Bayreuth, sondern auch an der Berliner Staatsoper einer der Stars des Wagnergesangs. Trotz der Vertreibung vieler jüdischer oder aus sonstigen Gründen für den NS-Staat unliebsamer Künstler erlebte der Wagnergesang im Dritten Reich noch einmal eine Blütezeit.

Mit dem Geist des Dritten Reiches hatte Wagner eben sowenig gemein wie Goethe oder Schiller, Kleist oder Beethoven, die ja ebenfalls als Galionsfiguren der nationalsozialisti-schen Kulturpolitik missbraucht wurden. Wagner stand Hitler nur chronologisch gesehen näher. Und es gab gewisse Anknüpfungspunkte, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dass Hitler übrigens von Wagners Musik, wie von Musik an sich, im Grunde nicht viel verstanden hat, bezeugen zahllose Zeitzeugen. Musik war ihm wohl nicht viel mehr als ein überaus wirkungsvolles aku-stisches Mittel zur Steigerung theatralischer Effekte.

Die "Meistersinger", beliebteste Repräsentationsoper des Dritten Reiches, ist - gröbstem Missbrauch zum Trotz - nicht mehr und nicht weniger als die Utopie einer demokratischen, einer ästhetischen Weltordnung, in der der musikalischen Avantgarde das Wort geredet wird.