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Menschenhandel in Serbien: Vom Transitland zum Brennpunkt

14. Februar 2008

Jahrelang war Serbien vor allem Transitland für Frauenhandel, doch heute werden zunehmend auch junge serbische Frauen Opfer von Menschenhandel. In Belgrad versucht das Tageszentrum Astra, den Opfern zu helfen.

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Schwierige Reintegration der OpferBild: AP

Mehr als 2.000 Fälle von Menschenhandel gab es in den letzten fünf Jahren in Serbien. Die Zahl ist geschätzt und hört sich erst einmal bescheiden an in einem Land mit fast 7,5 Millionen Einwohnern. Doch sind es wie überall auf der Welt mehr als 2.000 Frauen-Schicksale, die sich nach dem immer gleichen Muster vollziehen. Von falschen Jobangeboten ins Ausland gelockt, von der eigenen Familie oder dem festem Freund an Menschenhändler verkauft, werden in dem Balkanland immer mehr junge Frauen, meistens im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, zur Prostitution gezwungen.

Erfolgreiche Jahresbilanz

In Belgrad versucht das Tageszentrum Astra, den Opfern zu helfen. Jadranka Veljovic sitzt an dem großen Tisch im hell eingerichteten Zimmer einer ehemaligen Wohnung in einem Reihenhaus in Zentrum Belgrads und erzählt: „Vor einem Jahr haben wir das Tageszentrum hier eröffnet und bis jetzt viel Erfolg damit gehabt. Alles, was man hier sieht, haben die Mädchen selber gemacht. Wie diese Latschen zum Beispiel. Hier werden kreative Workshops organisiert, Fremdsprachenkurse, Malkurse usw. Sie arbeiten kreativ. Und bekommen natürlich auch psychologische Hilfe.” Das Tageszentrum Astra bietet den Frauen nicht nur psychologische und ärztliche Hilfe, sondern auch Geld für Essen, Kleidung, Unterkunft etc.

Hohe Dunkelziffer

Astra ist die serbische Abkürzung für Aktion gegen Menschenhandel. Die Organisation ist die wichtigste ihrer Art in Serbien. Sie hilft jungen Frauen, die Opfer von Menschenhandel waren, wieder im Leben Fuß zu fassen. Jadranka Veljovic ist Koordinatorin der Organisation Astra. In den nunmehr sechs Jahren, in denen es Astra gibt, habe die Organisation allein in Serbien 260 Opfer identifiziert. Die tatsächliche Zahl ist wahrscheinlich zehn Mal so hoch, meint die Koordinatorin. Mit eingerechnet seien sowohl ausländische als auch serbische Staatsbürgerinnen. „In den letzten drei bis vier Jahren ist die Zahl der Einheimischen gestiegen. Früher waren die meisten Frauen Ausländerinnen aus Ländern wie die Republik Moldau, Russland, Ukraine, Italien. Die steigende Zahl der Serbinnen ist mit verstärktem internen Handel zu begründen. Die Grenzen werden viel strenger überwacht”, erklärt Jadranka Veljovic.

Vom Transit- zum Herkunftsland

Jahrelang war Serbien vor allem ein Transitland für die Menschenhändler und deren Opfer. Tausende Soldaten der internationalen Friedenstruppen in Bosnien und Kosovo sollten mit Prostituierten aus aller Welt versorgt werden. Nicht alle sind freiwillig in die Bordelle und Striptease-Bars auf dem Balkan gekommen. Immer wieder berichteten Belgrader Medien, wie junge Frauen aus Osteuropa einen Ausweg aus der Armut gesucht haben und dabei Menschenhändlern in die Hände gefallen sind. Ihnen wurden Jobs als Au Pair oder Kellnerin in Griechenland oder Deutschland versprochen. Einmal in den Fängen der Verbrecher, wurden sie durch wiederholte physische und psychische Misshandlung zu Sexsklavinnen in Serbien und den Nachbarländern.

Nachfrage auf innerserbischem Markt

In den letzten Jahren kommen die Opfer vermehrt aus Serbien. Zwar werden junge Frauen vor den Gefahren der unseriösen Jobs im Ausland gewarnt. Doch die Frauen glauben eher den Versprechungen der vermeintlichen Arbeitgeber, wenn die angebotenen Stellen in Serbien sind. So hat sich in den letzten Jahren ein innerserbischer Markt entwickelt. Zum Beispiel wurde in der südwestlichen Stadt Novi Pazar im Dezember ein illegaler Nachtclub entdeckt, in dem zwei Frauen aus nordserbischen Dörfern eingesperrt und zur Arbeit gezwungen wurden – als Prostituierte, Putzhilfe und Tellerwäscherinnen. Sie wurden zwei Jahre lang gefangen gehalten. Als Mitglied des Menschenhändlerrings wurde auch ein örtlicher Staatsanwalt angeklagt.

Mühsamer Fortschritt in Strafverfolgung

Jadranka Veljovic von der Aktion gegen den Menschenhandel betont indes die eigentlich gute Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz, moniert aber: „Es gibt Urteile. Es gibt laufende Prozesse, und viele sind beendet. Oftmals werden rechtskräftige Urteile aber nicht vollstreckt. Einige rechtskräftig verurteilte Menschenhändler sind noch auf freiem Fuß. Und die Verurteilten müssen lediglich zwei oder drei Jahre ins Gefängnis.” So will es das serbische Gesetz. Im Vergleich ist es jedoch schon ein Fortschritt, da Menschenhandel erst seit fünf Jahren ausdrücklich als Straftat anerkannt ist. „Der entsprechende Artikel wurde eigentlich erst 2006 in vollem Umfang eingeführt. Den gab es zwar ab 2003, doch damals wurde Menschenhandel nicht als spezielles Verbrechen behandelt, sondern in einen Topf mit illegaler Migration geworfen”, sagt Veljovic.

Kinder vermehrt Opfer von Menschenhandel

Opfer des Menschenhandels in Serbien, so Veljovic, sind nicht nur Frauen, sondern immer öfter auch Kinder, die zu Sex, aber auch zu Diebstahl oder zum Betteln gezwungen werden. Schätzungen zufolge verdient der Verbrecher beim ersten Verkauf eines Kindes oder einer Frau auf dem Balkan zwischen 500 und 2.500 Euro. Da die meisten Opfer mehrmals verkauft werden, lohnt sich das Verbrechen Menschenhandel finanziell.

Die Frauen werden meist erst durch Polizeirazzien aus der Sklaverei befreit. Einige schaffen es aus eigener Kraft, einige mit Hilfe anderer Menschen. Von denen, die es nicht schaffen, gibt es keine Statistiken. Doch die offiziellen Zahlen sind mit Sicherheit viel zu niedrig, betont Astra-Koordinatorin Jadranka Veljovic.

Filip Slavkovic