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'Christentum nervt'

Das Interview führte Steffen Leidel 11. September 2007

Für Hans Küng ist Religion heute wieder ein Machtfaktor. Besonders viel Zulauf hat der Islam und der Buddhismus, nicht aber das Christentum. Im DW-WORLD-Interview spricht der streitbare Theologe über die Gründe.

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Der Theologe Hans Küng im Haus der Stiftung Weltethos in TübingenBild: Steffen Leidel

DW-WORLD.DE: Herr Professor Küng, religiöse Themen stoßen heute wieder auf enormes Interesse bei den Menschen, nicht nur in Deutschland. Kann man von einer Rückkehr der Religionen sprechen?

Teheran im Februar 1979: Einen Tag nach seiner Rückkehr aus dem Exil wird der schiitische Geistliche Ayatollah Chomeini von seinen Anhängern bejubelt
Teheran im Februar 1979: Ayatollah Chomeini ist zurück aus dem ExilBild: AP

Hans Küng: Rückkehr der Religionen - das ist ein ambivalenter Begriff. Religion war ja nie verschwunden. Wie auch die Musik, ist Religion etwas, das bleibt, auch wenn es eine Zeit lang verdrängt wird. Richtig ist, dass seit dem Neuerwachen des Islam, seit der Begründung der islamischen Republik Iran im Jahr 1979, den Europäern bewusst geworden ist, dass sie die Welt nicht allein bestimmen. Im säkularisierten Europa hatte man lange nicht wahrgenommen, dass man ein Sonderfall ist und dass Religion anderswo eine Macht ist.

"Kein Friede unter den Nationen ohne Friede zwischen den Religionen! Kein Friede zwischen den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen!" Zwei Kernsätze des von Ihnen formulierten Prinzips des Weltethos. Im Zeitalter der Globalisierung gibt es durch das Internet ungeahnte Kommunikationsmöglichkeiten. Der Zugang zu Wissen ist leichter als je zuvor. Kann diese Entwicklung den Dialog der Religionen verbessern?

Im Prinzip würde ich ja sagen, auch wenn es sicher eine Menge Probleme bringt. Es ist positiv, dass wir heute gut Bescheid wissen können über die anderen Religionen. Eine andere Frage ist natürlich, ob man denn Bescheid wissen will. Es gibt Leute, die wollen das nicht, die wissen schon alles vorher, ohne dass sie den Islam studiert haben.

Wer will das nicht wissen?

Das sind zum einen fundamentalistische Christen, die die Bibel wortwörtlich nehmen und die sagen, sie bräuchten die anderen Religionen nicht. Es können aber auch sehr säkularistische Leute sein, Dogmatiker des Laizismus. Die werden schon rot, wenn überhaupt das Wort Religion auftaucht und meinen, darüber bräuchte man in der Schule nicht zu reden. Die haben Schwierigkeiten damit, dass Religion wieder einen Machtfaktor in der Weltgeschichte darstellt.

Laut einer repräsentativen Umfrage ist das Christentum nicht mehr die Religion, die den Deutschen am sympathischsten ist, sondern der Buddhismus. Wie erklären Sie sich das?

Der Buddhismus wird im Westen als frei von Dogmen wahrgenommen, als Religion ohne viele Vorschriften. Es ist eine Religion, die nach innen gekehrt ist, die auf Meditation Gewicht legt, die kein allzu anthropomorphes, zu konkretes Bild hat von der letzten Wirklichkeit. Das andere ist, dass das Christentum mit seiner Machtkonzentration vielen auf die Nerven geht. Wenn wir einen Papst haben, der ständig groß in Erscheinung tritt, der als geistlicher Herr der Welt den Anspruch erhebt, nur wer mit ihm ist, ist ein wahrer Christ, nur seine römisch-katholische Kirche ist die wahre Kirche, dann geht das vielen auf die Nerven. Und auch wenn sie nicht öffentlich protestieren, so werden sie sich abwenden und sagen, damit möchte ich nichts zu tun haben.

Der Dalai Lama bei seiner Deutschlandreise in Freiburg
Der Dalai Lama ist im Westen für viele Menschen ein VorbildBild: AP

Kommen wir zurück zum Islam. Auf die Frage nach der "friedlichsten Religion" führt der Buddhismus mit 43 Prozent zu 41 Prozent vor dem Christentum; der Islam bringt es in dieser Aufstellung nur auf ein Prozent. Ist der Islam ein Feindbild im Westen?

Ja, der Islam ist zweifellos ein Feindbild im Westen, da man sich im Westen nur auf bestimmte Punkte des Islam konzentriert. Das gilt schon für die Geschichte. Europäer sehen die unter dem Gesichtspunkt des Vorrückens des Islam von Nordafrika bis Spanien zwischen dem 8. und 15 Jahrhundert und der Herrschaft der Osmanen auf Balkan. Man sieht dabei aber nicht, dass die Christen nicht nur die Kreuzzüge durchgeführt haben, sondern im 19. Jahrhundert sogar den gesamten islamischen Raum von Marokko bis zu den indonesischen Inseln kolonialisiert haben. Da entstehen Spannungen.

Sechstagekrieg
Der Sechs-Tage-Krieg wirkt bis heute nachBild: AP

Der Westen hat bis heute viele davon nicht gelöst. Das gilt vor allem für das Verhältnis zwischen den Palästinensern und Israel. Hätte man zum Beispiel Frieden geschlossen nach dem Sechs-Tage Krieg 1967, hätte es nie einen Bin Laden und auch keine Angriffe auf das World-Trade-Center 2001 gegeben. Stattdessen hat sich das Gefühl verbreitet, die Westler setzen sich sogar im heiligen Arabien fest, sie machen sich in Afghanistan breit, überall drängen sie sich vor, so dass sich Abwehrkräfte gebildet haben. Verzweifelte junge Leute haben dann zu den Mitteln des Terrors gegriffen. Selbstverständlich müssen wir Selbstmordattentäter und Anschläge verurteilen. Aber man muss sich überlegen, warum so viele junge Menschen so verzweifelt sind, dass sie für solche Attentate zur Verfügung stehen.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, warum es dem Papst so schwer fällt, Fehler einzugestehen und warum Hans Küng Verhandlungen mit der Hamas und den Taliban nicht grundsätzlich ablehnt.

Könnte die katholische Kirche mehr zur Lösung dieser Konflikte und zum Dialog der Religionen beitragen?

Man muss immerhin sagen, dass Johannes-Paul II. den Irak-Krieg deutlich abgelehnt hat, wie übrigens auch der Patriarch in Moskau, der Erzbischof von Canterbury, der Weltrat der Kirchen sowie der US-amerikanische Kirchenrat. Die Kirchen sind nicht mehr so leicht für den Krieg zu begeistern, wie das früher der Fall war. Selbstverständlich könnte mehr getan werden, vor allem an Aufklärung.

Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede in Regensburg
Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede in RegensburgBild: AP

Wenn der Papst in Regensburg den Islam auf eine Religion der Gewalt festlegen wollte, hat er selber gemerkt, dass das der falsche Weg ist. Man muss überlegen, welche Blutspuren Christen in der Geschichte hinterlassen haben. Da wird man bescheiden und wird nicht sagen, wir haben die Religion der Liebe und die haben eine Religion des Hasses. Auch der Großteil der Muslime in Ägypten, in Marokko, in Afghanistan oder in Pakistan möchte Frieden haben wie Sie und ich.

Glauben Sie, dass Papst Benedikt seine Rede in Regensburg als Fehler sieht? Man hat ja nicht gerade den Eindruck, dass er sich deutlich davon distanziert hat.

Er hat schon gemerkt, dass es ein Fehler war und er hat viel einstecken müssen. Er hat seine eigene Rede vielfach korrigiert. Es fällt natürlich Römern und auch dem römischen Bischof, dem Papst, sehr schwer, einen Fehler zuzugeben. Wenn man eine Unfehlbarkeitsideologie hat, dann macht man auch unfehlbare Fehler, die kann man natürlich nicht korrigieren. Es war aber doch deutlich, dass der Papst sich bei seiner Türkei-Reise größte Mühe gegeben hat, das schlechte Image, das er durch die Regensburger Rede bekommen hatte, wieder gut zu machen.

Auch wenn der Islam in Europa skeptisch gesehen wird, weltweit besitzt er für viele, gerade junge Menschen eine große Anziehungskraft. Es gibt 1,3 Milliarden Muslime, Tendenz steigend. Von Rabat bis Damaskus haben wir islamistische Gruppierungen, die politisch immer bedeutender werden. Woran liegt das. Spielen religiöse oder soziale Gründe eine Rolle?

Beides. Es sind religiöse Gruppen, die sich für die Menschen einsetzen. Viele Muslime in diesen Ländern haben das Gefühl, dass die regierenden Eliten ein Eigenleben führen und sich wenig ums Volk kümmern. Die fundamentalistischen, islamistischen Gruppen – oder wie auch immer Sie sie nennen wollen - sind sehr darum bemüht, etwas für die Leute zu tun. Sie kümmern sich um Schulen und Bildung, geben Kleidung und Nahrung.

Eine junge Hamas-Anhängerin
Eine junge Hamas-AnhängerinBild: AP

Warum hat denn die Hamas die Wahlen gewonnen? Weil sie sich eingesetzt hat für die Leute. Eine der größten Dummheiten der westlichen Politik – übrigens von der deutschen Politik mitgemacht – war, diese demokratischen Wahlen nicht anzuerkennen. Stattdessen kam man mit dem Zeigefinger: Ihr müsst Israel anerkennen! Sagen Sie das mal Leuten, die von einer Besatzungsmacht seit Jahrzehnten terrorisiert werden. Das ist nicht die Art und Weise, wie man Probleme löst. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es Parteien gibt, die unter Umständen den Islam als Grundlage haben, aber die sich halt für die Menschen einsetzen.

Ein besseres Beispiel haben Sie mit der Partei von Ministerpräsident Erdogan in der Türkei. Warum haben die gewonnen? Weil sie sich für Menschen eingesetzt haben. Sie haben gezeigt - bei allen Schwächen, die sie haben - dass sie das Land gewaltig vorangebracht und keineswegs einen islamischen Gottesstaat wie in Iran errichtet haben. Sie wollen eine Demokratie, sie möchten aber den Islam nicht wie unter Atatürk einfach in die rein persönliche Sphäre verbannen.

Sie haben die Türkei einmal als ein "Laboratorium für Demokratie" bezeichnet. Geht Glaube, Religion mit Demokratie zusammen?

Religion kann mit Demokratie zusammengehen. Die führenden Architekten Europas von Charles De Gaulle und Konrad Adenauer bis zu Robert Schuman und Alcide De Gasperi waren ja gläubige Christen. Dass der Islam derzeit mehr Probleme mit der Demokratie hat als das Christentum liegt daran, dass es im Islam im Gegensatz zu Christentum und Judentum keine Reformation und Aufklärung - außer in bestimmten Kreisen - gegeben hat. Wenn Sie da helfen wollen, müssen Sie die gemäßigten Kräfte unterstützen und die Radikalen isolieren. Das dümmste ist, mit Armeen gegen solche Leute vorzugehen. Das ist so dumm, wie wenn man gegen die Mafia mit Kampflugzeugen vorgehen würde.

Wie weit müsste denn die Verhandlungsbereitschaft mit radikalen Kräften gehen. Müsste man auch mit den Taliban oder El Kaida verhandeln?

Mit El Kaida können Sie nicht verhandeln. Das ist eine geheime Terrororganisation. Die kann man nur austrocknen. Doch der Westen hat sie so begossen, dass sie sprießen konnte. Die amerikanischen Geheimdienste haben doch unlängst in Geheimdokumenten eingeräumt, dass der Irak-Krieg El Kaida geholfen hat. Früher gab es keine El Kaida im Irak. Mit den Taliban könnten Sie sicher verhandeln. Das sind ja nicht nur Verrückte. Es gibt auch da Extremisten und andererseits solche, die die Bush-Administration vor dem 11. September gewarnt haben. Das hat man nicht ernst genommen. Es gab Stammesführer in Afghanistan, die davor gewarnt haben, mit einer Armee einzumarschieren.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Am 12. September stellen Sie Ihre Autobiographie "Umstrittene Wahrheit" vor. Wenn Sie ein Bilanz ziehen sollten zu Ihrer Arbeit zum Weltethos: Sind Sie noch genauso positiv gestimmt wie 1990 als Sie das Buch zum Weltethos verfasst haben?

Als ich das Buch 1990 geschrieben habe, hatte man natürlich die Hoffnung, dass man künftig nicht mit militärischen Mitteln, mit Aggression, mit Feindschaft und mit Krieg Probleme lösen würde, sondern – wie es sich in West- und in Osteuropa durchgesetzt hatte - durch gegenseitige Verständigung, durch Kooperation und Integration. Das ist leider durch die wahnsinnige Politik gestört worden, die die zweite Bush-Administration mit einer Clique von erzkonservativen jüdischen Intellektuellen, so genannte Neocons und protestantischen Fundamentalisten initiiert hat.

Bush im US-Aussenministerium
Was kommt nach Bush jr.?Bild: AP

Ich bin kein Feind, sondern ein Freund der Amerikaner. Ich hoffe, dass trotz dieses Rückschlages, den die Politik von Bush jr. gebracht hat, man sich in Amerika wieder auf die große demokratische Tradition des Landes besinnt und Vormacht sein will im Sinne der Verständigung, der Mäßigung und des Weltfriedens.

Hat es Sie eigentlich geschmerzt, dass Papst Benedikt XVI. Ihre Idee des Weltethos nie akzeptiert hat?

Er hat die Idee an sich akzeptiert. Er sieht ja auch, dass es gemeinsame ethische Standards geben muss. Er hat mir im Gespräch zugestanden, dass diese für Gläubige und Nichtgläubige gleichermaßen gelten müssen. Man hätte nur erwarten können, dass er selber deutlich für diese Idee eintritt. Aber was noch nicht ist, kann ja vielleicht noch werden.

Der katholische Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng hat sich als Vordenker des Dialogs zwischen den Religionen und als Gründer des Projekts Weltethos einen Namen gemacht. Der Vatikan hatte dem Schweizer 1979 die Lehrerlaubnis entzogen, da dieser die Unfehlbarkeit des Papstes in Zweifel gezogen hatte. Im Herbst 2005 wurde der 1928 geborene Küng von Papst Benedikt XVI. zu einem Gespräch empfangen.